Was macht die Gewalt mit unseren Kindern?
Nach dem Amoklauf von München ist viel über den Täter geredet worden. Aber was ist mit den Opfern, etwa mit Jugendlichen, die Geschwister, Freunde oder Klassenkameraden verloren haben? Wie Schulpsychologen versuchen, so etwas wie Normalität zu schaffen
München Warum, fragt die kleine Tochter des Kollegen ihren Papa, musst du gerade so lange arbeiten? Der Kollege antwortet, da sei ein böser Mann in München gewesen, der habe anderen Menschen wehgetan, und das musste man in die Zeitung schreiben. Daraufhin schnappt sich die Kleine ihre Stifte und malt, wie sie sich einen bösen Mann eben so vorstellt. Der unterscheidet sich glücklicherweise nicht von anderen Strichmännchen, die sie sonst zeichnet. Und doch, erzählt der Kollege, spüre er: Es arbeitet in ihr.
Warum nicht mal einen Amoklauf nachspielen? Welch ein makabrer Gedanke, der drei Jugendlichen aus Königsbrunn bei Augsburg nur einen Tag nach der Münchner Gewalttat in den Sinn kommt. Auf offener Straße hantieren sie mit Druckluftwaffen. Die Polizei erkennt dies nicht auf Anhieb, kurzzeitig ist die Situation kritisch. Für die Jugendlichen gibt es hinterher eine ordentliche Standpauke. Wie lange es wohl in ihnen arbeiten wird?
Warum? Die Frage quält die Seele. Man liest sie zigfach vor dem Eingang des Olympia-Einkaufszentrums im Stadtteil Moosach auf dem Blumen- und Kerzenteppich, der eine Woche nach dem Amoklauf immer noch größer wird. Der Tatort zieht die Massen an. Die meisten kommen, um Anteil zu nehmen. Um das Gespräch mit dem Notfallseelsorger zu suchen, der ein paar Meter entfernt vor einem verrammelten Verkaufsstand steht. Und einige
„Es ist wichtig, jedem zu vermitteln: Was du jetzt durchmachst, ist normal.“
vermitteln und das Gemeinschaftsgefühl zu stärken.
Wo Bedarf ist, rücken speziell geschulte Fachleute in Zweierteams aus. Sie führen Gespräche mit ganzen Klassen, in kleineren Gruppen, mit einzelnen Schülern oder Lehrern. Reden über die Ereignisse, den Schmerz, die Wut, sind bei Trauerfeiern dabei, versuchen Halt zu geben, Stabilität für die ersten Tage. „Die Akutphase“, wie Schuster es nennt. Journalisten sind dabei nicht erwünscht. Nichts soll die Trauerarbeit stören. Das ist gut so.
„Schüler reagieren sehr unterschiedlich auf solche Ereignisse“, sagt Wolf-Dieter Schuster. „Deshalb ist es wichtig, jedem zu vermitteln: Was du jetzt durchmachst, ist eine normale Reaktion, du bist nicht verrückt.“Gerade in den ersten Tagen gehe es darum, das ins Gedächtnis zu rufen, was einem guttut: reden, Freunde um sich haben, Musik hören oder Sport treiben. „Man schüttet in dieser Stresssituation so viel Adrenalin aus, da ist Bewegung hilfreich.“
Am Ende sind etwa 45 KibbsPsychologen aus vier Regierungsbezirken im Einsatz. Nordbayern wird ausgeklammert, die Kollegen dort haben mit Würzburg und Ansbach eigene Brennpunkte zu bedienen. Knapp 25 Münchner Schulen fordern Hilfe an. Und haben darüber hinaus jede Menge Fragen. Bis hin zu solchen: Ist es ratsam, nach diesem Schock das geplante Sommerfest abzusagen? Sollten einheitliche Trauerfeiern stattfinden? Darum kümmert sich dann das Schulamt.
„Wir maßen uns nicht an, Schulleitern Vorgaben zu machen.“