Aufgeheizte Stimmung
Der gescheiterte Putschversuch in der Türkei hat auch die Lage in Deutschland dramatisch verändert. Wie sich der politische Streit in der Region auswirkt
Augsburg Georg Nüßlein schlägt Alarm. Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag sieht die Spannungen innerhalb der türkischen Gesellschaft in Deutschland mit Sorge. Auch der Einfluss Ankaras auf die Lage hierzulande habe nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei deutlich zugenommen. „Wir sind jetzt politisch gefordert und müssen dem türkischen Präsidenten Erdogan unmissverständlich das Stoppschild zeigen“, sagt der CSU-Politiker aus dem Landkreis Günzburg. Auch Bayerns SPD-Generalsekretärin Natascha Kohnen betonte gegenüber unserer Zeitung: „Wir verbieten uns eine Einflussnahme.“
Die angespannte Stimmung unter der türkischstämmigen Bevölkerung in Deutschland sei mittlerweile in der Region spürbar, so Nüßlein. Dies gehe auch aus der Predigt eines Imams in der Moschee in Burgau (Kreis Günzburg) hervor, die dem Bundestagsabgeordneten übersetzt vorliegt. Darin heißt es wörtlich: „Fethullah Gülen ist ein Bediensteter des Papstes. Diejenigen, die Gülen unterstützen, unterstützen damit den Papst. Fethullah Gülen ist ein Verräter. Grenzt euch von den Verrätern ab.“
Die Regierung in Ankara macht die Bewegung des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen für den Putsch verantwortlich, mit dem Teile der türkischen Streitkräfte Staatspräsident Recep Tayyp Erdogan stürzen wollten. In BadenWürttemberg gibt es von türkischer Seite bereits Forderungen, Einrichtungen der Gülen-Bewegung, wie etwa Schulen, zu überprüfen.
Die staatlich finanzierten und von der Türkei bezahlten Imame würden von der Regierung als Instrument für die Verbreitung ihrer Bot- schaften genutzt, sagt Nüßlein. „Ich fordere, dass sie in deutscher Sprache predigen müssen.“
Alarmiert hat den CSU-Politiker auch die Situation an der Vision Privatschule in Jettingen-Scheppach (Landkreis Günzburg). Nach dem Putschversuch habe es nach Angaben Nüßleins bereits 40 Abmeldungen türkischer Mädchen gegeben, die in der Realschule und am Gymnasium unterrichtet wurden oder das Internat besuchten. „Es handelt sich dabei um Erdogan-Anhänger ebenso wie um Schülerinnen, die Angst haben, zwischen die Fronten zu geraten.“
Auch Augsburgs Oberbürgermeister Kurt Gribl sieht die Spannungen mit Sorge. Eine Protestkundgebung von Erdogan-Anhängern mit politischen Parolen auf dem Rathausplatz nannte er „befremdlich“. Er werde nun Gespräche mit den Verantwortlichen einfordern und „unsere Haltung deutlich machen“. Gribl: „Und ich erwarte, dass dieser Haltung auch Rechnung getragen wird.“Er wolle nicht, so der CSU-Politiker, „dass die bisher aufgeschlossene Einstellung unserer Bürger durch Entgleisungen, wie wir sie bei dieser Demonstration erlebt haben, kaputt gemacht wird.“
Der Bundestagsabgeordnete Nüßlein betont, es dürfe nichts mehr beschönigt werden. Was derzeit in der Türkei passiere, habe mit Rechtsstaatlichkeit nichts zu tun. „Unter den jetzigen Umständen können wir nicht über einen EUBeitritt des Landes reden.“Die Türkei gehöre weder geografisch noch kulturell zu Europa.
Nüßlein erwartet, dass künftig auch Menschen aus der Türkei flüchten werden. „Kurden, GülenAnhänger und Vertreter der Opposition“.
Auch Unternehmer, die Firmen in der Türkei haben, hätten ihm bereits gesagt, schnellstens wegzuwollen. Nüßlein: „Sie haben Angst, entweder enteignet oder eingesperrt zu werden.“