13 Minuten nur Stille
Keine Ansprache, kein Gottesdienst: Bei seinem Besuch im Nazi-Vernichtungslager Auschwitz verzichtet Papst Franziskus auf jegliches Wort. Auch als er KZ-Überlebende trifft, hört er ihnen nur zu
Auschwitz/Rom Er sitzt einfach da. Ganz in Weiß, auf einem unscheinbaren Stuhl, mitten an diesem Ort des Grauens. Sein Kopf ist geneigt, die Augen hat der Papst geschlossen. Ab und zu bewegen sich die Blätter der Schwarzbirken im Wind. Franziskus sitzt gegenüber einer der Häftlingsbaracken, vor der ein eisernes Gerüst steht, an dem die Nazis Gefangene aufhängten. 13 Minuten lang, so notieren Mitreisende akribisch, passiert nichts. Der Papst sitzt einfach da.
Franziskus ist am Freitag der dritte Papst, der das KZ Auschwitz besucht, in dem die Nazis bis 1945 mehr als eine Million Menschen töteten, vor allem Juden. Das KZ liegt etwa 70 Kilometer von der polnischen Stadt Krakau entfernt. Dort findet noch bis Sonntag der Weltjugendtag statt, der Papst ist zu diesem Anlass aus Rom angereist. Dass er dabei auch Auschwitz als Ort des Bösen schlechthin besuchen wollte, hatte Franziskus angekündigt. Und, dass er schweigen werde.
„Keine Reden, keine Leute, nur die wenigen notwendigen“, hatte Franziskus auf seiner Rückreise aus Armenien Ende Juni gesagt. Und, dass Gott ihm die Gnade geben möge, zu weinen. Tränen übertragen die Fernsehkameras des Vatikans an diesem Vormittag zwar nicht. Aber die live in alle Welt übertragene Stille ist eindrucksvoll.
Johannes Paul II. hatte Auschwitz 1979 als erster Papst besucht, Benedikt XVI. kam 2006. Die Besuche der beiden Vorgänger waren symbolträchtig, auch weil hier erst ein Pole und später ein Deutscher als Vertreter im Weltkrieg verfeindeter Nationen an den Holocaust erinnerten. Benedikt wurde kritisiert, weil er die Deutschen bei seinem Besuch als von den Nazischergen verführte Opfer darstellte und die Frage der Schuld überging. Auch sagte er kein Wort zum katholischen Antisemitismus. Aber der deutsche Papst formulierte damals auch: „An diesem Ort versagen die Worte, kann eigentlich nur erschüttertes Schweigen stehen – Schweigen, das ein inwendiges Schreien zu Gott ist: Warum hast du geschwiegen?“
Franziskus setzt diesen Gedanken in Auschwitz in die Tat um. Er hält keine Ansprache, feiert keinen Gottesdienst, auch nicht zum Abschluss des Besuchs im nahegelegenen Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Dabei weiß man, dass der Argentinier kaum vor Worten zurückschreckt. Als er nach einer knappen Viertelstunde von seinem schwarzen Stuhl aufsteht, geht er auf den Galgen zu und küsst einen der drei eisernen Pfähle.
Anschließend besteigt der Papst ein weißes Elektrofahrzeug, das ihn wenige Meter weiter zu Block 11 fährt, dem sogenannten Todesblock. In diesem Lagergefängnis wurden Tausende ermordet, hier fand auch die erste Massenvergasung mit Zyklon B statt. Ein knappes Dutzend Leibwächter und zwei Monsignori folgen ihm zu Fuß. Vor dem Todesblock wartet die polnische Premierministerin Beata Szydlo, sie kniet vor Franziskus nieder, die Begrüßung ist ebenso unvermeidlich wie kurz und sachlich. Im Hof trifft Franziskus auf zwölf jüdi79-jährige sche Auschwitz-Überlebende. Er schüttelt ihre Hände, umarmt sie zum Bruderkuss, lässt Rosenkränze verteilen. Aber er sagt kein Wort. Wenn einer der Überlebenden etwas zu sagen hat, hört der Papst zu.
Franziskus stellt eine Kerze vor die Todesmauer im Hof im Andenken an die Tausenden, die hier von der SS erschossen wurden. Im Gebäude betritt Franziskus die Zelle des Franziskaner-Mönchs Maximilian Kolbe, der hier 1941 per Giftspritze getötet wurde und den die katholische Kirche als Heiligen verehrt. Kolbe wirkte heimlich als KZSeelsorger und opferte sich für einen Familienvater, der umgebracht werden sollte. Auch hier hält Franziskus auf einem Stuhl inne. Auch hier macht es das Vatikanfernsehen möglich, dass man dem Papst beim Schweigen zusehen kann. Im Dämmerlicht ist zu erkennen, wie Franziskus seinen Kopf gesenkt hält.
Bevor der Papst zum Vernichtungslager Birkenau gefahren wird, wo etwa 1000 Menschen warten, trägt er sich noch in das Ehrenbuch in Block 11 ein. Er spricht kein Wort. Aber auf Spanisch schreibt Franziskus zwei Sätze: „Herr, sei gnädig mit deinem Volk! Herr, verzeihe für so viel Grausamkeit!“