Kunden-Toilette dringend gesucht
Ist es zeitgemäß, dass Menschen in vielen Supermärkten keine WCs finden? Über das Für und Wider des stillen Örtchens bei Rewe, Edeka, Aldi & Co. und einen Ruck im Handel
Augsburg Es ist dieser kleine, unangenehme Notfall. Der Kaffee vom Frühstück zeigt zwischen Obstregal und Tiefkühlfach wie aus dem Nichts seine Wirkung. Eine Verkäuferin zu bitten, ob mal eben die Personaltoilette besucht werden darf, bereichert den Einkauf mit einer Portion Scham. Erlösung mit einem Kunden-WC finden Kunden noch immer nicht in allen Märkten. Gerade Schwangere, Senioren oder Kranke wählen ihre Einkaufsstätte allerdings inzwischen nach diesem Kriterium aus. Denn was tun, wenn die Verkäuferin ganz unbeeindruckt „Nein!“sagt, den Zutritt zum Personalklo verwehrt. Rechtlich gesehen darf auch das im Notfall niemand benutzen.
Der Berliner Senat hat im Juni ein Gesetz verabschiedet, das genau dieses Malheur aus der Welt schaffen soll. Künftig müssen dort alle Supermärkte ab einer Verkaufsfläche von 200 Quadratmetern eine Kundentoilette einplanen. Baupläne ohne sie dürfen nicht genehmigt werden. Könnte so auch die Zukunft in Bayern aussehen? Zum Wohl aller, die aus gesundheitlichen Gründen ihr Geschäft nicht lange verheben können? Endlich mehr Kundenservice?
Das bayerische Wirtschaftsministerium sieht das bislang nicht vor. Öffentliche Toiletten sind nach den Angaben einer Sprecherin in erster Linie eine Aufgabe der Kommunen, die aus politischer Sicht nicht einfach an die Wirtschaft abgegeben werden sollte. Anders als in Gaststätten sei der Aufenthalt in Einzelhandelsgeschäften auch kürzer und in der Regel nicht mit Essen und Trinken verbunden.
Bernd Ohlmann sieht das ähnlich. Der Sprecher des bayerischen Einzelhandelverbands hält nichts von einem Gesetz. Für ihn ist das typisch Deutsch, dabei kann das Problem auch anders geregelt werden. Außerdem macht es in einigen kleinen Läden seiner Meinung nach durchaus Sinn, den Platz nicht für Kundentoiletten herzugeben: „In kleinen Tante-Emma-Läden ist die Situation eine andere. Hier werden die Leute vom Dorf eher Wert auf Gespräche legen.“Sie seien froh, glaubt Ohlmann, wenn sie die üblichen Grundnahrungsmittel erhalten, statt ein Kunden-WC zu haben. Hier drückten Verkäuferinnen sicher auch öfter ein Auge zu, wenn sich die Blase meldet.
Nach Ohlmanns Meinung werden Kundentoiletten aber bald nicht mehr wegzudenken sein. Er spürt einen Ruck im Einzelhandel. Der Service steige. Einkaufen passiere entgegen vieler Meinungen nicht mehr nur im Vorübergehen.
In den großen Kaufhäusern sind öffentliche WCs schon lange Standard. Bei Rewe oder Edeka-Centern gibt es ebenfalls seit geraumer Zeit Kundentoiletten. Und wenn Ohlmann Recht behält, wird es bald einen „Domino-Effekt“geben, wenn bis 2019 alle Aldi-Filialen mit einem öffentlichen Klo ausgestattet sein werden. Die Entscheidung für Bau und Umbau gab das Unternehmen vor wenigen Wochen bekannt. In bestehenden Filialen werden die Toiletten teils nachgerüstet.
Der Discounter entfernt sich von der Billig-Mentalität. Eine Sprecherin sagt, das Unternehmen will den Kunden ein Mehr an Komfort bieten. Die Reaktion sei durchweg positiv. Immer mehr Unternehmen setzen auf Service, sagt Ohlmann. Doch das ist nicht so einfach, denn grundsätzlich gelte die Philosophie, jeden Zentimeter Platz für Produkte zu nutzen. Nachdem allerdings inzwischen ein großer Teil des Verkaufs über das Internet abgewickelt werden kann, überlegten Einzelhandelsketten häufiger, mehr Platz für Service herzugeben.
Ein weiterer Punkt gegen Kundentoiletten sind die Kosten von Bau, Instandhaltung und Reinigung. Nach Angaben von Aldi und Rewe werden sich die Kosten allerdings nicht auf die Produktpreise auswirken. Der Service an sich ist sowieso kostenlos. Wie genau die Kundentoiletten finanziert werden, geben die Supermarktketten allerdings nicht bekannt.
Ob sich Kundentoiletten direkt auf den Umsatz auswirken, kann der Deutsche Handelsverband nach eigenen Angaben nicht beantworten. Wie Pressereferent Stefan Hertel jedoch sagt, fügt sich die Kundentoilette als Mosaik ins Gesamtbild der Einkaufsatmosphäre und des Kundenkomforts, die sich indirekt wieder auf die Umsatzzahlen auswirke.
Der Service ist im Einzelhandel angekommen. Und geht es nach Ohlmann, zählen dazu neben Sitzplätzen auch Kundentoiletten. Die Menschen sollen sich während ihres Aufenthalts wohlfühlen. Tschüss steriler Fließenlook, hallo Holzvertäfelung – Supermärkte erleben peu à peu die Wandlung zum Ort des Verweilens.