Die Lust, ein Bösewicht zu sein
Der britische Schauspieler Ralph Fiennes schlüpft auf einer Londoner Bühne gerade in die Rolle von Shakespeares König Richard III. Und wie es sich für einen Star des Filmgeschäfts gehört, kommt er damit auch ins Kino
König Richard III. beginnt im gleichnamigen Stück mit den Worten: „Nun ward der Winter unseres Missvergnügens . . .“In vielen Teilen der Welt herrschen derzeit Gewalt, politische Turbulenzen und Unsicherheit. Ward nun der Sommer unseres Missvergnügens, wiederholt sich Shakespeares Drama gerade im echten Leben? Ralph Fiennes: Man kann zwar zu den meisten Shakespeare-Dramen, die sich mit Macht beschäftigen, Parallelen zu aktuellen Ereignissen irgendwo auf der Welt entdecken. Aber es kommt sehr selten vor, dass man tatsächlich so nah an einer politischen Krise und politischen Ungewissheit ist wie zurzeit. Man denke nur an den Putschversuch in der Türkei oder das EU-Referendum und seine Folgen hier in Großbritannien.
Das Brexit-Votum führte zu Intrigen im politischen Betrieb, vor allem seitens des Ex-Justizministers Michael Gove, der den neuen Außenminister Boris Johnson auszubooten versuchte und am Ende selbst verlor. Fiennes: Als wir anfingen mit den Aufführungen, wussten wir natürlich nicht, welches Ergebnis herauskommen würde. Doch als die Kampagnen so viel Uneinigkeit stifteten und wir dann sahen, wie die politischen Akteure ihre Spielchen spielten, um an die Spitze zu gelangen, hatte das eine unmittelbare Wirkung. Das Publikum veränderte sich plötzlich nicht durch das, was wir taten, sondern durch die Ereignisse, die passierten. Auf einmal wurde dem Stück eine Relevanz hinzugefügt, die es davor vielleicht so nicht gehabt hatte.
Ist Ihr Richard mehr Boris Johnson oder mehr Michael Gove, der sich zunächst gegen den Ex-Premier David Cameron stellte und dann seinem Brexit-Mitstreiter Johnson in den Rücken fiel? Fiennes: Er ist keiner von beiden. Er ist mein Richard. (lacht) Im Ernst, Gove kommt ihm am nächsten. All seine Beteuerungen, nicht für das Amt des Premierministers geeignet zu sein, nach dem Motto: Ich könnte niemals führen, es ist nicht in meiner DNA, zu führen. Das ist klassisch Richard.
Sind Sie ein politischer Mensch? Fiennes: Ich mag Politiker nicht besonders. Verstehen Sie mich nicht falsch: Es ist großartig, Politiker zu spielen, sie geben viel Futter her, aber ich bin nicht wirklich politisch aktiv.
Das Almeida Theatre ist relativ klein. Hilft das bei einem Stück wie Richard III., in dem es viele Monologe gibt? Fiennes: Ja, man kann zu 320 Menschen mit einer Intimität und Nähe sprechen, wie man das wahrscheinlich nicht in einem 800- oder 1000-Platz-Theater könnte. Das ist ein wirkliches Geschenk. Ein großer Teil der Rolle definiert sich über die Beziehung zum Publikum. Ich kann einigen der Zuschauer ins Gesicht schauen und mit ihnen reden.
Sie eine Antwort? Fiennes: Manchmal nicken Menschen und deuten an: Ja. Dann muss ich sagen: Das glaube ich nicht. (lacht)
Ihre Aufführung wird nun weltweit im Kino gezeigt. Wie wollen Sie dieses Gefühl der Intimität auf die Leinwand übertragen? Fiennes: Es wird nicht exakt dasselbe sein. Aber ich hoffe, dass die Interaktion mit dem Publikum herüber-
kommt. Es ist eine besondere Erfahrung, so nah am Darsteller zu sein und sich ebenso der Zuschauer bewusst zu sein, die Gesichter zu sehen. Man bekommt die Reaktion des Publikums, während auf der Bühne gesprochen wird. Das ist eine andere Dimension.
Richard III. war ein von Ehrgeiz und Unbarmherzigkeit getriebener Herrscher und gilt bis heute als eine der umstrittensten Figuren der britischen GeBekommen schichte. 2012 wurden dann seine Gebeine in Leicester unter einem Parkplatz gefunden, und so geriet er wieder in die Schlagzeilen. In der Shakespeare-Produktion bringen Sie die jüngsten Entwicklungen ein. Fiennes: Ich habe eine große Leidenschaft für die Klassiker. Schon als Kind habe ich diese Stücke geliebt. Aber ich will in Produktionen spielen, die sie in ein neues Licht setzen oder in einen neuen Kontext, damit ich das Gefühl habe, ich setze keine Dublette auf. Uns kam die Überlegung: Was ist die letzte Sache, die wir über Richard III. herausgefunden haben? Und wir haben realisiert, dass es noch keine Produktion gab, die die Entdeckung der Knochen einbezogen hat – den Sinn dieses reinen Besucherzentrums in Leicester und unser steriles Interesse an Geschichte, die wirklich brutal ist. Es ging um die Idee, dass es unter uns, wo wir sitzen, unter den Gehsteigen in London, eine Geschichte von Revolution, Blutvergießen und Bürgerkriegen gibt. Neben dem, was wirklich passierte, schuf Shakespeare diese außergewöhnlichen Dramen.
Wie sehen Sie als Schauspieler die Unterschiede zwischen Theater und Film? Fiennes: Wenn man zwischen zweieinhalb und drei Stunden mit voller Konzentration auf der Bühne steht, herrscht großer Druck. Doch man wird belohnt, wenn man die Verbindung zu den Zuschauern spürt. Man merkt, wie sich die Produktion und das Publikum von sieben Uhr bis um halb elf ändert. Alle sind auf eine Reise gegangen. Das ist Theater und etwas sehr Besonderes. Beim Film kommt man früh und wartet oft viel. Man spielt kleine Schnipsel und hat keine Ahnung, wie diese bearbeitet werden und wie das Publikum das Ergebnis aufnimmt. Man kann großartige Dinge schaffen, aber man sitzt nicht auf jene Weise am Steuer, wie man das auf der Bühne tut. Und es ist toll, am Steuer zu sitzen.
Interview: Katrin Pribyl
Kino Das derzeit im Londoner Almeida Theatre aufgeführte Drama „Richard III.“wird in Kinos auf der ganzen Welt gezeigt. In der Inszenierung von Regisseur Rupert Goold ist neben Ralph Fiennes auch Vanessa Redgrave zu sehen. In Deutschland kommt das Stück in ausgewählten Filmtheatern auf die Leinwand (München: 26. 9. im Cinema Filmtheater). Weitere Informationen: www.almeida.co.uk