Friedberger Allgemeine

Was macht die Gewalt mit unseren Kindern?

Nach dem Amoklauf von München ist viel über den Täter geredet worden. Aber was ist mit den Opfern, etwa mit Jugendlich­en, die Geschwiste­r, Freunde oder Klassenkam­eraden verloren haben? Wie Schulpsych­ologen versuchen, so etwas wie Normalität zu schaffen

- VON ANDREAS FREI

München Warum, fragt die kleine Tochter des Kollegen ihren Papa, musst du gerade so lange arbeiten? Der Kollege antwortet, da sei ein böser Mann in München gewesen, der habe anderen Menschen wehgetan, und das musste man in die Zeitung schreiben. Daraufhin schnappt sich die Kleine ihre Stifte und malt, wie sie sich einen bösen Mann eben so vorstellt. Der unterschei­det sich glückliche­rweise nicht von anderen Strichmänn­chen, die sie sonst zeichnet. Und doch, erzählt der Kollege, spüre er: Es arbeitet in ihr.

Warum nicht mal einen Amoklauf nachspiele­n? Welch ein makabrer Gedanke, der drei Jugendlich­en aus Königsbrun­n bei Augsburg nur einen Tag nach der Münchner Gewalttat in den Sinn kommt. Auf offener Straße hantieren sie mit Druckluftw­affen. Die Polizei erkennt dies nicht auf Anhieb, kurzzeitig ist die Situation kritisch. Für die Jugendlich­en gibt es hinterher eine ordentlich­e Standpauke. Wie lange es wohl in ihnen arbeiten wird?

Warum? Die Frage quält die Seele. Man liest sie zigfach vor dem Eingang des Olympia-Einkaufsze­ntrums im Stadtteil Moosach auf dem Blumen- und Kerzentepp­ich, der eine Woche nach dem Amoklauf immer noch größer wird. Der Tatort zieht die Massen an. Die meisten kommen, um Anteil zu nehmen. Um das Gespräch mit dem Notfallsee­lsorger zu suchen, der ein paar Meter entfernt vor einem verrammelt­en Verkaufsst­and steht. Und einige

„Es ist wichtig, jedem zu vermitteln: Was du jetzt durchmachs­t, ist normal.“

vermitteln und das Gemeinscha­ftsgefühl zu stärken.

Wo Bedarf ist, rücken speziell geschulte Fachleute in Zweierteam­s aus. Sie führen Gespräche mit ganzen Klassen, in kleineren Gruppen, mit einzelnen Schülern oder Lehrern. Reden über die Ereignisse, den Schmerz, die Wut, sind bei Trauerfeie­rn dabei, versuchen Halt zu geben, Stabilität für die ersten Tage. „Die Akutphase“, wie Schuster es nennt. Journalist­en sind dabei nicht erwünscht. Nichts soll die Trauerarbe­it stören. Das ist gut so.

„Schüler reagieren sehr unterschie­dlich auf solche Ereignisse“, sagt Wolf-Dieter Schuster. „Deshalb ist es wichtig, jedem zu vermitteln: Was du jetzt durchmachs­t, ist eine normale Reaktion, du bist nicht verrückt.“Gerade in den ersten Tagen gehe es darum, das ins Gedächtnis zu rufen, was einem guttut: reden, Freunde um sich haben, Musik hören oder Sport treiben. „Man schüttet in dieser Stresssitu­ation so viel Adrenalin aus, da ist Bewegung hilfreich.“

Am Ende sind etwa 45 KibbsPsych­ologen aus vier Regierungs­bezirken im Einsatz. Nordbayern wird ausgeklamm­ert, die Kollegen dort haben mit Würzburg und Ansbach eigene Brennpunkt­e zu bedienen. Knapp 25 Münchner Schulen fordern Hilfe an. Und haben darüber hinaus jede Menge Fragen. Bis hin zu solchen: Ist es ratsam, nach diesem Schock das geplante Sommerfest abzusagen? Sollten einheitlic­he Trauerfeie­rn stattfinde­n? Darum kümmert sich dann das Schulamt.

„Wir maßen uns nicht an, Schulleite­rn Vorgaben zu machen.“

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Foto: Christof Stache, afp Jeder reagiert anders: zwei Kinder vor dem Blumen- und Kerzentepp­ich am Olympia-Einkaufsze­ntrum in München.

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