„Alle neune“oder nichts Neues?
Kanzlerin Merkel hat bei ihrer Sommer-Pressekonferenz ein Neun-Punkte-Programm präsentiert. Ob sie damit aus der politischen Defensive kommt, ist allerdings ungewiss
Berlin Angela Merkel wollte nach den Gewalttaten bei ihrer SommerPressekonferenz Zeichen setzen. Die Kanzlerin stellte einen NeunPunkte-Plan für mehr Sicherheit in Deutschland vor. Er enthält kaum neue Ideen und greift vor allem bereits laufende Debatten und Maßnahmen auf. Eine Übersicht:
1. Frühwarnsystem gegen Radikalisierung (neuer Vorstoß) Es ist der einzige wirklich neue Gedanke in Merkels Liste. Die Gewalttäter von Würzburg, Ansbach und München sind den Sicherheitsbehörden nicht rechtzeitig aufgefallen. Deshalb soll nun ein „Frühwarnsystem“entwickelt werden, das Radikalisierungen besser erkennen soll. Wie genau, sagte die Kanzlerin nicht.
2. Mehr Sicherheitspersonal (bereits eingeleitet) Die Verstärkung der Bundespolizei mit 3000 neuen Kräften ist bereits beschlossen. Merkel verspricht, „wo immer notwendig“aufzustocken oder die Ausstattung zu verbessern. Das soll bei den Haushaltsberatungen berücksichtigt werden. Auf die Landespolizeien hat Merkel keinen Einfluss. Bayern hat eine Verstärkung der Polizei bereits angekündigt.
3. Neue Sicherheitsbehörde (bereits verkündet) Eine neue Sicherheitsbehörde soll Techniken zur Überwachung von Kommunikation im Internet und über MessengerDienste entwickeln. Sie soll Strafverfolgern und Staatsschützern damit helfen, verschlüsselte Botschaften mitzulesen. Entsprechende Pläne wurden bereits im Juni bekannt gegeben. Merkel sagte jetzt lediglich, sie sollen schnellstmöglich umgesetzt werden. Die neue „Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich“, kurz Zitis, soll nach den bisherigen Plänen 2017 mit 60 Mitarbeitern starten.
4. Bundeswehr soll Anti-TerrorKampf üben (längst geplant) Die Bundeswehr soll zusammen mit der Polizei für Anti-Terror-Einsätze im Inland üben. Das hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen bereits vor den Anschlägen angekündigt. Über Einsätze der Bundeswehr im Inneren wird seit Jahren gestritten. Im aktuellen Weißbuch zur Sicherheitspolitik haben sich Union und SPD darauf verständigt, dass die Bundeswehr bei größeren Terroranschlägen auch ohne Grundgesetzänderung etwa zur Evakuierung oder medizinischen Versorgung eingesetzt werden kann. Nach dem Amoklauf in München wurden auf dieser Grundlage rund 100 Feldjäger und Sanitäter in Bereitschaft versetzt.
5. Forschung zum islamistischen Terror (neuer Schwerpunkt) Alle bestehenden Forschungsvorhaben zum islamistischen Terror und zur Radikalisierung von Menschen sollen fortgesetzt und gegebenenfalls erweitert werden. Sie sollen die Prävention verbessern.
6. Vernetzung von Sicherheitsdateien (nicht in Merkels Hand) Auf EU-Ebene sollen alle bestehenden Dateien schnellstmöglich vernetzt werden. Das Problem: Nicht alle Länder sind dazu bereit. Beim EUGipfel am 16. September soll das aber Thema sein.
7. Waffenrecht (ebenfalls EU-Sache) Das neue europäische Waffenrecht soll schnellstmöglich verabschiedet werden. Davon erhofft sich Merkel vor allem eine Unterbindung des Waffenhandels im Internet. Der Amokläufer von München hatte sich seine Pistole im Darknet besorgt, einem abgeschotteten Bereich des Internets.
8. Kooperation der Nachrichtendienste (nur schwer zu realisieren) Die Kooperation mit befreundeten Diensten soll verstärkt werden. Das ist eine sehr alte Idee. Die Realisierung ist schwierig, weil sich jeder Geheimdienst selbst am nächsten ist – wie die NSA-Affäre gezeigt hat. Merkel sagte aber, sie habe mit USPräsident Barack Obama erst am Mittwoch über eine Ausweitung der Kooperation gesprochen.
9. Abschiebung von bereits abgelehnten Asylbewerbern (heikel) Über diesen Punkt dürfte es die schärfsten Auseinandersetzungen geben. Die Kanzlerin knüpft an die CSU-Forderung an, abgelehnte Asylbewerber im Zweifelsfall auch in Krisengebiete abzuschieben. Die Streitfrage ist, ob es in Ländern wie Afghanistan trotz Bürgerkriegs Gebiete gibt, in denen es ausreichend Sicherheit gibt. Michael Fischer, dpa