»ES GIBT KEIN FREMDVERTRAUEN OHNE SELBSTVERTRAUEN«
Psychologin Stefanie Stahl über Bindungsfähigkeit
Frau Stahl, Ihr Ratgeber heißt „Jeder ist beziehungsfähig“. Das ist ein Mutmacher, oder? Stefanie Stahl:
Ich glaube das wirklich. Die meisten Männer und Frauen, die immer wieder verlassen werden oder eine Beziehung nach der anderen abbrechen, könnten beziehungsfähiger sein. Vielen macht mangelndes Selbstwertgefühl einen Strich durchs Liebesglück.
Muss ich mich selbst lieben, um eine Beziehung führen zu können?
Muss man nicht. Jeder kennt Verbindungen, in denen einer starke Selbstzweifel hat. Eine Partnerschaft kann einem unsicheren Menschen den Rücken stärken, wenn der andere Empathie und Nachsicht aufbringt.
Sie klingen trotzdem skeptisch.
Ein schlechtes Selbstwertgefühl hat immer Auswirkungen auf unsere Bindungen. Wenn ich mich als unwichtig, uninteressant oder unattraktiv fühle, fällt es mir schwer zu glauben, dass mein Gegenüber mich anziehend findet. Oder ich glaube, dass der oder die andere nur noch nicht gemerkt hat, dass ich die Aufmerksamkeit nicht wert bin. Es gibt kein Fremdvertrauen ohne Selbstvertrauen.
Das ist vermutlich vor allem am Beziehungsanfang ein Problem.
Starke Selbstzweifel bremsen uns auch in einer bestehenden Liebesbeziehung. Sie können zu großen Verlustängsten und Eifersucht führen, weil man annimmt, diese Beziehung eigentlich nicht verdient zu haben.
Wie helfen Sie solchen Paaren?
Durch Selbstreflexion. Wir gucken, welche Kindheitsprägungen und negativen Glaubenssätze die Partner verinnerlicht haben. Wir reflektieren, wie sie das als Erwachsene und in der Paardynamik beeinflusst. Oft kämpfen solche Paare mit unterschiedlichen Nähe- und Distanzwünschen.
Der unsichere Part klammert?
Nicht immer. Bei vielen meiner Klienten führen starke Selbstzweifel auch zu großen Autonomie-bestrebungen. Robbie Williams hat das besungen: „Before I fall in love, I’m preparing to leave her.“Diese Dauer-distanziertheit ist sehr leidvoll.
Erkennen Sie auf den ersten Blick, ob ein Paar eigentlich keine Chance mehr auf eine Annäherung hat?
Ja, und zwar dann, wenn einer der Partner dermaßen ablehnend ist, dass es keinen Ansatz zur Selbstreflexion gibt. Bei echten Narzissten ist immer der Partner schuld. Da vollbringe ich als Therapeutin keine gute Tat, wenn ich versuche, da etwas zu kitten.
Das empfiehlt Stefanie Stahl jedem Paar:
Viele zweifeln dauerhaft, ob ihre Partnerin oder ihr Partner wirklich zu ihnen passt. Diese Unentschlossenheit hat natürlich Auswirkungen auf das Beziehungsgefühl – man investiert automatisch weniger an Bemühungen. Ich empfehle, diese Zweifel mal für einen Monat zu streichen und sich ganz bewusst zu sagen: „Das ist der oder die Richtige!“. Viele machen die Erfahrung, dass dieses Gedankenspiel ihre innere Einstellung langfristig positiv verändert.