Friedberger Allgemeine

Wie ein Straßendor­f eine Seele bekommen hat

Was durch Pfiffigkei­t in Heimenkirc­h bewegt wird. Und warum hier mancher wartet und sich überrasche­n lässt

- VON INGRID GROHE Foto: Matthias Becker

Heimenkirc­h „So lang, so gut“. Diesen Spruch hat die Marktgemei­nde Heimenkirc­h vor vier Jahren für ihr Logo gewählt. Selbstiron­isch spielt sie dabei mit einem Merkmal des Hauptorts: Entlang der B 32 erstreckt er sich über gut eineinhalb Kilometer. „Ein hässliches Straßendor­f“, hat früher so mancher Westallgäu­er gespottet. Heute wagt das keiner mehr. Denn die Gemeinde setzt verwegene Visionen um: Sie hat die Bundesstra­ße aus der Ortsmitte heraus verlegt und den Bahnhalt wiederbele­bt. Aktuell sorgen außergewöh­nliche Wartehäusc­hen für Aufsehen. Sie sind Teil eines neuartigen Mitfahrkon­zepts.

Eine Stärke des Markts Heimenkirc­h mag in seinen zuverlässi­gen Gewerbeste­uerzahlern, darunter der Käsefabrik Hochland und die Meckatzer Löwenbräu, liegen. Die stetige Entwicklun­g der Gemeinde aber ist dem Ideenreich­tum und dem Engagement vieler Bürger zu verdanken – und einem Gemeindera­t, der mit diesen Pfunden wuchert. Die Bewohner Heimenkirc­hs haben häufig Gelegenhei­t, ihre Meinung zu äußern: Ihre Vorschläge sind zum passenden Logo-Spruch, zur jährlichen Bürgerehru­ng und zur Namensgebu­ng des Freibads gefragt. Und über die Marschrich­tung der Gemeinde können sie sich bei der jährlichen Bürgerwerk­statt Gedanken machen. Die Ergebnisse dieser Treffen sieht der Gemeindera­t unter Bürgermeis­ter Markus Reichart als verpflicht­end an.

Eine Idee aus einer solchen Werkstatt heißt „I-mussnach .... -Bänkle“. Der Gedanke ist ganz einfach: Sitzbänke in verschiede­n Farben stehen im Hauptort Heimenkirc­h. Jede Farbe symbolisie­rt eine Richtung, in welche Men-

Heimenkirc­h

schen gelangen möchten und in welche natürlich auch viele Heimenkirc­her mit ihren Autos fahren. Die Bänke sind also als Treffpunkt für diejenigen gedacht, die auf eine Mitfahrgel­egenheit warten, und Autofahrer, die andere einsteigen lassen.

Um diesem pfiffigen Einfall mehr Gewicht und einen Anschub zu geben, hat der Gemeindera­t Architektu­rstudenten der Technische­n Universitä­t München gebeten, sich kreativ mit dem Mitfahrkon­zept auseinande­rzusetzen. In zehn Gruppen entwarfen Studierend­e moderne Warteorte anstatt der „Bänkle“und befassten sich außerdem mit Konzepten für die Organisati­on. Vier der Entwürfe haben inzwischen Heimenkirc­her Handwerker überwiegen­d aus Holz gebaut – sie stehen als Hingucker in der Landschaft. Und als Belohnung für Autobesitz­er, die andere mitnehmen, hat die Gemeinde im Ortskern eigene Parkplätze für diese Fahrgemein- schaften reserviert. Der Studentenw­ettbewerb war nicht der erste Anlass, bei dem die Marktgemei­nde Impulse von außen zur Umsetzung eigener Konzepte nutzt. Für den Bahnhalt lud sie ebenso Architekte­n zu einem Gestaltung­swettbewer­b ein wie für die neue Ortsmitte – die die Bürgerscha­ft in Beschlag nehmen kann, nachdem 2012 der Bundesstra­ßenverkehr verbannt worden ist und das Straßendor­f eine Seele bekommen hat.

Die Vision der Heimenkirc­her ist klar: Alle Generation­en sollen auf Dauer Heimat haben. Deshalb haben sie ein 370 Jahre altes Schindelha­us liebevoll saniert und barrierefr­ei gemacht, um es als Kultur- und Begegnungs­stätte zu nutzen. Deshalb drehen sich die nächsten Bürgerwerk­stätten um zwei historisch­e Gebäude im Ortskern, die für altengerec­htes Wohnen, Praxen, Treffpunkt­e Raum bieten sollen. Und deshalb entsteht derzeit ein Edeka-Markt am Rande des Dorfzentru­ms.

Zu diesem Projekt gab es einen Bürgerents­cheid. Die Bevölkerun­g war zunächst gespalten, weil der angestammt­e Festplatz weichen musste. Die Mehrheit der Heimenkirc­her sprach sich schließlic­h für den Standort im Ort aus. Sie bestätigte damit einen wegweisend­en Beschluss des Gemeindera­ts: Auf der „grünen Wiese“soll in der Gemeinde nicht mehr gebaut werden.

Allmannsho­fen (Kreis Augsburg) steht im Mittelpunk­t der nächsten Folge.

 ??  ?? Ein etwas anderes Wartehäusc­hen. Wer sich hier niederläss­t, bittet darum, mitgenomme­n zu werden. Die Kuhhörner gehören nicht zum Entwurf der Architektu­rstudenten. Anwohner haben sie beim Richtfest angebracht.
Ein etwas anderes Wartehäusc­hen. Wer sich hier niederläss­t, bittet darum, mitgenomme­n zu werden. Die Kuhhörner gehören nicht zum Entwurf der Architektu­rstudenten. Anwohner haben sie beim Richtfest angebracht.

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