Wechseljahre
Für ein zweites Kind bleibt ihr noch genug Zeit, hatte Susanne immer gedacht. Doch mit Ende 30 bekommt sie die Diagnose: Menopause! Wenn die Wechseljahre viel zu früh beginnen
So schaffen wir es, die neue Lebensphase besser anzunehmen
Es war wie ein Schlag ins Gesicht: „Sie sind in den Wechseljahren“, sagte die Ärztin. Fünf Wörter, die mit einem Mal alle Träume und Hoffnungen von Susanne Winter* zunichtemachten. Die Münchnerin war zu dem Zeitpunkt, als sie die Nachricht bekam, gerade einmal 37 Jahre alt und wünschte sich nichts sehnlicher als noch ein Baby. Heute ist es normal, dass Frauen auch nach ihrem 35. Lebensjahr Kinder bekommen. Was viele dabei nicht wissen: Die Wechseljahre können vorzeitig eintreten. Und das geschieht häufiger, als man denkt. Bei etwa einer von 100 Frauen in Deutschland tritt die Menopause nicht erst mit durchschnittlich 51 Jahren, sondern vor dem 40. Lebensjahr ein; bei jeder 1000. sogar vor dem 30.
Auch Susanne ahnte von all dem nichts. Mit 34 Jahren scheint ihr Leben perfekt: Sie hat in der Wirtschaft Karriere gemacht, ist verheiratet und bekommt ihren Sohn Leon. Genau, wie sie es geplant hatte. „Bis Mitte 30 habe ich versucht, kein Kind zu bekommen“, erinnert sie sich heute. „Einmal bin ich schwanger geworden, mit 21 Jahren, da habe ich abtreiben lassen, es passte nicht.“Zu Susannes Plan gehört ein zweites Kind, auch wenn ihr Mann davon wenig begeistert ist. Aber es tut sich nichts. Susanne fragt sich, ob es am Beziehungsstress liegt, vertraut sich ihrer Ärztin an und beginnt eine Hormonbehandlung. Wieder vergehen Monate, ohne dass Susanne schwanger wird. Als sie 37 wird, setzt sie die Hormone ab.
Was dann passiert, kommt für sie völlig überraschend: „Ich hatte keine Blutung mehr.“Stattdessen attackieren sie Hitzewallungen, der Schweiß färbt ihre T-shirts dunkel, in Meetings läuft sie von jetzt auf gleich knallrot an. Sie bekommt klassische Wechseljahresbeschwerden.
Die Menopause tritt ein, wenn die Funktion der Eierstöcke erloschen ist, wenn sie keine Eizellen und Hormone mehr produzieren können. Gründe dafür gibt es viele, erklärt Professor Thomas Strowitzki, Ärztlicher Direktor für Gynäkologische Endokrinologie und Fertilitätsstörungen an der Universitäts-frauenklinik Heidelberg: „Die Eierstöcke können durch aggressive Chemotherapien oder Bestrahlungen bei Krebsbehandlungen geschädigt werden, genauso wie durch bestimmte Autoimmun- oder Stoffwechselerkrankungen. Die Funktion kann aber auch durch eine Fehlbildung der Eierstöcke eingeschränkt sein.“Auch eine Sterilisation der Frau oder Rauchen kann den Eintritt der Wechseljahre vorverlegen, wenn auch nur um zwei bis drei Jahre.
Warum sich in der Mitte des Lebens der Hormonhaushalt manchmal völlig überraschend ändert
Am häufigsten bestimmen aber schlicht die Gene, wann die Wechseljahre beginnen. Oft erkennt man über Generationen, dass Frauen einer Familie besonders früh in die Menopause kommen. Sie besitzen in ihren Eierstöcken einfach weniger Eibläschen als andere. Bei der ersten Regelblutung hat jede Frau einen Vorrat zwischen 300 000 und 500 000 Eibläschen, sogenannte Follikel. Jeden Monat reifen davon etwa 1000 Follikel heran. Aber nur in einem da
von ihnen entwickelt sich normalerweise eine Eizelle, die übrigen Follikel werden vom Körper absorbiert. So schrumpft über die Jahre der Follikel-vorrat immer mehr und immer seltener kommt es zum Eisprung. Das hat Folgen: Wenn keine Follikel mehr heranreifen, produziert der Körper weniger Östrogen und Progesteron. Die Hormone spielen verrückt und die Wechseljahresbeschwerden entstehen.
Vorzeitig im Wechsel – vorzeitig alt?
Die meisten Frauen sind auf den Wechsel vorbereitet, denn der Umbauprozess des Körpers beginnt meist schleichend mit unregelmäßigen Blutungen oder einzelnen Hitzeanfällen. Susanne Winter trifft die Diagnose dagegen aus heiterem Himmel: „Ich war geschockt und tieftraurig.“Wenn die Eierstöcke keine Eizellen mehr bilden, verändert das vieles, vor allem von langer Hand konstruierte Lebenspläne. „Während sich die einen vielleicht sogar freuen, sich nicht mehr mit ihrer Periode herumschlagen zu müssen, geht es für andere um mehr. Es geht um Kinderwünsche, ums ‚Frausein‘ und darum, sich mit Fragen auseinandersetzen zu müssen, denen man sich erst in ferner Zukunft stellen wollte“, schreibt Autorin Michelle Sensel auf ihrem Blog zum Thema vorzeitige Wechseljahre. Sensel ist selbst Risikokandidatin, mehrere ihrer weiblichen Familienmitglieder sind früh in die Menopause gekommen.
Susanne Winter fühlt sich mit ihrer Diagnose alleine gelassen. Ihr Mann, der sich später von ihr trennen wird, ist froh, um eine zweite Elternschaft herumzukommen. Von schwangeren Freundinnen zieht sie sich zurück, sie hält die Begegnung nicht aus. Von einem Paar, das selbst darum kämpft, Eltern zu werden, hört sie den Satz: „Sei doch froh, du hast wenigstens schon ein Kind.“Das verletzt sie. Gleichzeitig stellt sie vieles infrage, vor allem sich selbst. Ihr Selbstwert leidet. Insgeheim nennt sie sich selbst eine „taube Nuss“. Und fragt sich: „Bin ich noch eine Frau?“
BETROFFENE FÜHLEN SICH OFT ALLEIN GELASSEN
Kein Medikament der Welt kann die Wechseljahre nach hinten schieben. Trotzdem können Frauen, in deren Familien es eine entsprechende Veranlagung gibt, in einem Bereich vorsorgen: Sie können ihre Eizellen einfrieren lassen, wie Gynäkologe Strowitzki sagt. Für die meisten Betroffenen ist nämlich die Kinderlosigkeit die größte Belastung. Mithilfe einer künstlichen Befruchtung können die Frauen dann auch noch zu einem späteren Zeitpunkt Kinder bekommen. Leider wird Social Freezing selbst im Fall der vorzeitigen Wechseljahre nicht von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt. Die Frauen müssen dementsprechend mit Kosten von mehreren Tausend Euro rechnen.
Und die Gesundheit? Leidet auch!
Die frühe Menopause hat aber nicht nur Auswirkungen auf die Familienplanung, sondern auch auf die Gesundheit der Frauen. Weibliche Hormone schützen unter anderem vor Osteoporose und Herz-kreislauf-erkrankungen. „Sobald sie fehlen, steigt das Risiko für diese und andere Krankheiten“, erklärt Strowitzki. Gynäkologen empfehlen deshalb Frauen, die vor 40 in den Wechsel kommen, eine Hormonersatztherapie bis zum Durchschnittsalter der natürlichen Menopause mit etwa 51 Jahren. Die Tabletten gleichen dann die fehlenden körpereigenen Hormone aus. Auch Susanne Winter bekommt eine solche Therapie verordnet. Doch die Hormone bringen die Münchnerin aus dem emotionalen Gleichgewicht. „Ich war total auf Krawall gebürstet.“Nach jahrelangem Hin und Her wechselt sie mit Anfang 40 die Gynäkologin. Erstmals kommt sie in eine Praxis, in der man ihr zuhört. „Die Ärztin hat sich Zeit genommen für mich und meine Geschichte.“Auch therapeutisch gibt es einen neuen Weg: Sie setzt die Präparate ab und nimmt die Antibabypille, die die Östrogene und Gestagene in einer abgeschwächten Form enthält. „Damit gingen die Hitzen schlagartig weg. Das hat mir wieder Lebensqualität geschenkt.“Bis zum 47. Lebensjahr nimmt Susanne weiter die Pille, dann beschließt die heute 50-Jährige: „Ich will keine Hormonsubstitution mehr. Die Wechseljahre dürfen jetzt sein.“
Zusammen lassen sich die Wechseljahre besser ertragen
Mit über 50 fühlt sie sich bereit für die Umstellung und außerdem ist sie jetzt nicht mehr allein damit. Allmählich kündigt sich auch bei ihren gleichaltrigen Freundinnen der Wechsel an. „Frauen, die mit 50 in die Wechseljahre kommen, tragen das mit mehr Stolz“, stellt sie fest. „Mit Mitte 30 habe ich das nicht geschafft. Da habe ich an mir gezweifelt.“Es ist genau dieser Zweifel, gegen den die Bloggerin Michelle Sensel anschreibt. Sie will Frauen Mut machen, denn: „Weiblichkeit ist ein Gefühl, das nicht auf das Geschlecht begrenzt ist. Frausein wird weder durch funktionierende Eierstöcke definiert noch durch die Anzahl an Kindern, die man geboren hat.“Betroffenen rät sie: „Liebt euren Uterus – wenn ihr einen habt –, aber liebt vor allem euch selbst. Vergesst, was früher als weiblich galt und besinnt euch lieber darauf, was ihr selbst ungeachtet äußerer Einflüsse fühlt.“
Susanne Winter hat lange gebraucht, bis sie aufhörte, mit dem Verlust ihrer Fruchtbarkeit zu hadern, bis sie durch die Gespräche mit ihren Freundinnen ihre neue Weiblichkeit akzeptieren konnte. Wenn sie auf ihre Dreißiger zurückblickt, erschreckt sie manchmal, wie viel Druck da war. Sich selbst gegenüber, aber auch vonseiten der Gesellschaft: „In der Rückschau kommen mir diese Jahre vor wie ein unausgesprochener Wettlauf mit anderen Frauen.“Mit Anfang 20 konstruierte Lebenspläne? Im Voraus eingeplante Zeitfenster fürs Kinderkriegen? Heute sieht sie darin ein System, das Frauen enormem Stress aussetzt. Weniger planen, mehr annehmen, würde sie ihrem jüngeren Ich raten: „Akzeptiere, was ist. Das ist einfach das Leben.“
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