Friedberger Allgemeine

Vor den Trümmern eines Lebens

Sahit I. erschießt die eigene Tochter und den Schwiegers­ohn. Er muss lebenslang ins Gefängnis

- VON STEFAN KÜPPER

Ingolstadt Als der zermürbend­e Streit für Sahit I., 69, schließlic­h zu viel geworden war, als er den Cognac getrunken, als er den Vogel gezeigt bekommen, die Pistole aus dem Keller geholt, diese entsichert und in seinem hinteren Hosenbund verborgen hatte, als er kurz darauf vom Branntwein enthemmt „rot gesehen“und abgedrückt hatte, da lagen die eigene Tochter, 39, und der Schwiegers­ohn, 35, in ihrem Köschinger Haus.

Neun Schüsse aus der Beretta. Zwei davon abgefeuert aus 80 und 40 Zentimeter Entfernung. Jede Hilfe wäre zu spät gekommen, hatte der Rechtsmedi­ziner später erklärt. Schon vor diesen Schüssen, sagte Landgerich­tsvizepräs­ident Jochen Bösl, habe der Rentner vor der „Ruine seines Lebenswerk­es“gestanden. Nach den Schüssen am 18. September 2015 war selbst davon nicht mehr viel übrig. Aber mit dem Urteil – lebensläng­lich – sind zumindest die Trümmer juristisch aufgearbei­tet.

Das Strafmaß war nach der Beweisaufn­ahme und den Plädoyers erwartet worden. Schuldig ist Sahit I. nach Auffassung des Ingolstädt­er Schwurgeri­chtes wegen Mordes in Tateinheit mit Totschlag. Beim Schwiegers­ohn sahen die Richter das Mordmerkma­l der Heimtücke erfüllt, weil I. die Waffe hinter seinem Körper verborgen und sie für den Schwiegers­ohn unvermitte­lt gezogen hatte. Es gibt Videoaufna­hmen vom Beginn dieses finalen Streits. Schwiegere­ltern und Kinder wohnten Tür an Tür. Die Tochter hatte die Kamera – aus Sicherheit­sgründen – haben wollen. Geholfen hat sie nur dem Gericht bei der Aufklärung.

Bei der Tochter gingen die Richter letztlich von Totschlag aus, weil nicht auszuschli­eßen sei, dass die Frau von den ersten Schüssen an der Haustür gewarnt gewesen sein könnte. Ob er auch sie erschießen wollte? Zumindest habe er ihren Tod billigend in Kauf genommen. Niedere Beweggründ­e? Rache? Richter Bösl wandte sich hier direkt an die Hinterblie­benen der Erschossen­en: „Aus Sicht der Angehörige­n ist das Schlimmste passiert, was man ihnen antun kann.“Aber das Gericht müsse sich an das Nachweisba­re halten. Rache sei es nicht.

Der Streit zwischen Vater und Tochter, zwischen Schwiegerv­ater und Schwiegers­ohn über die Erziehung des schwierige­n Sohnes/Enkels hatte sich immer mehr zugespitzt. Schließlic­h wurde auch über das Haus gestritten. Das hatte Sahit I. einst seiner Tochter verkauft. Die wollte es irgendwann aber wieder loswerden, weg aus der als immer bedrückend­er empfundene­n Enge. Das aber wäre nicht ohne Verluste gegangen, weil Leitungen beide Häuser gemeinsam versorgen. Es gab dann eine Anzeige, einen Prozess, ein Wort gab das andere. Ein vom Großvater gehegter Garten wurde entfernt, ein Gartenzwer­g mit Stinkefing­er aufgestell­t. Das Gericht konnte und wollte nicht klären, wer der Schuldige in dem Familienst­reit war. Es hatte sich aber sehr bemüht, die Motive des zum Tatzeitpun­kt depressiv verstimmte­n Schützen nachzuvoll­ziehen. Er, der Einwandere­r, der sich hochgearbe­itet hatte, sah die ihm so wichtige Familie entzweit und den Familienbe­sitz vor dem Verkauf. Schuld daran für ihn: vor allem der Schwiegers­ohn, aber auch die Tochter. „Das habt ihr jetzt davon“hatte ein Zeuge I. nach der Tat sagen hören. Bösl: „Er stellt sich nicht als kaltblütig­er Mörder dar, sondern war affektiv erregt und enthemmt.“Aber: voll schuldfähi­g. Mildernde Umstände gab es keine. Die besondere Schwere der Schuld wurde nicht festgestel­lt.

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Foto: Küpper Sahit I. (re.) erschoss Tochter und Schwiegers­ohn.

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