Eigentlich … sollte ich keine Glitzershirts mehr tragen,
In jedem Heft denkt unsere Kolumnistin Constanze Kleis darüber nach, warum es im Leben oft so anders läuft als geplant
weiß Autorin Constanze Kleis. Aber daran will sie sich nicht immer halten
Und auch keine Miniröcke, Cowboystiefel oder Latzhosen. Außerdem, befand erst kürzlich Alexandra Shulman, ehemalige Chefin der britischen „Vogue“, sind auch Boyfriend-jeans und Spitzenbustiers keinesfalls altersadäquate Kleidungsstücke für eine über 50-Jährige. Und zwar egal, „wie knackig die Brüste, wie großartig deine Beine und wie unsichtbar deine Oberarmflügel“noch sind. Das gelte sogar für Ex-supermodels wie Helena Christensen (Jahrgang 1968), die in einem solchen Outfit zum Geburtstag ihrer Model-kollegin Gigi Hadid unterwegs war. Ein Umstand, den Shulman zum Anlass genommen hatte, einmal grundsätzlich zu klären, dass bestimmte Klamotten nur ein Privileg der Jugend wären.
Allerdings macht diese Jugend – jedenfalls, was ich so beobachte – kaum Gebrauch davon. Bereits 14-Jährige kleiden sich so stromlinienförmig-erwachsen und sind so perfekt geschminkt, als wären sie alle unterwegs zu einem Bewerbungsgespräch in einer hippen Marketing- oder Pr-agentur. Und auch das Prinzip von „Germany’s Next Topmodel“basiert alle Jahre wieder darauf, dass man als „Määääädchen“eine Art Revuegirl sein soll, das keinesfalls aus der Reihe tanzt und genauso wie alle anderen auszusehen hat. Kaum eine der Kandidatinnen trägt abseits des Laufstegs etwas, das auch nur entfernt an den Spaß erinnert, den man doch gerade in diesem Alter haben sollte. Den Spaß an all dem Mix & Match, den Mode-experimenten, den grandiosen Fehlgriffen und dem Eigensinn, selbst zu bestimmen, was man wann und wie zu tragen hat. Das müssen andere erledigen. Frauen wie die mindestens 75-Jährige, die kürzlich vor mir auf einer Rolltreppe stand. Sie hatte sich zwei kleine Zöpfe gebunden und rote Kleckse auf die Wangen gemalt. Dazu trug sie dunkelblauen Glitzer-lidschatten, ein Mädchenkleid und Ballerinas mit Herzchen drauf. Ich gebe zu: Mein erster Impuls war: „Oh mein Gott, da hat sich aber eine gründlich in ihrer Lebensphase geirrt!“Am liebsten hätte ich sie an die Hand genommen, wäre mit ihr zum Shoppen gegangen oder zum Friseur. Bis wir oben ankamen. Dort wartete ein gleichaltriger Mann auf sie. Sehr fein hatte er sich gemacht und Rasierwasser schon mal auf Vorrat für die nächsten vier Wochen aufgelegt. Als er sie sah, leuchteten seine Augen und auch sie freute sich wie eine Schneekönigin, ihn zu sehen. Man spürte sofort, da sind zwei total hingerissen voneinander. Wer weiß, vielleicht hätte er sich ohne ihre Zöpfchen, mit einem praktischen Kurzhaarschnitt und in einem vorschriftsmäßig-unauffälligen Senioren-beige gar nicht in sie verliebt? Möglicherweise betet er ja gerade ihre hochroten Rouge-wangen an? Jedenfalls erschien sie mir jetzt wie das coolste Mädchen auf dem Schulhof des Lebens. Eine, die sich nonchalant über die Regeln der Fashionpolizei hinwegsetzt und gerade deshalb Frauen wie Alexandra Shulman ganz schön alt aussehen lässt. Ich jedenfalls werde mir eine Scheibe von dieser Beherztheit und „Mir egal, was andere davon halten“-mentalität abschneiden und ein Glitzershirt shoppen, gerade weil es so exzellent zu meinen Cowboy-boots und so gar nicht zu meinem Alter passt.