»Oft tut es auch schon ein verrückter Hut«
Links die Dirndl, rechts die Fantasy-abteilung, weiter hinten die Prinzessinnenkleider – und schaut da drüben nicht ein Aladdin-kostüm raus? Wer zum ersten Mal den Kostümverleih Bott in Altenstadt in Hessen betritt, weiß gar nicht, wohin der Blick als Erstes schweifen soll. Knapp 3000 Verkleidungen versammeln sich hier, auf gerade mal 80 Quadratmeter. Drei Frauen kennen sie alle. Da ist die 90-jährige Leni Bott, die mit großen Ohrringen und buntem Sweatshirt in ihrem Lieblingssessel sitzt, ihre Tochter Ingrid Schäfer (65), die es sowohl in Sachen Klamotten als auch Kostümen vor allem gemütlich mag und Enkelin Jasmin Tan (38) mit schnittiger Kurzhaarfrisur und lautem Lachen. Zu dritt führen sie den Kostümverleih im 12.000 Einwohner Städtchen. Sie wissen genau, welche Bluse am Kragen ein bisschen kratzt, welcher Uniformknopf immer wieder abgeht und zu welchem Kleid die meisten Frauen als erstes greifen. Für Leni, Ingrid und Jasmin ist der Laden mehr als kunterbuntes Durcheinander an Stoffen und Accessoires. Für sie ist es ein Ort der Freude, der Magie, der Leidenschaft. Und ja, auch eine Heimat. Direkt unter dem Laden liegt bis heute Lenis Wohnzimmer. Hier hat sie vor mehr als sechzig Jahren selbst die ersten Kostüme genäht. Bis heute hängt ein Teil von ihnen ein Stockwerk höher.
Kommen wir gleich zur Sache: Als was verkleiden sich Frauen in diesem Jahr am besten, wenn sie im Trend liegen wollen?
Ingrid: Als Barbie. Als Filmheldin oder Filmheld zu gehen, ist schon seit einigen Jahren in.
Leni: Vor 60 Jahren, als ich angefangen habe, verkleideten sich die Leute eher nach Berufssparten, etwa als Ärztin, Seemann oder Pilot. Dann kamen Retro-trends als Kostüm, etwa die Mode der 20er- oder 70er.
»Verkleidung ist pure Nostalgie. Man feiert die gute alte Zeit«
Leni Bott
Jasmin: Das Tolle an einem Trend wie Barbie ist, dass er so variabel ist und sich mit anderen Themen kombinieren lässt: Cowgirl-barbie, Inliner-barbie, Discobarbie – die Möglichkeiten sind unendlich. Und das Beste: Als Barbie muss heute niemand mehr blond und schlank sein.
Sie führen Ihren Kostümverleih inzwischen in der dritten Generation: Was glauben Sie, warum verkleiden sich Menschen so gern?
Jasmin: Manchmal wollen wir doch alle aus unserer Haut – ausgelassen feiern, uns neu erfinden und dem Alltag entfliehen.
Ingrid: Im Kostüm können wir jemand völlig anderes sein und Kindheitserinnerungen aufleben lassen. Leni: Verkleidung ist pure Nostalgie. Man feiert die gute alte Zeit.
Das verstehe ich. Ich komme aus NRW. Seit der Schulzeit ist Karneval für mich ein fester Termin und mich zieht es jedes Jahr dafür nach Köln. Wo ist der Karneval für Sie am schönsten?
Ingrid: Wir in Hessen sagen ja Fasching! Aber ich bin da ganz bei Ihnen. Die Kölner sind unschlagbar. Jasmin: Für mich ist nicht die Stadt ausschlaggebend, sondern, die Art und Weise. Ich liebe Kinderfasching – und wie er sich verändert. Meine Tochter ist zehn Jahre alt. Sie und ihre Altersgenossinnen wollen keine sittsame Prinzessin mehr sein, höchstens Prinzessin Peach aus Super Mario. Außerdem gibt es heute viel mehr weibliche Superheldinnen.
Haben Sie dafür Verständnis, wenn heute Kitas und Schulen die Eltern darum bitten, ihre Kinder nicht mit Federkopfschmuck zur Party zu schicken?
Leni: Was? Nie gehört. Warum das denn?
Jasmin: Indianerkostüme sollen angeblich Stereotype oder rassistische Klischees bedienen. Ich finde, es ist eher das Gegenteil der Fall. Kinder kennen bei Kostümen eigentlich nur ein Kriterium: Bewunderung. Ein Kind im Indianer-kostüm sagt damit: Ich bewundere Indianer, ich finde die toll.
Woher stammt eigentlich die Begeisterung für den Fasching in Ihrer Familie?
Leni: Eigentlich war alles eher ein Zufall. Es fing damit an, dass ich etwa 1964 Indianerkostüme für meine Kinder und ihre Freunde genäht habe. Die waren richtig hübsch. Rot mit schwarzen Lederfransen. Die Kinder waren begeistert und es kamen immer mehr, die so ein Kostüm haben wollten. Mein Mann stammt aus der
Gegend von Mainz und er hatte dann die Idee, dass ich einen Verleih eröffnen könnte. Am Anfang hatten wir noch keine eigenen Räume, sondern haben quasi zwischen den Kostümen gelebt. Ich erinnere mich an Zeiten, in denen das Schlafzimmer so voller Klamotten war, dass wir keinen Platz mehr darin hatten. Ingrid: Als Kind in einem Kostümverleih aufzuwachsen, war natürlich großartig. Meine Schwester und ich haben uns jeden Tag verkleidet!
Dann haben Sie sicher jedes Kostüm mindestens einmal angehabt. Haben Sie einen Liebling?
Jasmin: Mein All-time-favorite ist die Waldfee. Das ist ein grünes, locker geschnittenes Kleid, das jeder Figur schmeichelt.
Leni: Ich liebe klassische Prinzessinnen-kostüme. Die habe ich früher aus alten Brautkleidern und Reifröcken selbst genäht.
Ingrid: Ich liebe die Steampunks.
Steampunks? Was soll das sein?
Ingrid: Das ist ein toller Trend, der traditionelle viktorianische Elemente wie Korsetts, hohe Hüte und Rüschen mit futuristischen Elementen und mechanischen Accessoires wie Zahnräder, alten Taschenuhren, metallenen Verzierungen und Messing- oder Kupferakzenten kombiniert. Das wirkt natürlich wunderbar mysteriös und abenteuerlich.
Klingt toll, aber aufwendig. Was, wenn ich die Variante bevorzuge, ruckzuck gekauft und angezogen?
Leni: Tierkostüme.
Ingrid: Ja, die Einteiler sind unschlagbar praktisch. Ein Kostüm-tipp für den letzten Augenblick: Blaue Hose, rotes T-shirt, rote Kappe, Bart. Fertig ist der Super Mario.
Meine Backup-kostüme sind Tennisspielerin oder Piratin, weil man das immer zu Hause hat.
Leni: Auch eine gute Idee. Oft tut es auch schon ein verrückter Hut.
Ich habe mir noch nie ein Kostüm ausgeliehen. Was kostet so etwas eigentlich?
„Ein Kostüm-tipp für den letzten Augenblick: Super-mario“
Ingrid Schäfer
Ingrid: Das ist je nach Kostüm unterschiedlich, aber wir rechnen ab 15 Euro pro Wochenende. Dafür übernehmen wir auch die Reinigung danach. Das meiste können wir selbst waschen.
Leni: Einmal kam ein Brautkleid voll mit Kunstblut zurück. Das musste ich trotz Reinigung komplett umnähen, aber ich habe es wieder hingekriegt.
Nähen Sie immer noch alle Kostüme selbst?
Leni: Am Anfang war alles selbst gemacht, vieles haben wir heute noch.
Jasmin: Einige der Brautkleider für Prinzessinnen kommen aus unserer Familie. Mein Eigenes hängt auch noch hier.
Ingrid: Die neuen Kostüme kaufen wir ein. Am liebsten bei einem Hersteller in Belgien, die Stoffe haben auch heute noch Top-qualität.
Und wie viele Kostüme gehen im Jahr bei Ihnen so über die Ladentheke?
Ingrid: Das ist von Saison zu Saison unterschiedlich. Jasmin: Wir merken, dass nach Corona die Leute wieder feiern wollen. Wir hatten schon lange nicht mehr so viel zu tun wie letztes Jahr am 11.11., die Leute wollen raus!
Sie auch? Oder hat man die Nase voll von Kostümen, wenn die zum Job gehören?
Jasmin: Niemals! Wir haben das ganze Jahr Lust auf Fasching! Nur am Faschingswochenende selbst ist hier leider so viel los, dass wir es nur noch auf die Couch schaffen und die Beine hochlegen.
Ingrid: Da herrscht Ausnahmezustand. Jasmin ist besonders gefordert. Sie arbeitet nicht nur im Verleih mit, sondern schminkt unsere Kundinnen auch noch. Viele Leute kommen morgens zu uns, lassen ihre Sachen hier, fahren im Kostüm direkt nach Köln oder Mainz und bringen es abends noch zurück. Mit einem überglücklichen Grinsen im Gesicht.
Jasmin: Aber keine Sorge, wir feiern vielleicht nicht an diesem Wochenende mit, aber trotzdem oft genug. Auf sechsmal Fasching pro Jahr kommen wir auf jeden Fall. Und dann so richtig mit Büttenreden und allem Drum und Dran!
Welche Kunden haben Ihnen zuletzt so richtigen Freude bereitet?
Jasmin: Da kamen drei Kunden und sagten: „Macht aus uns drei Frauen.“Das war richtig lustig. Am Ende hatten wir Dornröschen, Elsa ...
… die Eiskönigin aus dem Zeichentrickfilm Frozen …
Ingrid: ... und eine sehr große Tinkerbell, die sich selbst „Pummelfee“nannte. Die drei Herren waren übrigens nicht zum ersten Mal bei uns. Und mit jedem Mal werden sie mutiger und trauen sich mehr. Ihre beste Erfahrung bislang: Das Jahr, in dem sie sich alle als Sambatänzerinnen verkleidet haben. Nie wieder seien sie von so vielen Frauen angesprochen worden wie damals.