»ZEHN SEKUNDEN LANG NÄHE FÜHLEN! WIE GEIL IST DAS BITTE?«
Therapeutin Ann-marlene Henning über Intimität
Frau Henning, was ist guter Sex? Ann-marlen Henning:
Wenn beide etwas spüren, das ihnen gefällt.
Auf Ihrer Homepage steht der Claim „Es ist erstaunlich, wie wenig viele Menschen über Sex wissen“.
Das ist leider so. Sex beginnt beim Körper. Und viele Menschen kennen ihren eigenen Körper nicht. Sie glauben an jede Menge Mythen und Vorurteile, die uns das Liebesleben schwer machen.
Beispielsweise? Viele Paare denken: „Wenn wir jemanden finden, den wir lieben, klappt das automatisch mit der Nähe und Zärtlichkeit, der Erregung, den Orgasmen.“Klischee 1: Wenn der Mann Lust hat, hat er immer eine Erektion. Klischee 2: Wenn die Frau sich fallen lassen kann, bekommt sie einen Orgasmus.
Und wenn das nicht so ist, kommen Zweifel an der Beziehung auf?
Genau. Sie denkt dann: „Er begehrt mich nicht wirklich.“Er denkt: „Sie liebt mich nicht.“Oder er glaubt, sie sei asexuell. Dadurch entsteht großer und tatsächlich vermeidbarer Kummer. In allen anderen Bereichen unseres Lebens üben wir, unseren Körper zu nutzen. Beim Laufenlernen, beim Tennisspielen, beim Klavierspielen… Da kümmern wir uns um das Erlernen einer Technik und darum, wie wir etwas genießen können. Sexualität muss genauso erlernt werden!
Was üben Sie mit Ihren Klienten?
Innehalten zum Beispiel. Anspannung ist ein riesiges Thema. Wir rennen gestresst durch den Alltag, beißen die Zähne zusammen. Das beeinflusst nicht nur die Psyche. Pressen wir den Kiefer zusammen, spannen wir den Beckenboden an. Der wird schlechter durchblutet und das hat Auswirkungen auf das Genital. Ich treffe auf viele Frauen, die sagen, „Ich spüre da unten gar nichts“. Dann gebe ich eine Übung: „Spüren Sie mal eine Woche lang nach unten!“
Wie ist die Resonanz?
Die erste Antwort lautet: „Da werde ich nicht viel finden!“Ausnahmslos kommen sie wieder und sagen: „Wow, was für ein Unterschied.“Wenn man die Aufmerksamkeit auf den Köper lenkt, fühlt man wieder mehr. Guter Sex bedeutet nicht ficken in wechselnden Stellungen. Die Zauberworte heißen Langsamkeit und Achtsamkeit. Jemandem zehn Sekunden lang nah zu sein und ihn zu riechen, zu spüren – wie geil ist das denn bitte?
Das empfiehlt Ann-marlene Henning jedem Paar:
Einen Termin-check: Wann sind Sie beide zu Hause, wann haben Sie wirklich frei? Die Kinder schlafen – und alle Bildschirme sind aus? Verabreden Sie mindestens einen Abend pro Woche, an dem Sie die Aufmerksamkeit aufeinander richten. Schaffen Sie Nähe-momente, die spielerisch sind. Eine Übung lautet: Küsse meine Mundwinkel von links nach rechts – für eine gefühlte Minute.