Frankfurter Allgemeine Quarterly
Veronika Nowag-jones
„Ich will so leben, wie ich immer gelebt habe, also arbeite ich weiter. Ich möchte gebraucht werden.“
Eine Gesellschaft ist übergriffig, wenn sie bestimmen will, ab wann ein Mensch nicht mehr arbeiten darf. Für mich ist das dummer politischer Unsinn, heute mehr als je zuvor. In Amerika läuft vieles furchtbar, doch das regeln die weit besser, indem sie es eben nicht so formal und kategorisch regeln. Dort muss man nicht zu einem fixen Zeitpunkt gehen. Wenn dort jemand 70 ist und was kann, dann wird das genutzt.
Ich habe ja eine Fluchtvergangenheit aus der DDR, habe in Bremen unter der Ägide von George Tabori Theater gespielt. Ein immer neugieriges Leben führte mich darauf in die USA, ich musste mir Englisch draufschaffen und habe in New York Straßentheater gemacht. „Homeless Woman“hieß ein eigenes Stück, da haben obdachlose Frauen mitgewirkt. Ich lernte meinen Mann kennen und bewegte mich in der Avantgarde-musikszene, pendelnd zwischen New York und Berlin.
Als Künstler kann man leichter so lange weitermachen, wie man uns braucht. Ältere Menschen sind nun mal Realität; und das muss man gestalten. In einem Fernsehspiel braucht es halt auch jemand, der an Demenz erkrankt ist. Das kann ich spielen, solange ich es nicht im echten Leben habe. Solange Kopf und Körper das mitmachen, geht das.
Wieso soll man als Rentner mit einem Rollator durch die Gegend rollern und nicht besser in ein Fitnessstudio gehen? Ich will weiterhin mit meinen Freunden in ein Restaurant gehen, also brauche ich auch das Geld dafür. Ich will genauso leben, wie ich immer gelebt habe, also muss ich weiterarbeiten. Meine Wohnung in Kreuzberg ist mittlerweile teurer als die Rente, die ich ausbezahlt bekomme.
Ich möchte gebraucht werden. So einfach ist das. Ich kann auch als Alte in ein Altenheim gehen und dort Übungen mit Heimbewohnern machen. Gebraucht zu werden ist wichtig. Wenn man es will und die Kraft und die geistige Gesundheit hat, sollte man auch in Bewegung bleiben.
Ich kenne leider viele Menschen, die auf verschiedenen Ebenen resignieren. Ich sage denen: Ich bin die Verrückte, und das macht Spaß! Dabei will ich niemand etwas reinreden oder schulmeistern. Doch schon der Bewegungsmangel ist ein großes Thema: Je älter man wird, desto mehr muss man machen. Wenn ich lazy bin und nicht auf mein Trampolin gehe und meine Übungen mache, dann fühle ich mich nicht gut.
Auch ein Hund kann bei Bewegungsmangel helfen. Man muss raus, auch wenn es regnet und schneit. Kurzum: sich Sachen suchen, wozu man Lust hat. Wenn man sagt, man ist alt, dann ist man alt.
Noch stehe ich in Kraft und Saft. Doch auch die Beschäftigung mit dem Tod gehört dazu: Ich empfehle, auch damit nicht so todernst umzugehen. Etwa den tollen Film „Warten auf den Tod“anschauen.
In Amerika, speziell in New York, sind sie weit mehr „survivers“als hier in Deutschland. Es herrscht eine andere Philosophie und Lebenseinstellung. Es gibt so viel, was man alles als älterer Mensch machen kann. Mich macht es wirklich wütend, wenn sich jemand hängen lässt. Etwa die passionierte Katzen- und Hundefreundin, der es aber „zu weit“ist, im Tierheim auszuhelfen. Ich verliere dann das Interesse an deren Lamento. Mein Mann hat dann immer gesagt: „Drop Dead!“
Mir schwebt noch ein Dokumentarfilm über meinen Mann vor, den New Yorker Jazzmusiker Norris „Sirone“Jones, der im Oktober 2009 an Krebs verstarb. Normalerweise ein Projekt, das sich über Jahre hinzieht. Aktuell habe ich wieder neue Ansätze und neuen Schwung. Die Frage ist natürlich, schaffe ich das noch?
Auch deshalb gibt es noch einen Anker in New York, ich liebe diese Herausforderung. Die Wohnung ist in der Christopher Street im „Village“. Ich wohne dort in der vierten Etage, hohe Stufen, altes Haus. Und alle sind scharf auf diese Bude. Ich sage: „Don’t push!“Gebt mir die Zeit, solange ich dort noch wohnen will. Auch wenn man weiß, dass alles limitiert ist.