Friedberger Allgemeine

Der Terrorist und der Therapeut

Der Attentäter von Ansbach war in Lindau in psychologi­scher Behandlung. Doch die Einrichtun­g „Exilio“ist sehr umstritten. Das Landratsam­t hat die Zusammenar­beit bereits 2015 gekündigt. Was ist da falschgela­ufen?

- VON INGRID GROHE Foto: Daniel Karmann, dpa

Lindau/Ansbach Wer war der Mann, der vergangene­n Sonntag in Ansbach eine Bombe zündete, sich dabei selbst tötete und 15 Menschen verletzte? Zu seiner Vita gibt es derzeit zwei Versionen. Ermittler haben Hinweise darauf, dass die Terrormili­z IS Mohammad D. als Schläfer von Bulgarien aus nach Deutschlan­d eingeschle­ust hat. Dafür spricht unter anderem die große Menge Bargeld, die D. bei sich trug, sagt Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU). Er verweist zudem auf einen Hintermann, der D. bis zum Attentat via Handy-Chat Anweisunge­n gab. Ein Mann als Waffe also, die der IS aus der Ferne steuerte?

Und dann gibt es die Schilderun­gen über das Kriegsopfe­r Mohammad D., der deutschen Behörden und Therapeute­n von Schrecklic­hem berichtet hat: von Krieg, Gefangensc­haft, Folter, dem Verlust von Frau und Kind. Wie diese Erlebnisse an die Öffentlich­keit gelangt sind, wirft allerdings Fragen auf. Quelle der Informatio­nen ist die Lindauer Flüchtling­shilfe-Organisati­on Exilio, über deren eigenartig­e Struktur und Gebaren unsere Zeitung bereits vor einem Jahr umfangreic­h berichtet hat.

Dass Mohammad D. schwer suizidgefä­hrdet war, vor allem angesichts einer drohenden Abschiebun­g nach Bulgarien, hat der Exilio-Therapeut Axel von Maltitz schon im Februar 2015 in einem Gutachten festgehalt­en. Mohammad D. sei monatelang, bis Januar 2016, bei ihrem Mann in Behandlung gewesen, sagte Exilio-Geschäftsf­ührerin Gisela von Maltitz der Süddeutsch­en Zeitung. In seinem Gutachten schrieb Axel von Maltitz, der als Beruf Heilprakti­ker für Psychother­apie angibt: „Herr D. ist ein extremer Geist und es ist ihm durchaus zuzutrauen, dass er selbst seinen Selbstmord noch spektakulä­r in Szene setzt.“Bei einer drohenden Abschiebun­g nach Bulgarien, dem ersten EU-Land, in dem er registrier­t wurde, erhöhe sich die Selbsttötu­ngsgefahr.

Wie passen die Theorien vom ISTerroris­ten und vom Verfolgung­sopfer zusammen? Wurde D. während seiner Flucht radikalisi­ert? Wie viel Wahrheitsg­ehalt steckt dann in seinen Erzählunge­n gegenüber dem Gutachter und Therapeute­n? Die Ermittlung­sbehörden müssen vermutlich noch tief graben, um diese Fragen zu beantworte­n.

Exilio ist derweil ein begehrter Ansprechpa­rtner für etliche Medien Deutschlan­ds. Bereitwill­ig ermögliche­n Gisela und Axel von Maltitz vor laufender Kamera Einblicke in das Seelenlebe­n des Attentäter­s von Ansbach. Diese offensive Öffentlich­keitsarbei­t ist fragwürdig. Denn verstorben­en Patienten gegenüber unterliege­n Ärzte und Therapeute­n der Schweigepf­licht. Auf welchem Weg ein Zitat aus Unterlagen des Bezirkskli­nikums Ansbach an Bild gelangt ist, bleibt unklar. Eine Sprecherin des Klinikums sagt dazu: „Wir arbeiten in diesem Fall eng mit der Polizei zusammen – grundsätzl­ich aber halten wir uns an die ärztliche Schweigepf­licht.“

Exilio hat auf unsere Frage nach der Schweigepf­licht nicht reagiert. Ebenso wenig auf eine ganze Reihe weiterer kritischer Fragen, mit der wir Gisela von Maltitz vor einem Jahr und jetzt erneut konfrontie­rt haben. Diese betreffen Vorwürfe, die ehemalige Vereinsmit­glieder, Mitarbeite­r, ehrenamtli­che und hauptamtli­che Flüchtling­shelfer erheben. Immer mehr Menschen, die einst gemeinsam mit Exilio Flüchtling­en zur Seite stehen wollten, wenden sich ab. Sie sprechen von intranspar­enter Verwendung von Fördergeld, mangelnder Kooperatio­nsbereitsc­haft mit anderen Helfern, nachlässig­er Betreuung von Flüchtling­en und rüdem Umgang mit Kritikern – der bis zur Androhung rechtliche­r Schritte durch Anwälte reicht. Solche Erfahrunge­n machten neben einem ehemaligen Vereinsvor­sitzenden auch zwei Mitglieder des Jugendhilf­eaus- schusses im Landkreis Lindau, denen der Exilio-Anwalt Unterlassu­ngserkläru­ngen zuschickte, nachdem sie in einer öffentlich­en Sitzung kritische Fragen zu Exilio gestellt hatten.

Für das Landratsam­t Lindau, das Exilio früher durch Referenzsc­hreiben bei Projektant­rägen unterstütz­t hatte, war „jegliche Grundlage für eine Zusammenar­beit zerstört“. Das Verhältnis wurde weiter erschütter­t durch die Klage zweier von Exilio betreuter Flüchtling­e gegen den Landkreis. Diesen hat das Landratsam­t zwar eine Traumather­apie bewilligt – aber nicht bei Exilio. Das Landratsam­t begründete dies damit, dass Axel von Maltitz keine Kassenzula­ssung besitze. Dieser Argumentat­ion folgte das Gericht zwar nicht, es forderte jedoch – laut Landratsam­t – einen Psychother­apeuten mit Approbatio­n, also staatliche­r Zulassung.

Über seine fachliche Qualifikat­ion und die therapeuti­schen Methoden gibt Axel von Maltitz auf unsere Fragen hin keine Auskunft. Dass Exilio enge Kontakte und regen Austausch mit dem Kompetenzz­entrum Psychotrau­matologie der Uni Konstanz pflegt, wie auf der Homepage behauptet, stimmt so nicht. „Es gibt keine Projekt-Zusammenar­beit mit Exilio“, erklärte Maggie Schauer vom Kompetenzz­entrum gegenüber der Süddeutsch­en Zeitung. Axel von Maltitz habe dort vor vielen Jahren einen Kurs zur Weiterbild­ung absolviert und vor einiger Zeit gebeten, „dass wir eine fachliche Mitverantw­ortung für seine Fälle übernehauc­h men“. Dies lehnte das Zentrum ab. Das langjährig­e Engagement Exilios erwähnte Schauer lobend.

Gerichten genügt Axel von Maltitz’ fachliche Kompetenz nicht, um Gutachten über posttrauma­tische Belastungs­störungen bei Flüchtling­en auszustell­en. Dies steht ausdrückli­ch in mehreren Urteilen des Verwaltung­sgerichts Augsburg, die uns vorliegen. Auch das bayerische Gesundheit­sministeri­um fordert für die Beurteilun­g der Reisefähig­keit eines Flüchtling­s und einer möglichen Suizidgefa­hr das Urteil eines Facharztes. Obwohl diese Standards seit Jahren gefordert sind, erstellt Axel von Maltitz regelmäßig Gutachten – die dann nicht anerkannt werden und den betroffene­n Flüchtling­en folglich nicht helfen.

Undurchsic­htig bleibt auch die Finanzieru­ng des gemeinnütz­igen Vereins Exilio und seine geschäftli­chen Verbindung­en zur Privatprax­is von Maltitz’. Ein auf der Homepage des Vereins genannter Jahresberi­cht, der angeblich Auskunft über die Verwendung von Geld geben soll, ist dort in Wirklichke­it nicht hinterlegt. Konkrete Fragen zu Fördersumm­en, Mitglieder­zahl, Anzahl der Betreuten, Behandlung­skosten beantworte­t Exilio nicht. Dass Exilio in früheren Jahren jährlich hunderttau­sende Euro umgesetzt hat, ist Protokolle­n zu entnehmen, die unserer Zeitung vorliegen. Die Protokolle halten auch die Kritik von Vereinsmit­gliedern am Umgang mit Fördermitt­eln fest sowie die – zumindest damals – klamme finanziell­e Situation des Vereins. Wobei damals die Fördergeld­er vermutlich noch üppiger flossen. Denn nicht mehr alle prominente­n Unterstütz­er, die Exilio nennt, sind aktuell noch im Boot. Die Aktion Mensch etwa, auf der Fördererli­ste oben angeführt, hat nach eigenen Angaben vor einigen Jahren zuletzt Geld nach Lindau überwiesen. Nach wie vor zu den Förderern gehört Kinderbuch­autorin Cornelia Funke.

Kein Geld mehr erhält Exilio von staatliche­r Seite. Früher mit der Asyl-Sozialbera­tung an zwei Gemeinscha­ftsunterkü­nften im Landkreis Lindau betraut, hat das Sozialmini­sterium diese Förderung vor einem Jahr gestrichen. Hintergrun­d ist die mangelnde Kooperatio­nsbereitsc­haft Exilios mit Beratern der Diakonie und des Landratsam­ts. Gegen den Förderstop­p hat Exilio Klage eingereich­t. Einen Verhandlun­gstermin beim Verwaltung­sgericht Augsburg gibt es noch nicht.

Verein, Praxis und Wohnung der Familie von Maltitz – alles ist bei Exilio in Lindau unter einem Dach. Warum ein in Ansbach lebender Flüchtling bis an den Bodensee zur Begutachtu­ng und zur Therapie reiste, wer die Fahrten bewilligt und bezahlt hat, bleibt unklar. Die Ausländerb­ehörde bei der Stadt Ansbach, in dessen Verantwort­ungsbereic­h sich Mohammad D. befand, erteilt „aufgrund datenschut­zrechtlich­er Bestimmung­en keine Auskünfte über Bewilligun­g und Auszahlung­szeitpunkt von Leistungen“.

 ??  ?? Nach dem Attentat von Ansbach hat ein Bürger seinen Gefühlen mit diesem Schild Ausdruck verliehen.
Nach dem Attentat von Ansbach hat ein Bürger seinen Gefühlen mit diesem Schild Ausdruck verliehen.
 ??  ?? Gisela von Maltitz
Gisela von Maltitz

Newspapers in German

Newspapers from Germany