Nah am Wasser gebaut: Bordeaux
Lange Zeit war der Kaufmannssitz etwas düster und eher langweilig. Mittlerweile glänzt die Metropole an der Garonne wie zu ihren besten Zeiten. Das Lebensgefühl: aufregend jung und herrlich entspannt
Ein Besuch in der romantischen Hafenstadt im Südwesten Frankreichs
TTanzen im Wasser, umweht von Nebelschwaden, durch kleine, sprühende Fontänen hindurch – das machen Ninon und Pierre öfter mal in ihrer Freizeit. „C’est magique!“, seufzt Ninon, während sie kurz durchschnauft. Einmal in der Woche trifft sich die kürzlich aus Paris Zugezogene mit Pierre und anderen Mitgliedern ihrer Tanzgruppe am Miroir d’eau – dem „Wasser-spiegel“, der seit 2006 Leichtigkeit ins Stadtbild zaubert. Aus den Ritzen im Granitpflaster des riesigen Brunnen-kunstwerks sprudelt es in wechselnden Rhythmen, in ruhigen Phasen spiegeln sich die pompösen Bauten des Börsenplatzes auf der Wasserfläche. Dann versiegen die kleinen Quellen und die dünne Wasserschicht verdunstet innerhalb von Minuten. Nicht nur für Ninon und Pierre, auch für Spaziergänger, Kinder und Touristen ist das Kunstwerk zu einem magischen Anziehungspunkt an der Uferpromenade der Garonne geworden. Der Miroir d’eau ist das beste Beispiel dafür, wie sehr sich Bordeaux in den letzten Jahren gewandelt hat: von einer gutbürgerlichen, etwas vornehm-hüftsteifen Kaufmannsstadt zu einer aufregenden Metropole, die auch für junge Leute attraktiv ist. Genau das richtige Reiseziel, um sich wieder an das Gefühl eines unbeschwerten Städtetrips zu gewöhnen.
ALTE STADT IN NEUEM GEWAND
Der Wandel der Stadt begann 1998 mit einem fast 15 Jahre andauernden Facelifting der damals arg grauen Altstadt. Nach einem Hochdruckpeeling verströmen die Sandsteinfassaden der Bürgerhäuser wieder den goldgelben Glanz früherer Zeiten. In den lange eher düsteren Gassen um die Stadttore sind neue Bars und Boutiquen untergekommen. Craft-beer und Kunsthandwerk, Mode und Accessoires, lauschige Hinterhof-cafés: So sieht heute das Angebot im Viertel rund um die Doppeltürme der Porte de la Grosse Cloche aus, dem „Tor der fetten Glocke“. Die angrenzende Altstadt mit ihren dicht betischten Plätzen brummt abends wie ein Bienenstock.
Wer sich ein bisschen entfernt vom gastlichen Gewusel, kann auf der Rückseite des Tors durch ein Labyrinth kleiner Sträßchen mit Blumenbalkonen schlendern, das MultikultiViertel Capucins. In der Rue Camille Sauvageau gibt es wundersame Entdeckungen zu machen, wie den Café-laden „La Source“des Lebenskünstlers Matteo Laghoueg. Bei einer frischen Markt-schüssel oder Käseauswahl erklärt er seinen Gästen den auf Reisen gefundenen und liebevoll restaurierten Trödel. Während man speist, kann man sich überlegen, ob man lieber die Pappmaschee-giraffe oder das antike
Mikroskop als Souvenir mitnehmen möchte. Oder doch lieber etwas Ethno-kunsthandwerk? Gegenüber hat nämlich Laura Loghin ihre Boutique „Chineurs du Monde“, in der sie Geschirr und Accessoires verkauft, die sie von ihren Reisen nach Marokko und Rumänien mitbringt.
AUF EIN SCHLÜCKCHEN WEIN
Wein ist noch immer groß in Bordeaux: Seit 2016 schraubt sich am Garonne-ufer der Turm der „Cité du Vin“in die Höhe, schwungvoll wie ein Schluck Rosé im Schwenker. „Museum“ist eine zu altbackene Bezeichnung für die Erfahrung, die die Besucher hier erwartet. Sinnlich und amüsant wird ihnen die Welt des Weins nahegebracht – an raffinierten Duftstationen, beim Tafeln mit Hologrammen historischer Gestalten und natürlich mit ein paar Schlucken ausgefallener Spezialitäten, die man sich zum Abschluss zu Gemüte führt.
Die schnuckeligsten Viertel finden sich, wie so oft, außerhalb des Stadtzentrums. Wie
zum Beispiel Chartrons mit seinen Trödelläden und kleinen Cafés. Dort, in der Rue Notre Dame, wirbelt Audrey Bocahut durch ihr lässiges Weinlokal „Les Furies Douces“– zu Deutsch „Die süßen Furien“. Sie hat ausschließlich Weine von Winzerinnen im Angebot, weil sie die Frauen im männerdominierten Gewerbe stärken will. „Das ist wichtig! Als Winzerin zu arbeiten und ‚nebenbei‘ womöglich noch Kinder großzuziehen, erfordert schon viel Leidenschaft und Entschlossenheit“, sagt sie. Sie spricht aus Erfahrung: „Ich stehe jeden Morgen um sieben Uhr auf, bringe meinen Sohn zur Schule, dann geht’s auf den Markt für das Bar-menü, dann hole ich mein Kind wieder ab und abends schmeiße ich den Laden hier“, skizziert sie ihren Tagesablauf. „Okay, kleiner Trick: Zwischen eins und zwei mache ich Siesta“, grinst sie. Abends sind dann nicht nur exzellente Weine, sondern ebenso gute Musik im Spiel, von Funk bis Rock – denn Audrey ist nicht nur Weinwirtin, sondern auch Profi-musikerin. Jahrelang tourte sie mit französischen Rock-größen wie Johnny Hallyday durchs Land, spielte bei Konzerten Cello und Harfe. „Irgendwann wollte ich ein ruhigeres Leben“, sagt sie, während sie eine Bestellung aufnimmt und lässig eine Flasche Rosé entkorkt. Chartrons ist für Audrey wie „ein Dorf in der Stadt“: Sie wohnt selbst in der Rue Notre Dame, eine ältere Nachbarin backt den Kuchen für die Gäste.
ELEGANZ TRIFFT LAISSEZ-FAIRE
Eher pariserisch-elegant geht’s im Triangle d’or zu, dem „goldenen Dreieck“zwischen Chartrons und Altstadt. Hier reihen sich Nobel-boutiquen (für Mode ebenso wie für Käse) aneinander, hinzu kommen Passagen aus dem vorletzten Jahrhundert wie die „Galerie Bordelaise“oder die „Passage Sarget“. Dass die klassizistische Architektur mit ihren hohen Fenstern und eisernen Balkonen an Paris erinnert, kommt nicht von ungefähr. Die Bordeleser sind stolz darauf, dass dieser Stil ihre Stadt, schon 100 Jahre bevor er in die Hauptstadt gelangte, prägte: „Paris ist nur eine Kopie“, hört man hier oft.
Das quirlige Gegenprogramm zu so viel Vornehmheit heißt „Darwin“und groovt auf der anderen Flussseite vor sich hin: Das alternative Kulturzentrum auf dem Gelände einer ehemaligen Kaserne ist ein graffitibuntes Experimentierfeld für urbane Kultur, inklusive Skaterpark, Flohmarktshop und lässiger Bars. Gleich neben „Darwin“lädt der Jardin Botanique mit Wassergärten und Baumsammlungen zum Rundgang ein. Eine Oase!
Auch das Wasser ist nicht weit. Die braunen Fluten der Garonne sind hier zugänglicher als am anderen, städtischeren Ufer. Im Schatten von Platanen und Weiden kann man die Zehen in den Sand stecken und das Bordeaux am anderen Ufer betrachten. Und im Strandrestaurant „Les Chantiers de la Garonne“hat man die Wahl: manierlich an Tischen Austern schlürfen. Oder sich in der Brasserie ganz unelegant auf Holzliegen lümmeln, Craftbeer trinken und tun, was man dem zugeknöpften Bordeaux lange Zeit nicht zugetraut hat: lässig chillen.