PCOS – die Hormonstörung, die niemand kennt
…obwohl eine Million Frauen davon betroffen sind
Ddie heißen Sommer waren für Mina* in ihrer Jugend immer am schlimmsten. Dann offenbarte sich, was sie sonst unter langen Ärmeln und Hosen versteckte: der dunkle Flaum an Armen, Beinen, Nacken und Rücken, die Akne auf dem Dekolleté sowie die zehn Kilo Übergewicht. Die heute 30-jährige Berlinerin litt in der Pubertät, in der man besonders kritisch mit sich selbst ist, enorm unter ihrem Körper. Damals wusste sie nicht, dass eine Krankheit hat, die ihren Körper verändert. Es sollten 15 Jahre vergehen, bis sie einen Namen für ihre Beschwerden bekam: polyzystisches Ovarialsyndrom, kurz PCOS. Eine Million Frauen in Deutschland sind davon betroffen. Obwohl es die häufigste Hormonstörung bei Frauen im gebärfähigen Alter ist, gibt PCOS noch immer Rätsel auf.
Nein, mit Zysten hat diese Erkrankung der Eierstöcke nichts zu tun
Polyzystisches Ovarsyndrom – der komplizierte Name führt zunächst mal in die Irre. Zysten liegen nämlich gar nicht vor. Stattdessen kleben an der Außenhülle der Eierstöcke, anders als bei gesunden Frauen, viele wassergefüllte Bläschen mit lauter unreifen Eizellen. Betroffene haben nur selten einen Eisprung und deshalb oft monatelang keine Menstruation. Typisch für PCOS ist zudem ein zu hoher Testosteronspiegel, der Pickel sprießen und Haare am Körper wachsen lässt, während die auf dem Kopf ausfallen. Manchmal wirkt sogar die Körperstatur männlicher, da die
Schultern breiter werden. Dank ihrer langen Haare und der weich geschwungenen Lippen sieht Mina zum Glück, wie sie sagt, sehr weiblich aus. Dass ihre Regel die meiste Zeit ausblieb, irritierte sie jedoch so sehr, dass sie mit 18 Jahren einer Frauenärztin ihr Leid klagte. Die Gynäkologin tippte zurecht auf ein „Hormonproblem“, ging der Sache aber nicht weiter auf den Grund und verschrieb die Pille. Die enthaltenen Östrogene regulierten Minas Zyklus tatsächlich. „Allerdings fühlte ich mich durch die Hormone plötzlich depressiv und setzte sie wieder ab“, sagt Mina. „Mir war dann erst mal alles egal. Es ist ja auch angenehm, nicht so oft die Tage zu haben. Trotzdem blieb im Verborgenen das Gefühl, dass mein Körper fehlerhaft ist.“
Die Genetik und andere Ursachen
Warum sich ein Pco-syndrom entwickelt, ist bis heute nicht geklärt. Sicher ist, dass Betroffene zu viele männliche Hormone im Blut haben. Schuld daran sind entweder die Gene oder eine Insulinresistenz, die aber auch wieder erblich bedingt sein kann. Davon spricht man, wenn die Körperzellen nicht so stark auf Insulin reagieren, wie sie sollten. „In der Folge produziert der Körper immer mehr Insulin, das über verschiedene Mechanismen dafür sorgt, dass der Testosteronspiegel im Körper steigt und zu den beschriebenen Symptomen führt“, erklärt Endokrinologin Dr. Susanne Reger-tan vom Universitätsklinikum Essen. Zu viel Insulin im Blut fördert zudem Übergewicht, wodurch die Insulinresistenz aber nochmals zunimmt und die Pfunde weiter wachsen. Ein Teufelskreis entsteht. „Im Lauf der Zeit entwickeln PCOSPatientinnen dann häufig Diabetes und Herz-kreislauf-krankheiten“, sagt die Düsseldorfer Endokrinologin Dr. Susanne Hahn.
»Mich begleitete ständig das Gefühl, dass mein Körper fehlerhaft ist« – MINA LEIDET UNTER DEM PCO-SYNDROM
Hoher Leidensdruck und sehr viel Scham
Wie stark die erbliche Komponente beim Pco-syndrom ist, zeigen Studien. Danach leiden bis zu 35 Prozent der Mütter und 25 Prozent der Schwestern betroffener Frauen ebenfalls am polyzystischen Ovarsyndrom. Auch Minas Mutter zeigte die beschriebenen Symptome, hatte immer eine unregelmäßige Periode und ist eine stark übergewichtige Diabetikerin. Die Sorge, dass sich die Krankengeschichte ihrer Mama bei ihr wiederholen könnte, motiviert Mina, für ihren Körper etwas zu tun: Sie fährt viel Fahrrad, schwimmt regelmäßig und probiert immer wieder neue Diäten aus. Nachhaltigen Erfolg hat sie damit zunächst aber nicht. Abzunehmen ist für Pcos-patientinnen doppelt schwer: Das viele Insulin im Körper macht Appetit und verhindert den Abbau von Körperfett. Alleine das Gewicht zu halten, wird da oft schon zur Lebensaufgabe. Der ewige Kampf wirkt zermürbend auf die Psyche. Die Medizinerinnen
Susanne Hahn und Susanne Regertan haben in einer Studie herausgefunden, dass der Leidensdruck bei Pcos-patientinnen mit dem chronischer Schmerzpatientinnen vergleichbar ist. Betroffene Frauen sind unzufriedener mit ihrem Leben und fühlen sich durch die Krankheit deutlich in ihren Aktivitäten eingeschränkt. Reger-tan berichtet von einer Patientin, die beispielsweise nie mit ihren Kolleginnen nach Feierabend ausging, aus Angst, sie könnten sich über ihren sprießenden Abendbart wundern. „In einer Gesellschaft, die von Frauen eine schlanke Figur, perfekte Haut und minimalste Körperbehaarung fordert, haben es Pcospatientinnen schwer.“Viele sind voller Scham und trauen sich oftmals noch nicht einmal, in der Praxis von ihren Symptomen zu erzählen. Das ist ein Grund, warum es häufig viele Jahre bis zur Diagnose „polyzystisches Ovarsyndrom“braucht. Der andere ist, dass die Symptome von etlichen Ärztinnen und Ärzten immer noch nicht richtig ernst genommen werden.
Ein Diabetesmedikament kann helfen
Obwohl Mina lange Jahre immer wieder neue Praxen aufsucht und fragt, was mit ihr los sein könne, fühlt sie sich nirgends verstanden. Viele Mediziner und Medizinerinnen trösteten sie nur nach dem Motto: gibt Schlimmeres. Dabei weiß man heute, dass eine frühe Behandlung wichtig ist, damit man die stete Gewichtszunahme und die Folgeerkrankungen verhindern kann. Wie Mina schließlich doch noch eine Diagnose bekam? Sie recherchierte weiter im Internet ihre Symptome und stieß mit knapp 30 Jahren auf den Begriff Pco-syndrom. Die daraufhin konsultierte gynäkologische Endokrinologin bestätigte ihre Selbstdiagnose. Um ihre Hormone sanft zu regulieren, verordnete
Viele Mediziner und Medizinerinnen trösten Mina nur nach dem Motto: Gibt Schlimmeres
ihr die Ärztin den Verhütungsring. „Ich habe jetzt wieder regelmäßig eine Blutung, meine Hormonwerte verbessern sich und vom Gewicht her ist laut meiner Ärztin auch alles okay“, sagt Mina. Stark übergewichtige Frauen müssen dagegen erst mal mit ärztlicher Hilfe ihre Pfunde verlieren. Bewährt hat sich eine kohlenhydratarme Ernährung, da sie den Insulinspiegel schwächer beeinflusst. „Durch eine Reduzierung des Gewichts werden die Pcossymptome meist deutlich besser“, sagt Endokrinologin Hahn. Wichtig ist das vor allem für Frauen mit Kinderwunsch, sonst legen sie ihrem Nachwuchs die Insulinresistenz quasi direkt in die Wiege. Das Diabetesmedikament
„Metformin“kann das Abnehmen unterstützen und auch die übrigen Beschwerden reduzieren: „Es reguliert die Insulinresistenz und vermindert in der Nebenniere sowie im Eierstock die Androgenproduktion, der Eisprung kommt wieder“, erklärt Hahn. Auch wenn das Pcosyndrom leider nicht heilbar ist, so kann man die Beschwerden doch deutlich lindern. Mina geht mit ihren Körper inzwischen sehr pragmatisch um: Sie waxt ihr Beine, statt sie zu rasieren und findet unbekannte Badeseen sowieso schöner als das volle Stadtfreibad. Mina: „Und wenn ich dann doch mal schwanger werden möchte, weiß ich, wo ich Hilfe finde.“