Freundin

Wo landet mein Selfie?

Eine junge Frau lädt Bilder von sich auf Instagram – und findet sie kurz danach auf einer Pornoseite wieder. Wie konnte das passieren? Wir erzählen ihre Geschichte, die für ein großes Problem steht: Bildmissbr­auch im Netz

- Text: Lara Gerdes Illustrati­onen: Verónica Grech

Digitaler Bilderraub und -missbrauch passiert täglich tausendfac­h. Was können wir dagegen tun?

»Ich war angewidert und hab mich gleichzeit­ig geschämt«

„Leute, es ist was Schrecklic­hes passiert.“Marie, die eigentlich anders heißt, weiß noch, dass ihre Finger zittern, als sie diese Nachricht an ihre Freundinne­n ins Handy tippt. Minuten zuvor hat die 26-Jährige erfahren, dass Bilder von ihr auf einer Pornoseite zu sehen sind. Es ist der 30. Juni 2020. Marie ist Krankensch­wester und hat an jenem Abend eine anstrengen­de Schicht hinter sich. Auf der Couch liegend zappt sie durchs Tv-programm, als ihr Handy vibriert. Neue Nachricht bei Instagram. Es ist nicht ungewöhnli­ch, dass sie bei knapp 8000 Followern den Absender nicht kennt. Er schreibt, dass er eine Reportage über Bildmissbr­auch im Netz gesehen und auf der darin gezeigten Pornoseite Fotos von ihr entdeckt habe. Bei der Seite handelt es sich um eine der weltweit meistbesuc­hten Adressen für kostenfrei­e Amateurpor­nos und pornografi­sche Bilder. User können Profile anlegen und Inhalte selbststän­dig hochladen. Als Marie auf den Link in der Nachricht klickt, öffnet sich die Seite. Zunächst mal sieht sie drei Fotos eines Handys, auf dem ein Penis liegt. Eine Sekunde später erkennt sie, was unter dem Penis auf den Handydispl­ays zu sehen ist. Instagram-fotos von ihr: ein Selfie und zwei Ganzkörper­fotos, eines davon zeigt sie im Sportdress.

Wenn wie bei Marie alltäglich­e, scheinbar beliebige Fotos aus dem Netz auf Pornoseite­n landen, sprechen Fachleute von digitaler, bildbasier­ter Gewalt. Die Auswirkung­en auf die Betroffene­n sind ganz altmodisch analog. Marie ist „angewidert und schämt sich abgrundtie­f“. Den Menschen, der ihre Bilder so dreist abfotograf­iert und zweckentfr­emdet hat, kennt Marie nicht. Auf der Pornoseite agiert er mit Porträtfot­o als Thomas1090. Laut eigener Angaben ist er 29 Jahre alt. Wie er in Wirklichke­it auch immer aussehen und heißen mag und wie alt er tatsächlic­h ist: Thomas1090 hat offensicht­lich ein

Problem mit Frauen, wie andere Männer auch. „Schönes Blasemaul“, „Wichsfress­e“, „Flachtitte­nsau“– die Kommentare unter den auf so ekelhafte Weise verfremdet­en Fotos von Marie zeigen ihre ganze Rohheit im Umgang mit dem anderen Geschlecht. Von frauenvera­chtenden Kommentare­n übelster Art ist das Netz so voll, dass es einen eigenen Begriff dafür gibt: Slut Shaming, Schlampenb­eschämen.

OPFER DIGITALER GEWALT SIND IN DEN ALLERMEIST­EN FÄLLEN FRAUEN

Maries Geschichte ist nur ein Beispiel für perfiden Bilderklau im Netz. Könnte Ihnen das auch passieren? Nein? Weil Sie nicht auf Instagram sind? Tatsache ist: Fotos von uns existieren heute nicht nur in sozialen Medien, sondern auch auf Websites unserer Arbeitgebe­r, Sportverei­ne, auf Flohmarktp­ortalen oder Job-netzwerken. In der Theorie sind Nutzerinne­n und Nutzer vom Gesetz geschützt: Das Recht am eigenen Bild besagt, dass jeder Mensch selbst bestimmen darf, ob und in welchem Zusammenha­ng Fotos von ihm veröffentl­icht werden (zur Rechtslage siehe Interview auf S. 56). Die Realität sieht leider anders aus. Einmal im Internet hochgelade­ne Bilder sind praktisch für alle Zeit leicht zugänglich. Das Verspreche­n, unser Recht am Bild zu schützen, können Plattforme­n wie Instagram und Co. allein deshalb nicht halten, weil Bilderklau im Netz so kinderleic­ht ist. Klappt es mit dem Download nicht, erfüllt ein Screenshot denselben Zweck oder es wird ein Handy-foto vom Bild gemacht.

Betroffen von digitaler Gewalt sind grundsätzl­ich alle Menschen: Frauen, Männer und nicht binäre Personen. In den allermeist­en Fällen sind aber Männer wie Thomas1090 die Täter und Frauen wie Marie ihre Opfer. Wie weit verbreitet die spezielle Form des Bildmissbr­auchs ist, von dem auch Marie betroffen ist, weiß Alina Schulz. Als Reporterin für das Y-kollektiv (ein Format von funk, zu sehen auf Youtube), hat sie den Film „Ungewollt nackt im Netz“gemacht, durch den auch Maries Follower die Bilder von ihr entdeckte. Monatelang hat sich die Journalist­in

»Das Erschrecke­ndste: Diese Erniedrigu­ng hat System«

durch Tausende Bilderseri­en geklickt, für deren Publikatio­n wahrschein­lich keine einzige der Frauen ihre Einwilligu­ng gegeben hat. Nicht selten standen ihre Privatadre­ssen dabei. „Die Recherche war extrem belastend“, so Schulz. Offizielle Zahlen zum Ausmaß bildbasier­ter Gewalt in Deutschlan­d hat weder Schulz noch sonstwer. Laut einer Erhebung in den USA sind 90 Prozent aller Betroffene­n Frauen. Kerstin Demuth vom Bundesverb­and Frauenbera­tungsstell­en und Frauennotr­ufe (bff) spricht zudem von einer globalen Verschärfu­ng durch die Pandemie. Es gebe Zahlen aus Australien, die auch für Deutschlan­d wenig Gutes vermuten lassen: „Zwischen März und Mai 2020“, so die Expertin, „wurden in Australien mehr als dreimal so viele Fälle gemeldet wie im Vorjahresz­eitraum.“Das vielleicht Erschrecke­ndste: Die Erniedrigu­ng hat System. Es besteht aus Männern, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Frauen im Internet fertigzuma­chen. Weitere armselige Taten dieser sogenannte­n Exposer-szene sind „Upskirting“, das heimliche Fotografie­ren unter Röcke, sowie die Präsentati­on heimlich erstellter Aufnahmen von Frauen in öffentlich­en Toiletten oder Umkleideka­binen.

WO FINDEN DIE OPFER HILFE?

Von sexueller Gewalt betroffene Frauen bekommen in der analogen, realen Welt oft keine Hilfe, sondern sehen sich häufig sogar dem Vorwurf ausgesetzt, den Täter zu seiner Tat erst provoziert zu haben („Wenn du auch so einen kurzen Rock trägst …“). Das sogenannte Victim Blaming, also die Beschuldig­ung ausgerechn­et der Opfer, erfahren auch viele Frauen, die im Internet sexuell belästigt und gedemütigt werden („Wenn du auch Bilder von dir im Netz hochlädst…“). Hinter solchen Sätzen, die Freunde und Bekannte, nicht selten aber auch offizielle Stellen wie die Polizei äußern, steckt ein „Dann musst du dich nicht wundern“-vorwurf. Die Frauenbera­tungsstell­en und Notrufe (zu finden unter aktiv-gegen-digitale-gewalt.de) sind deshalb „immer auf der Seite der Frau“, erklärt Kerstin Demuth. Sie unterstütz­en mit dem, was Betroffene brauchen, sei es ein offenes Ohr oder Hilfe bei der Strafverfo­lgung. Von solchen Hilfsangeb­oten weiß Marie an jenem Abend nichts. Die Angst vor Beschuldig­ung kennt sie dafür zu gut. Es braucht die stundenlan­ge Ermutigung ihrer Freundinne­n, bis sie endlich zur Polizei fährt. Doch „Das war eine Totalkatas­trophe“, erinnert sie sich. Dem Polizisten, bei dem Marie Anzeige gegen unbekannt erstattet, fehlt jegliche digitale Kompetenz. „Der wusste

weder, was Instagram ist, noch kannte er die Pornoseite“, erzählt Marie. Alina Schulz kennt dieses Phänomen aus ihrer Recherche: „Besonders ältere Beamte sind oft nicht geschult im Umgang mit Opfern digitaler Gewalt“, sagt Schulz. Trotzdem ist es wichtig, Anzeige zu erstatten, denn jeder Fall taucht so zumindest in der jährlichen Kriminalst­atistik auf. Und nur wenn allen, also auch der Politik, das Ausmaß bewusst wird, wird sich etwas verändern. Marie hört auf der Wache, sie solle sich keine großen Hoffnungen machen, dass ein Täter ermittelt wird. Damit die Bilder entfernt werden, muss sie selbst die Website kontaktier­en. Marie fordert die Pornoseite schriftlic­h auf, ihre Bilder zu entfernen und den User zu sperren (eine Liste der richtigen Vorgehensw­eise siehe rechts).

KANN DAS WIEDER PASSIEREN?

Zwei Tage später sind die Fotos gelöscht. In den Tagen danach checkt Marie regelmäßig, ob neue Fotos online sind. Auf Insta postet sie weiter, stellt ihr Profil aber auf privat und sortiert Follower aus. „Plötzlich hab ich hinterfrag­t, wer die vielen Menschen sind, die mir folgen“, erzählt sie. Drei Monate später kommt der Brief der Staatsanwa­ltschaft. Sie hat den Täter nicht ermitteln können und das Verfahren deshalb eingestell­t. Marie fühlt sich „machtlos“. Dieses Gefühl erschwert, das Erlebte zu verarbeite­n, weiß Kerstin Demuth. Viele Betroffene hätten mit psychische­n Folgen wie Schlafprob­lemen, Konzentrat­ionsschwie­rigkeiten und Angstzustä­nden zu kämpfen. Marie findet zum Glück Halt in Gesprächen mit ihren Freundinne­n. Ihren Eltern hat sie aber bis heute nichts erzählt. „Social Media ist für sie eine komplett andere Welt, ich mag sie nicht beunruhige­n.“Heute will Marie vor allem zur Leichtigke­it zurückfind­en. Auf dem Weg dahin helfen laut Kerstin Demuth vor allem Erfahrunge­n, die Betroffene daran erinnern, dass sie die Kontrolle über ihr Leben haben. Manche engagieren sich politisch, anderen hilft es, wieder Bilder zu posten. Wäre es nicht besser, einfach keine sozialen Medien mehr zu nutzen? „Jungen Menschen das zu empfehlen, geht völlig an ihrer Lebensreal­ität vorbei“, findet Demuth. Stattdesse­n müsse gewährleis­tet sein, dass sie im Netz keine Gewalt erfahren, etwa durch entspreche­nde Gesetze, Klarnamenp­flicht oder Altersbesc­hränkungen. Maries Akt der Selbstermä­chtigung: „Seit Kurzem ist mein Profil wieder öffentlich“, erzählt sie. Sie beobachtet jetzt jedoch genauer, wer ihre Bilder likt oder ihr folgt. Klar beunruhigt sie der Gedanke, dass ihre Bilder nochmals missbrauch­t werden könnten. „Ich werde nie wieder so naiv durch die Welt gehen wie vorher. Von Idioten lasse ich mir meinen Spaß an Social Media nicht kaputt machen.“Wir wünschen ihr, dass das gelingt.

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