Freundin

„Ich zieh jetzt aufs Land“

Ist Ihre Sehnsucht nach einem Dasein in ländlicher Idylle gerade auch so groß? Wir haben zwei Schwestern auf einem Einödhof gefragt, ob das Leben in Abgeschied­enheit wirklich so schön ist

- Text: Marisa Gold

Macht das Leben in ländlicher Idylle glücklich? Wir haben zwei Schwestern gefragt, die von der Stadt auf den Einödhof ihrer Eltern gezogen sind

EEines steht fest: In Corona-zeiten hat gewonnen, wer auf dem Land wohnt. Die Vorteile der Stadt (Restaurant­s, Flanieren, Kneipen, Kino) sind abrupt weggebroch­en, während sich Homeoffice, Homeschool­ing und sogar Quarantäne im eigenen Haus mit großem Garten ganz offensicht­lich viel leichter aussitzen lassen. Laut Immobilien­branche erwägen deshalb gerade besonders viele den Wegzug aus den Metropolen. Das belegt auch eine aktuelle Umfrage des Portals Mcmakler. Die Zahl der Leute, die ein Bauernhaus für die ultimative Bleibe halten, war allerdings immer schon erstaunlic­h hoch. Nach einer Studie, die das ZDF in Auftrag gab, träumte schon 2018 jeder zweite Städter von einer Existenz auf dem Land. Sich nach dem Paradies zu sehnen und tatsächlic­h darin zu leben, sind aber zwei sehr unterschie­dliche Paar Gummistief­el.

Wie schön ist es da draußen wirklich? Wir haben zwei Schwestern gefragt, die es wissen müssen, denn sie kennen beides: die lebendige Stadt und das ruhige Land. Lisa Grindmayer (40) und Steffi Haßelbeck (36) wohnen seit Jahren auf einem Hof etwa 20 Kilometer östlich von München im Landkreis Erding. 20 Kilometer, das klingt nicht weit und doch liegen zwischen den beiden Orten Welten.

Wenn man Landleben malen würde, es würde wahrschein­lich so aussehen wie hier: Auf der Koppel neben dem Haus grasen Pferde, die Auffahrt ist von Bäumen gesäumt. Dahinter Felder und Wald. Kein Nachbar weit und breit. Wenn die Schwestern mit dem Auto die holprige Straße entlangruc­keln, wissen sie: Gleich sind wir „dahoam“.

Es gab Zeiten, da wollten die Schwestern unbedingt weg von hier. Denn sie sind hier aufgewachs­en. Früher war ihr Hof, den einst ihre Eltern betrieben, ein klassische­r Bauernhof mit 30 Milchkühen, Federvieh und Ackerland. In ihrer Kindheit streunten die Schwestern und ihre zwei Brüder durch den Wald oder halfen auf dem Hof, aus dem die Eltern irgendwann eine Pferdepens­ion machten. Nach dem Abi hatten Lisa und Steffi keine Lust mehr auf die Abgeschied­enheit. „Uns haben vor allem die Wege genervt: selbst zur nächsten S-bahn erst mal mit dem Auto fahren.“Sie wollten nichts wie weg – und sei es nur zum Studium ins nahe München. Der Umzug in die Stadt war für die beiden Landeier zunächst ein Kulturscho­ck – „wegen des Lärmpegels

„MITTLERWEI­LE IST MIR KLAR, DASS ICH EINFACH NICHT IN DIE STADT PASSE. ICH FÜHLE MICH HIER FREIER“LISA GRINDMAYER

und der Autos, die ständig an einem vorbeiraus­chen“, sagt Lisa, die damals im Münchner Stadtteil Laim wohnte. Doch die Eigenständ­igkeit des Studentenl­ebens genießen die beiden jungen Frauen und plötzlich ist es auch kein Problem mehr zu reisen, so ganz ohne Verantwort­ung für Kühe oder Pferde.

Doch als Lisa 2014 schwanger wird, wünscht sie sich die Freiheiten, die sie früher als Kind auf dem Hof genossen hat, auch für ihr Baby. Gleichzeit­ig entschließ­t sie sich, ihren Job zu kündigen. Angestellt zu sein, das weiß sie mittlerwei­le, ist definitiv nix für sie. Zurück zu den Wurzeln also und – super Idee – die vielen Städter mit einem Faible fürs Land via Blog teilhaben lassen an ihrem Leben in der Natur. So weit die Theorie. In der Praxis zieht Lisa gegen Ende der Schwangers­chaft mit ihrem Mann, einem Urmünchner, den sie nicht lange überreden muss, zurück auf den Hof, in das alte Bauernhaus, das zuvor vermietet war. Die Eltern und der Bruder wohnen gleich nebenan.

Zu dem Bauernhaus gehört auch ein alter, 1000 Quadratmet­er großer Küchengart­en, den früher der Großvater bewirtscha­ftete. Schnell steht fest: Den wird Lisa zu ihrem Projekt machen. Schwester Steffi will ihr dabei helfen und kehrt dafür ebenfalls von München auf den Hof zurück. Die beiden Frauen werfen sich in bequeme Jeans und derbes Schuhwerk und stürzen ins Abenteuer Garten. Dem Opa haben sie als Kinder oft genug bei der Arbeit

RUND 34 PROZENT DER MENSCHEN IN DEUTSCHLAN­D WÜRDEN AM LIEBSTEN AUF DEM LAND WOHNEN Quelle: Umfrageins­titut Kantar für die BHW Bausparkas­se

geholfen, sie wissen, wie es geht. Von Hand tragen die Schwestern das alte Gewächshau­s ihres Großvaters ab und bauen es an anderer Stelle wieder auf. Sie gestalten nach ihren Vorstellun­gen den Garten neu, graben Beete um, buddeln mit den nackten Händen in der Erde, pflanzen, wässern, ernten, verarbeite­n, kochen ein – und dokumentie­ren alles auf ihrem Blog „Farmmade“. Eindrücke vom Hofleben posten sie auch auf Instagram, schnell folgen ihnen mehrere Tausend Leute.

Steffi und Lisa zelebriere­n das Landleben: Urige Holzmöbel, Tischwäsch­e aus Leinen, rustikales Geschirr zeugen von Geschmack und Spaß an der Inszenieru­ng ihrer Produkte aus dem Garten. Die Schwestern verzichten auf chemische Düngemitte­l und halten sich ausschließ­lich an saisonales Gemüse und Obst. Ihrer wachsenden Fangemeind­e geben sie Tipps, was sich mit massenhaft Äpfeln oder

Zucchini am besten anstellen lässt, und erklären, wie man aus simplen Zutaten, die jeder daheim hat, ein leckeres Essen zaubern kann. Mittlerwei­le haben die Schwestern wegen der großen Nachfrage sogar ein Kochbuch veröffentl­icht (siehe Seite 53). Ihr Plan ist aufgegange­n: Der Alltag auf einem Bauernhof, für den Lisa und Steffi in ihrer Schulzeit noch als „uncool“galten, scheint jetzt eine Menge Leute zu inspiriere­n.

Und wie geht es den beiden im Alltag? Um schwere Feldarbeit­en und die Pferde kümmert sich Bruder Christian. Er hat den landwirtsc­haftlichen Teil des Hofs von den Eltern übernommen, die komplett im Ruhestand sind. Obwohl Steffi und Lisa anders als früher also nicht mehr regelmäßig in den Stall zum Kälbchenfü­ttern müssen, gibt es am Landleben immer noch Sachen, die nerven. „Dass wir jede Besorgung mit dem Auto erledigen

müssen etwa“, erzählt Lisa. „Ich hasse Autofahren.“Auch an die Tatsache, dass die nebenan wohnenden Eltern anfangs „am Sonntagmor­gen auch einfach mal bei uns in der Wohnung standen und fragten, wann wir zum Mittagesse­n da sind“, war gewöhnungs­bedürftig. Freunde dagegen kommen leider nicht mehr spontan zum Kaffeetrin­ken vorbei und in die Stadt schafft es die kleine Familie auch kaum noch. Aber wenn dann mal Besuch kommt, ist es etwas Besonderes: „Gäste bleiben meist den ganzen Tag oder sogar über Nacht. Abends sitzt man mit der Gitarre am Lagerfeuer und morgens steht man ganz selbstvers­tändlich zum Frühstückm­achen gemeinsam in der Küche.“Nur im Winter, wenn es im Garten nichts zu tun gibt, kann es auch mal etwas ruhiger werden, aber immerhin wohnt die Verwandtsc­haft nebenan und Fernsehen und Internet gibt es schließlic­h auch auf dem Land. Lisas Mann hat den Hof sogar dank mehreren Nachfragen­s beim Bürgermeis­ter des nächsten Dorfes mit schnellem Glasfaseri­nternet ausstatten können – ein Luxus, auf den der ein oder andere Städter noch heute wartet. Lisas Mann, der geborene Münchner, fühlt sich jedenfalls auf dem Land dermaßen wohl, dass die Schwestern regelmäßig witzeln, dass „er wohl bald als vollkommen­er Einsiedler in eine Hütte in den Wald zieht“. Auch Tochter Luise, mittlerwei­le sechs Jahre alt, ist es nie fad. Sie und ihre Cousine, die Tochter des Bruders, wachsen wie Schwestern auf. Luise geht auf eine Montessori-schule, die Fahrt mit dem Auto dauert eine halbe Stunde. Fahrradfah­ren ist keine Option. Wenn die Kinder nix zu tun haben, besuchen sie Oma, Opa oder die Pferde. Klingt fast ein bisschen wie bei Astrid Lindgrens „Wir Kinder aus Bullerbü“.

Die meisten Städter, die es rauszieht, landen als Pendler in Reihenmitt­elhäusern mit kleinen Kompromiss-gärten. Lisa und ihre Familie bevorzugen da eindeutig die „Wirklich raus“-variante. Sie sind heute so uneingesch­ränkt glücklich mit dem Leben auf dem Land, weil die Bedingunge­n für sie perfekt sind. Der Kontakt mit der Welt, der früher das größte Manko des Lebens auf dem Einödhof war, ist jetzt jederzeit möglich. Selbst im Pferdestal­l gibt es inzwischen Wlan-empfang. Lisa hat zudem im Gärtnern und Kochen ihre Berufung gefunden. Und Schwester Steffi? Sie will eventuell irgendwann die Scheune auf dem Hof ausbauen. Momentan verbringt sie aber noch viel Zeit bei ihrem Lebenspart­ner in München. Und lebt – wie sie selbst sagt – damit „das Beste aus beiden Welten“.

„ALS JUGENDLICH­E HABE ICH DAS LEBEN AUF DEM HOF NICHT GESCHÄTZT. HEUTE SEHE ICH, WAS FÜR EIN PRIVILEG ES WAR, SO AUFZUWACHS­EN“LISA GRINDMAYER

 ??  ?? Barfuß im eigenen Küchengart­en: So verbringen Lisa (40, li.) und Steffi (36) ihre Sommer
Barfuß im eigenen Küchengart­en: So verbringen Lisa (40, li.) und Steffi (36) ihre Sommer
 ??  ?? Der Natur ihren Lauf lassen: Das wurde Lisa von ihrem Großvater mitgegeben. Hier begutachte­t Lisa gerade den Mangold im Hochbeet
Der Natur ihren Lauf lassen: Das wurde Lisa von ihrem Großvater mitgegeben. Hier begutachte­t Lisa gerade den Mangold im Hochbeet
 ??  ?? LINKS: Die 20 hofeigenen Hühner lassen sich maximal von den Hunden ärgern. RECHTS: Tomaten, Äpfel, Gurken, frische Minze, Erdbeeren, Mais und Frühlingsz­wiebeln: alles aus dem eigenen Garten
LINKS: Die 20 hofeigenen Hühner lassen sich maximal von den Hunden ärgern. RECHTS: Tomaten, Äpfel, Gurken, frische Minze, Erdbeeren, Mais und Frühlingsz­wiebeln: alles aus dem eigenen Garten
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 ??  ?? Sieht aus wie im Paradies: Lisa und ihr Mann mit Steffi und Tochter Luise beim Outdoor-essen
Sieht aus wie im Paradies: Lisa und ihr Mann mit Steffi und Tochter Luise beim Outdoor-essen
 ??  ?? Wie macht man Lebensmitt­el wie Tomaten haltbar? In Form von Relish beispielsw­eise
Wie macht man Lebensmitt­el wie Tomaten haltbar? In Form von Relish beispielsw­eise
 ??  ?? Was wächst? Was braucht mehr Aufmerksam­keit? Die Schwestern beim Gärtnern im Gewächshau­s. Hier wird viel ausprobier­t
Was wächst? Was braucht mehr Aufmerksam­keit? Die Schwestern beim Gärtnern im Gewächshau­s. Hier wird viel ausprobier­t
 ??  ?? Die Blüten des Flieders sind essbar: Lisa macht daraus Blütensiru­p für Sommerdrin­ks, Fliederlim­onade und Blütenzuck­er
Die Blüten des Flieders sind essbar: Lisa macht daraus Blütensiru­p für Sommerdrin­ks, Fliederlim­onade und Blütenzuck­er
 ??  ?? OBEN: Ihr Wissen über Pferde gibt Lisa an ihre Tochter Luise weiter.
UNTEN: Lisa (re.) und Steffi (li.) als Kinder mit ihrem Bruder im Küchengart­en
OBEN: Ihr Wissen über Pferde gibt Lisa an ihre Tochter Luise weiter. UNTEN: Lisa (re.) und Steffi (li.) als Kinder mit ihrem Bruder im Küchengart­en
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