Gegen die Schaumschläger
Der Kritiker Gerhard Stadelmaier geht mit den eigenmächtigen Theaterregisseuren ins Gericht
Die Aufregung ist längst in die Jahre gekommen, und doch wird sie nicht verebben, solange es Theater gibt. „Anarchie in der Regie?“fragte ein bereits 1982 erschienener Suhrkamp-Band des vormaligen FAZFeuilletonchefs, Frankfurter Intendanten und heutigen Theaterhistorikers Günther Rühle. Man kann weiter zurückgehen, zu dem Kritiker Alfred Kerr (1867-1948), der über die „Schreckensherrschaft“der „Spielvögte“herzog. Seit es Regisseure gibt, also seit der Zeit nach 1800, steht diese Spezies im Feuer.
Also nichts Neues auf der Bühne? Halt!, donnert da der Weckruf Gerhard Stadelmaiers, des langjährigen, ebenso hochgeschätzten wie gefürchteten FAZ-Kritikers, 66, der zu viel Theater gesehen hat, als dass ihn der Ruhestand besänftigen könnte. Also legt er eine veritable Streitschrift vor unter dem von ihm selbst kreierten Titel „Regisseurstheater“– eben nicht „Regietheater“.
Letzteres, ein alter Hut, ging und geht einher mit der stereotypen Frage nach der „Werktreue“– als wäre diese ein Fixum und müsste nicht erst geschaffen werden; als hätte nicht schon die Rollenbesetzung Folgen für den Spieltext. Man könnte fortfahren, als hätten nicht auch textnahe Regisseure wie Fritz Kortner, Hans Lietzau, Rudolf Noelte oder Dieter Dorn experimentell und deutend eingegriffen.
Und doch hat dieser um Namen wie Peter Stein, Giorgio Strehler, Luc Bondy, Klaus Michael Grüber, Peter Zadek und viele andere zu erweiternde Kreis immer wieder lebendige Theaterkunst geschaffen, eben das, was Stadelmaier in seiner unübertrefflichen Art „Beispiele großen überwältigenden, dichtungund dichterstürmenden Regietheaters, Stückeüberwältigungen mit und im Stück“nennt. In aller Schärfe setzt der Kritiker das seit rund 20 Jahren grassierende „Regisseurstheater“ dagegen: Es klebe am Zeitgeist, ziehe das Spiel in die „schnöde und graue Alltäglichkeit“, bestehe nurmehr aus „szenischer Schaumschlägerei“, aus „Text- und Menschenverachtung“. Hauptsache: Action, angerichtet von Frank Castorf & Co. Stadelmaiers Diagnose: Dieses Theater „schändet die Phantasie“.
Man könnte sich, angestachelt durch diese wohlinformierte, weit und grundsätzlich ausholende, Erregungsspitzen setzende Schrift, z. B. als Augsburger Theatergänger fragen, ob der hiesige „Sommernachtstraum“nicht einem aggressiv sexualisierten und banalisierten Kraftakt zum Opfer fiel; ob nicht „Platonow“in der zunehmend veräußerlichten, technisch-medialen Überinstrumentierung unterging ...
Nicht verschwiegen sei, dass Stadelmaier zwei „bedeutende Zeitgeistmaschinen“ aufs Korn nimmt: neben dem Theater auch die Zeitung. Stichpunkte: Die kritische Auseinandersetzung trete immer weiter hinter den Service zurück. Den Leser, einen „Kunden, dem man nachläuft“, nehme man als kritischen Partner „nicht mehr ernst“. Und in den jüngsten, über den deutschen Blätterwald gestreuten Leserbefragungen („Reader-Scan“) und ihren teils mehr als fraglichen Ergebnissen macht der Autor genau jenen „Zeitgeist“aus, „der aus der Quantifizierung kommt“.
Gerhard Stadelmaier: Regisseurstheater. Verlag zu Klampen, 133 Seiten, 16 ¤.