Jetzt gönn ich mir eine Pause
Alltagsirrsinn, Jobstress, wenig Zeit. Viele Menschen haben verlernt, richtige Pausen in ihr Leben einzubauen. Aber wie geht das eigentlich? Unsere Autorin Katja Klementz hat sich auf die Suche nach etwas Ruhe gemacht
freundin-autorin Katja Klementz hat sich auf die Suche nach etwas Ruhe gemacht
Weil ich mal wieder keine anständige Mittagspause hatte, sitze ich in der muffigen Ballett-umkleidekabine beim „Kreativen Kindertanz“und esse Brotreste aus dem Schulranzen meiner Tochter. Mir ist zum Heulen. In der Arbeit war viel zu tun, schwupps war es 15 Uhr und ich musste los, die Kinder abholen. Immer reihe ich mich mit meinen Bedürfnissen ganz hinten ein, nicht nur in der Nahrungskette. Meine Mutter sagt an solchen Tagen zu mir: „Du musst eine Pause machen!“Echt jetzt?
Das sensible Konstrukt Haushalt, Job und Kinder bricht doch zusammen, wenn ich mich mittags mit Messer und Gabel hinsetze oder nachmittags auf der Couch ein Nickerchen mache. Oder? Man muss fairerweise sagen, dass meine Mutter mich nicht nur mit schlauen Sprüchen unterstützt, sondern auch bei der Kinderbetreuung. Darum sei ihr die Frage erlaubt: Bricht wirklich alles zusammen, wenn ich Auszeiten im Alltag einlege? Oder kann die Wäsche auch mal einen Tag länger liegen bleiben und die Wohnung unordentlich sein? Als meine Freundin neulich mit Fieber und
Husten im Bett lag, war mein erster Gedanke: „Herrlich! Zwei Tage Bettruhe!“Da habe ich mich über mich selbst erschrocken. Ich muss etwas ändern, statt insgeheim auf die nächste Grippewelle zu hoffen. Mein Denkfehler: Wer Pausen macht, ist faul. Dabei ist es wissenschaftlich erwiesen: Wer regelmäßige Pausen einlegt, ist leistungsfähiger, egal ob bei körperlicher oder geistiger Anstrengung. Moderne Arbeitsoptimierer legen daher alle 90 Minuten eine Meditation ein, bevor sie sich wieder gestärkt in ihre Arbeit vertiefen.
Ich begebe mich also auf die Suche nach der Pause. Ich will nicht die genervte, unterzuckerte Mutti im Dauerstress sein, die explodiert, wenn ein Glas Milch umkippt oder jemand zu langsam einparkt – und die abends ausgelutscht auf dem Sofa zusammenbricht. Ich beginne ganz klein und kaufe mir erst einmal eine schicke Lunchbox. Vielleicht animiert mich das, mir künftig Snacks mit ins Büro zu nehmen. Wenn ich meiner Tochter ein Pausenbrot schmieren kann, warum dann nicht auch mir selbst? Der erste Schritt in die richtige Richtung.
Achtsamkeitstraining ist keine entspannende Aroma-massage
Die Fähigkeit, Auszeiten zu genießen, hat viel mit unserem Verhältnis zu uns selbst zu tun. „Selbstfreundlichkeit“ist mein neues Lieblingswort, das mir von Kim-nicola Lorentzen (siehe Kasten S. 44) geschenkt wurde. Sie arbeitet seit vielen Jahren als Achtsamkeitstrainerin und Coach in Hamburg und ist auf die Arbeit mit Familien spezialisiert, die im Alltag feststecken und unzufrieden sind. So wie ich. Ich treffe sie zum Mindfulness-training und habe keine Ahnung,
was man da eigentlich macht. Kim wirkt aufgeräumt, als ich sie treffe. Ob sie, die auch Mutter ist, nach einem vollen Tag um 22 Uhr wohl zähneknirschend die Wäsche zusammenlegt? „Klar passiert das und ich finde es nervig. Doch ich sage mir dann gern: ‚Das ist mein Leben, so, wie ich es mir auch gewünscht habe – mit Kindern und allem, was dazugehört. Auch die Wäsche. Nebenan schlafen meine zwei gesunden Kinder.‘ Und das ist nicht zu verwechseln mit Passivität.“
Die Achtsamkeits-meditation dient nicht dem Abschalten, sondern man versucht, die Gedanken, die einen aufwühlen, präsent und klar zu sehen. Achtsamkeitstraining ist, wie ich merke, keine entspannende Aroma-massage, son
Ich warte am Wasserkocher aufs Brodeln
dern ein Prozess, der mir nach meh‑ reren Sitzungen den Weg zu mehr Gelassenheit im Alltag weisen kann. Für schnellere Ergebnisse hat Kim kleine Tipps to go: Wenn ich unter‑ wegs bin und mich unzufrieden
fühle – etwa im Umkleideraum vom Kindertanz –, soll ich mich in den Augenblick holen. Den Körper, das Ein‑ und Ausatmen spüren. Wie sitze ich da? Wie fühlen sich die Kleider auf der Haut an? Wie ist das Licht im Raum? Ich übe so Mind‑ fulness als Mini‑pause. Und merke, wie mein Puls ruhiger wird. Und ich soll kleine Post‑its mit Nachrichten an mich selbst schreiben und in Wohnung oder Büro verteilen. Sätze, die mich ins Hier und Jetzt holen. Zuerst begreife ich nicht, wie das „Hier und Jetzt“helfen soll. Aber es ist eine Wunderwaffe. Anstatt mich dau‑ ernd durch mein Gedankenkarussell zu peit‑ schen und die nächsten 17 To‑dos und Proble‑ me im Kopf zu haben, konzentriere ich mich nur auf das, was ich gerade mache. Ich warte zum Beispiel am Wasserkocher aufs Brodeln. Und da hängt mein Lieblings‑post‑it mit einem Satz, der mich sofort zu mir holt und ungewohnt selbstfreundlich ist: „Wie fühle ich mich gera‑ de?“Kann man sich nicht oft genug fragen!
Nächster Schritt: Zen-meditation
Kims Übungen haben mir geholfen, kleine Pausen in meinen Alltag zu integrieren. Doch ich will noch einen Schritt weiter gehen: bei einer japanischen Zen‑meditation. Anders als beim Achtsamkeitstraining soll man dabei an
nichts denken und so den Geist beruhigen. Zenkreise gibt es überall in Deutschland, in meinem Stadtteil trifft man sich Mittwochabend (perfekt, die Kinder schlafen dann schon) zum Zazen, einer Meditation im Sitzen. Vorweg genommen: Das ist eines der abgefahrensten Erlebnisse seit Langem – auch, wenn ich mich anfangs etwas fehl am Platz fühle. Ich sitze als Fremdkörper mit 20 Menschen in teilweise seltsamen Gewändern im Schneidersitz auf einem kleinen Kissen und mein Fuß ist eingeschlafen. Und das soll jetzt fast zwei Stunden dauern! Ich fühle mich wie ein verschüchtertes Kind im Bällebad: Die kleine Katja möchte bitte aus dem Zenkreis abgeholt werden. Dann: Ein Gong ertönt und wir rezitieren aus einer Art Gebetsbuch japanische und englische Texte im sonoren Sprechchor, jemand schlägt den Takt dazu. Es folgen wiederholt 20 und 25Minutenmeditationen, dazwischen
Verbeugungen und einmal laufen wir einige Minuten wie aufgescheucht im Kreis. Ich bin so darauf konzentriert, nichts falsch zu machen, dass ich das Ritual nicht mehr infrage stelle. Ich zieh das jetzt durch. Bei der Einführung wird empfohlen, die Atemzüge zu zählen und bei 20 wieder von vorne zu beginnen. Beim dritten Schweigeblock ist mein Zeitgefühl ausradiert, ich könnte stundenlang weiter so machen und die eingeschlafenen Füße sind plötzlich egal. Was für ein Luxus, einmal nur Atemzüge zu zählen! Obwohl ich nicht sicher bin, ob das der tiefere Sinn vom Zazen ist, möchte ich öfter den Mittwochabend hier verbringen – und nicht, wie sonst, zerknirscht auf der Couch liegen. Es wirkt nämlich wie ein Betablocker. Danach gehe ich durch die frische Winterluft nach Hause und erlebe ein angenehmes, unaufgeregtes Glücksgefühl. Vielleicht auch darüber, dass ich das ganz alleine nur für mich getan habe.
Eine Youtube-anleitung zum Relaxen
Dass ich weniger Parksünder anmotze und geduldiger werde, lässt sich nach ein paar Mal Zazen noch nicht konkret feststellen. Hier helfen eher die YoutubeTipps von Coach Robert Betz und seinem Video „Erkenne den unschätzbaren Wert der Pause“. In der Kassenschlange soll ich mir in Zukunft sagen: „Herrlich! Ich habe eine Pause!“Er wagt sich also an mein Heiligtum der schlechten Laune: Jetzt darf ich nicht mal mehr im Discounter beim Warten mies drauf sein? Okay. Ich teste es beim nächsten Einkauf. Ich atme ein, ich atme aus und zwinge mich, dieses absurde „Herrlich, eine Pause!“zu denken, lese stattdessen Kürbisrezepte aus dem Magazin am Kassendisplay. Was soll ich sagen: Es funktioniert sehr gut und ist bestimmt das beste Mittel gegen Zornesfalten und herabhängende Mundwinkel – und ein Klassiker der Achtsamkeit, wie ich später erfahre. Abends mache ich übrigens leckeren Fetaorangenkürbis
aus dem Ofen – die Reste nehme ich am nächsten Tag in meiner hübschen Lunchbox mit ins Büro.
Dort, rät Betz, soll ich mich genauso einfach regelmäßig zurückziehen. Im Notfall auch mal zu einer „Eine-minute-kloMeditation“, beispielsweise wenn ein Telefonat nicht so gut lief. Ich fühle mich dabei anfangs wie ein Teenager. Aber es hilft immens. Ein Augenblick Ruhe, ein „Wie geht es mir?“-check.
Ich übe das Alleinsein – und Lügen
„Alleinsein ist der Stoff, aus dem die Horrorfilme sind“, ist der erste Satz eines Kapitels im Ratgeber „Pause“von Ulrich Hoffmann. Und der einzige lebenslange Begleiter, den wir haben, sind wir selbst. Deshalb, so der Rat, sollten wir uns besser kennenlernen. Also beginne ich mit Hoffmanns banalem Tipp, alleine einen Spaziergang zu machen, ohne Kopfhörer, ohne Handy, ohne Interaktion. Aus lauter Langeweile höre ich das Waldrauschen, einen Specht. Ich sehe über mir, wie die Blätter im Laufen irre Muster gegen den Himmel bilden. Der Freitagnachmittagsspaziergang ist nach einigen Wochen zu einer heiligen Routine für mich geworden und etwas, aus dem ich Kraft schöpfe. Ich gehe 45 Minuten in die Natur, während meine Kinder beim Sport sind. Früher habe ich auf der Bank gesessen und Insta gecheckt oder war im Supermarkt – der Wald tut mir viel besser. Meine Lunte ist an diesem Tag nicht mehr so kurz: Ich explodiere nicht mehr so schnell, komme, was wolle.
Ich habe jetzt schon viele Pausen-strategien in meinem Gepäck, aber eine ist besonders für Mamas Gold wert: eine handfeste Schwindelei. Ich sage meiner Familie manchmal, dass ich einen „wichtigen Termin“habe, um mich dann mit meinem Lieblingskaffee in die Sonne zu setzen. Ist ja auch gar nicht wirklich gelogen, ich habe ja einen wichtigen Termin – mit mir selbst. Eine Kollegin erzählte mir, dass es für Menschen, die nicht „Nein“sagen können, sogar eine Alibi-agentur gibt: Stefan Eiben bezeichnet sich als „Freiraummanager“und via alibi-profi.de kann man sich fingierte Anrufe oder Einladungen zu Veranstaltungen bestellen.
Mein liebster Pausen-coach derzeit ist allerdings Lola. Durch Zufall und ein bisschen Schicksal kam das Hundebaby aus Spanien in unsere Familie. Und es beherrscht den natürlichen Rhythmus aus Aktivität und Pause perfekt. Nach Labrador-jagen folgt bei Lola Tiefschlaf, um sich dann mit achtsamer Konzentration dem Zerbeißen jedes Turnschuhs bis zum Schnürsenkel zu widmen. Ich stehe alle zwei Stunden mit Lola unter der Eiche vor meinem Büro und mache Pause. Tiere müssen nicht meditieren, sondern leben immer im Hier und Jetzt. Und mein Freitagnachmittagsspaziergang ist durch Lola noch schöner geworden!
Ich habe einen wichtigen Termin – mit mir!