»DAS HAST DU GUT GEMACHT!«
Warum wir öfter Selbstgespräche führen sollten
Mittwochabend, 18.30 Uhr in meiner Küche. Während ich in meinen Salat Light-feta schnibble, frage ich mich, wem ich mit kalorienreduziertem Käse eigentlich was beweisen will. Ich verdrehe die Augen und sage „Oh Mann, Lara, echt ey“in den leeren Raum. Zack, da ist es schon wieder passiert: Ich bin im Selbstgesprächsmodus. Und weil ich schon dabei bin, bespreche mit mir selbst direkt auch noch eine Situation vom Vormittag, in der ich gerne souveräner aufgetreten wäre. „Warum hast du dich abwimmeln lassen? Einfach mal dranbleiben, hartnäckig sein.“
BIN ICH NOCH NORMAL?
Ich muss zugeben: Ich rede oft und gerne mit mir selbst. Mit wem auch sonst? Seit über einem Jahr arbeite ich im Homeoffice. Ich habe nicht mal ein Haustier, dem ich meine Gedanken aufbürden könnte. Aber sind tägliche Diskussionen mit mir selbst noch normal oder nimmt es langsam überhand? Sollte ich mir Sorgen machen? Ich tue, was ich immer tue, wenn ich befürchte, mit einem Problem allein zu sein und suche Verbündete in meinem Freundeskreis. Die Rückmeldungen meiner Liebsten sind enttäuschend. Und zeigen mir: Das Selbstgespräch hat einen miserablen Ruf. Stimme im Kopf? Ja schon, auch mal ein kurzes „Wo hab ich schon wieder den Schlüssel?“, das macht „ja jeder“. Aber richtige Gespräche? Führen sie angeblich nicht, das wär ja auch „gaga“. Oh shit. Mir schießen Gruselgeschichten durch den Kopf von stimmenhörenden Gestalten, die vor sich hin murmelnd durch den Alltag wandeln. Eine schnelle Netzrecherche bringt zum Glück erste Erleichterung. In einem Video erklärt ein „Life-coach“das Selbstgespräch zum „wichtigsten Dialog unseres Lebens“. Ungeachtet der wissenschaftlichen Glaubwürdigkeit ist der Satz in diesem Moment Musik in meinen Ohren. Was wichtig ist, kann ja nicht wunderlich sein, oder? Wenige Klicks weiter fühle mich noch ein Stück besser: Us-forscher gehen davon aus, dass fast jeder Erwachsene eine innere Stimme hat, mit der er oder sie hin und wieder spricht. Wie stark ausgeprägt wir das tun, und ob wir den Dialog nur im Inneren, also leise, oder tatsächlich laut sprechend führen, variiere von Mensch zu Mensch.
Und siehe da: Just meldet sich per Handy doch noch eine Selbstgesprächige aus meiner Clique. Sie rede sich vor ihren Uni-prüfungen vorm Spiegel stehend gut zu, mit Sätzen wie: „Du schaffst das, du kannst das.“Selbstgespräche als Motivation sind gesellschaftlich am ehesten toleriert.
Wahrscheinlich, weil wir sie von unseren Sport-idolen kennen. Mick Schumacher sprach erst kürzlich in einem Interview über die Selbstgespräche, die er auf der Rennstrecke führt. Von Tennisspieler Tommy Haas finde ich herrlich amüsante Videobeweise auf Youtube („Tommy Haas talking to himself“).
DIE STIMMEN IN MEINEM KOPF
In herausfordernden Situationen mit sich selbst zu sprechen, ist laut Forschenden ziemlich schlau. Denn: Ein Selbstgespräch schafft Distanz, wodurch wir die Situation angeblich besser beurteilen können. Die amerikanische Psychologin Dolores Albarracín schreibt in ihrer Studie, dass besonders „fragende Selbstgespräche zu zielorientierterem Handeln führen“. Was sie damit meint? Als Fragen formuliert, regen Selbstgespräche anscheinend nicht nur unser Bewusstsein an, sondern setzen zugleich voraus, dass unser Vorhaben gelingt. Besonders zielführend sei es, dabei von sich in der zweiten oder gar dritten Person zu sprechen. In meinem Fall hieße das dann statt „Ich schaffe das“, „Lara schafft das“oder am besten als Frage „Lara, wie schaffst du das jetzt?“. Ganz ehrlich: Das klingt für mich furchtbar inszeniert. Bei meinen Selbstgesprächen geht es selten darum, mich zu motivieren. Ich finde es erlösend, meine Gedanken frei zu lassen. Was ich nicht im Kopf habe, kann mich nicht stressen. Es beruhigt mich, meine Stimme zu hören und ich leiste mir selbst gern Gesellschaft. Ob das anderen ebenso geht? Ich starte einen zweiten Anlauf auf der » Suche nach Gleichgesinnten, mit
hab Heute morgen Interview ich ein fiktives Jimmy mit über mich Kimmel selbst geführt
Toni, 20
denen ich mich austauschen kann. Diesmal setze ich auf die Anonymität sozialer Medien und frage die Community des Instagram-magazins (@aenne.official), das ich mit zwei Freundinnen betreibe. Jackpot! Die meisten berichten auch hier von Selbstgesprächen zur Vorbereitung auf prekäre Situationen wie Bewerbungsoder private Krisengespräche. Zu meiner Erleichterung schreiben aber auch einige von sinnlosem Gebrabbel oder dem Kommentieren ihres Alltags-verhaltens.
SCHWATZEN GEGEN EINSAMKEIT
Dass ich in den letzten Monaten häufiger den Solo-plausch suche, ergibt Sinn. Laut der „Sozialen Isolationshypothese“, aufgestellt von USPsychologe Thomas Brinthaupt, der seit 20 Jahren die Psychologie der Selbstgespräche studiert, sprechen Menschen, die sich einsam fühlen, häufiger mit sich selbst. Der Grund: Bei Selbstgesprächen werden mitunter dieselben Hirnregionen aktiviert wie bei Dialogen. Dadurch fühle ich mich laut Brinthaupts Forschung für eine kurze Zeit so, als sei ich wirklich an einer sozialen Interaktion beteiligt. Es ist ein bisschen so wie bei meinem Light-feta: die Ersatzlösung zur echten Variante. Brinthaupt hat eine „Self-talk“-skala entwickelt, nach der die Schwätzchen mit sich selbst je nach Intensität dazu dienen, sich zu organisieren, sich selbst zu bestärken oder zu kritisieren. Wie intensiv jemand das Selbstgespräch tatsächlich nutzt, hängt dabei offenbar von der Persönlichkeit ab. Als Journalistin bin ich laut Brinthaupt prädestiniert für Selbstgespräche, da Menschen, die in ihrem Beruf viel mit Sprache zu tun haben, Untersuchungen zufolge mehr mit sich selbst reden. Fachleute unterscheiden übrigens kaum zwischen dem leisen und lauten Selbstgespräch, weil sie sich in ihrer Wirkung wenig unterscheiden.
Ich bemerke allerdings: So richtig einig sind sich die Expertinnen und Experten in Sachen Selbstgespräche nicht. Kein Wunder: Schließlich sind Selbstgespräche subjektive innere Prozesse, die wissenschaftlich nur schwer messbar sind. Eindeutig sind die Erkenntnisse nur, wenn es um die Entstehung der inneren Stimme in jungen Jahren geht. Wer schon mal ein Kind beim Spielen beobachtet hat, weiß, dass es oft angeregte Gespräche mit sich selbst führt. Ich habe es geliebt, beim Spielen die Welt um mich herum zu vergessen und erinnere mich, wie meine kleine Schwester vor dem Schlafengehen noch ewig in ihrem Bett vor sich hinplapperte. Dieses kindliche Sprechen dient nicht nur der Kommunikation, es ist wichtig für die Sprach- und Denkentwicklung. So sagt es zumindest die Theorie des russischen Psychologen Lew Wygotski. Als er in den 1930erjahren die Selbstgespräche von Kindern untersuchte, stellte er fest, dass ihre Sprachaktivität intensiver wurde, wenn sich Probleme der Spielsituation häuften und die Lösung logisches Denken erforderte. Das bestätigen auch neuere Studien mit Erwachsenen: Müssen wir eine schwierige Aufgabe
im Gestern hab ich Baumarkt mit mir den diskutiert, ob ich Kirschbaum als Frustkauf mitnehme
Anni, 32
lösen, hilft uns lautes Sprechen dabei enorm. Wer schon mal ein Möbelstück aufgebaut oder zum ersten Mal eine Socke mit Muster gestrickt hat, wird das bestätigen können. Aber noch mal zurück: Je älter Kinder werden, desto mehr verstummen ihre Selbstgespräche. Dabei verschwinden sie nicht, sondern verlagern sich nach innen, die innere Stimme bildet sich. Spätestens im Grundschulalter wird das Selbstgespräch dann meist nur noch stumm geführt, vermutlich, weil sich die laute Version nicht mehr mit sozialen Normen verträgt. Superinteressant: Weil auch Dialoge verinnerlicht werden, sollten Eltern versuchen, möglichst positiv und konstruktiv mit ihren Sprösslingen zu sprechen. Laut einer Studie der deutschen Psycholinguistin Anke Werani beeinflusst das maßgeblich, wie Kinder es z.b. später schaffen, sich selbst zu motivieren und Mut zuzusprechen.
WICHTIG IST NICHT, WAS WIR REDEN, SONDERN WIE
Je mehr ich mich mit dem Thema befasse, desto faszinierter bin ich. Spätestens als ich das Buch „Selbstgespräche“des Psychologen Charles Fernyhough lese, bin ich vollends gefangen. Fernyhough leitet das Projekt „Hearing the Voice“an der britischen Durham University und gilt als Koryphäe. „Lange sagte die Forschung, dass sich Selbstgespräche für zivilisierte Menschen nicht gehören.
Heute wissen wir, dass sie bis ins Erwachsenenalter wertvoll sind“, schreibt er. Bei der Lektüre steigen unaufhörlich Fragen in mir auf: Höre ich beim Lesen eine Stimme? Ist das meine? Ist sie wohlwollend? Kritisch? Gar sarkastisch?
Während ich in meinem Umfeld alle mit dem Thema langsam, aber sicher verrückt mache, werde ich immer selbstbewusster, was meine eigenen Plaudereien betrifft. Selbstgespräche sind völlig zu Unrecht verpönt! Im Gegenteil, sie haben fast nur Vorteile: Sie fördern den Stressabbau, sortieren Gedanken, steuern die Aufmerksamkeit, stärken unsere Erinnerung und helfen uns, Entscheidungen zu treffen. Durch sie bekommen wir die kritisch-konstruktive Perspektive auf unser Tun, da wir die Sicht eines anderen Selbst einnehmen. Die Sportlerin schlüpft in die Rolle des Trainers, um ihre Leistung zu beurteilen. Indem ich beim Schnibbel-schnack übe, Argumente gut zu artikulieren, wappne ich mich für kommende forderne Dialoge. Wichtig ist aber, dass die eigene Stimme nicht zu negativ ist oder wird. Wer stets von einer inneren Kritikerin fertiggemacht wird, sollte das als Alarmzeichen werten. Genauso, wenn das Gehirn nicht mehr versteht, dass es die Stimme selbst generiert, sondern sie als Stimmen anderer wahrnimmt. Dann sprechen Fachleute von Halluzinationen – die z.b. bei Schizophrenie, Alkoholismus und Demenz auftreten können. Um die positive Stimme dauerhaft zu stärken, raten Fachleute dazu, sich regelmäßig Komplimente zu machen, wenn Dinge gelingen. Wie meine Kollegin, die mit beherzten „Nice!“-ausrufen verbale Social-media-likes an sich selbst verteilt. Mein Selbstlob für heute überlege ich mir auf dem Weg zum Supermarkt, der gleich schließt. Bevor ich eintrete, sage ich mir noch laut: Lara, heute gibt’s mal Vollfett-feta.
Meistens brabble ich vor mich hin, wenn ich mich über irgendwas aufrege
Christin, 28