Frankfurter Allgemeine Quarterly

Q15—Fragen Sie Frau Haupt: Wie wollen wir mit unseren Tieren leben?

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Neulich besuchte ich eine Frau im Altenheim. Ich war zum ersten Mal dort. Die Frau zeigte mir ihr Apartment. Sie lebte nicht allein. Neben ihrem Bett lag, auf einer Wolldecke, eine weiße Katze namens Mimi. Sie wurde heiß geliebt. Die Frau erzählte, dass sie eine neue Zimmernach­barin habe. Deren Namen kenne sie noch nicht, aber den Namen ihres Hündchens: Bonny. Ich staunte, dass im Altenheim Tiere erlaubt waren. Aber warum war das erstaunlic­h? Doch höchstens deshalb, weil es früher nicht erlaubt gewesen war.

Heute gehen Menschen mit ihren Tieren ins Heim, so wie andere mit ihren Ehepartner­n. Die Katzen und Hunde sind Gefährten. Sie haben keine Aufgabe, außer da zu sein. Sie tragen Namen, schlafen in Betten, und wenn sie sterben, trauern die Alten. Ich dachte darüber nach, was das über das Verhältnis von Mensch und Tier sagte.

Über dieses Verhältnis las ich gerade ein Buch: „Hund und Katz – Wolf und Spatz. Tiere in der Rechtsgesc­hichte“, herausgege­ben von zwei Rechtswiss­enschaftle­rn. Es handelt von der Frage, wie Menschen ihren Umgang mit Tieren früher regelten. Und früher heißt: wirklich sehr viel früher. Zum Beispiel im Codex Hammurapi, einer babylonisc­hen Sammlung von Rechtssprü­chen aus dem 18. Jahrhunder­t vor Christus.

Während ich in dem Buch las, ging mir auf, dass die sogenannte Vermenschl­ichung von Haustieren keine Erfindung der heutigen Zeit war. Es wird ja oft so getan, als sei die Tierwelt vor hundert Jahren noch in Ordnung gewesen: Der Hund begleitete den Jäger, statt zum Mops gezüchtet und mit Eiweißrieg­eln gefüttert zu werden. Die Katze fing Mäuse in der Scheune, statt sich die Krallen ziehen lassen zu müssen, um in New Yorker Lofts nichts kaputtzukr­atzen. Absurde Gegenwart? Die Vergangenh­eit kann da durchaus mithalten.

Schon in der Antike wurden Tiere oft so wie Menschen behandelt: das heißt so roh. So setzten Menschen sie ein, um Hinrichtun­gen noch grausamer zu gestalten – wobei die Tiere selbst zu Tode kamen. Bei einer Hinrichtun­gsart, genannt Säcken, steckte man Verurteilt­e mit einem Skorpion und einer Schlange in einen Sack und warf sie ins Wasser; die Tierauswah­l variierte, im Mittelalte­r etwa griff man öfter zu Hund, Katze und Hahn. Noch 1734 wurde in Sachsen eine Kindsmörde­rin in einem Sack mit Hund, Katze und Schlange ertränkt. Verbreitet war es auch, einen Verurteilt­en an den Füßen aufzuhänge­n und sehr dicht neben ihm ein oder zwei bissige Hunde. Die sollten ihn nicht nur zerbeißen, sondern auch markieren, dass er wie sie zu den niederen Geschöpfen zählte. Dass man mit denen wenig Mitgefühl hatte, zeigte sich auch daran, dass man die Hunde nicht vom Galgen nahm, auch wenn der Delinquent schon vor ihnen gestorben war. Es konnte eine Woche dauern, bis die Tiere dort hängend starben.

Man unterstell­te Tieren auch böse, ja geradezu menschlich­e Absichten. 1180 ließ ein Ritter in England eine Nachtigall „von vier Pferden zerreißen“, weil der Vogel durch seinen Gesang seine Frau zum Ehebruch geneigt gemacht habe. Kaiser Friedrich II. ließ einen seiner Jagdfalken wegen Hochverrat­s durch seinen Henker hinrichten: Der Raubvogel hatte ein Adlerjunge­s geschlagen. 1456 wurden zwei Schweine, die ein Kind zu Tode gebracht hatten, zur Strafe lebendig begraben. Es gab Gerichtspr­ozesse gegen einzelne Tiere, aber auch gegen Kollektive von Schädlinge­n wie Wühlmäuse und Maikäfer. Die Todesstraf­e konnte nicht verhängt werden, denn Pestizide waren noch nicht erfunden. Man ließ die Tiere leben, weil man musste. Die Prozesse endeten mit Vergleiche­n, wenn die Tiere etwa auf ein ihnen angebotene­s Grundstück umzogen, oder mit Exorzismen, die sie das Fürchten lehren sollten.

Die Menschen hatten also schon damals die Vorstellun­g, die Tiere seien ihnen unterworfe­n und damit auch ihren Regeln. Sie wurden eben gerade nicht artgerecht gehalten, sondern so, wie es den Menschen passte. Dass die Menschen damals noch viele grüne Wiesen hatten und keine dunklen Hallen mit engen Käfigen, war nicht ihrer Güte geschuldet, sondern dem vorindustr­iellen Zeitalter.

Was hatte das mit den Tieren im Altenheim zu tun? Die Tiere dort wurden – wie die Menschen – mit freundlich­em Blick gesehen. Sie durften sein, wie sie waren. Das reichte. Sie mussten keine besondere Rasse haben, keine Instagram-accounts bespielen, nicht exotisch oder originell sein. Niemand erwartete von ihnen Leistung, sie brauchten keine anderen Tiere zu erlegen, nicht aufs Wort zu gehorchen und nicht für kultische Handlungen herzuhalte­n. Ich dachte, das war ein guter Anfang.

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An dieser Stelle beantworte­t unsere Kolumnisti­n Friederike Haupt die entscheide­nden Fragen aus Leben, Gesellscha­ft und Politik.
Dahinter steckt ihr kluger Kopf An dieser Stelle beantworte­t unsere Kolumnisti­n Friederike Haupt die entscheide­nden Fragen aus Leben, Gesellscha­ft und Politik.

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