Stresstest
Manchmal verhört man sich ja und ist nicht mehr sicher, ob da gerade von Abstand oder Anstand die Rede war, von Hybris oder Physis, Niedertracht oder Fliederpracht, blaffen oder bluffen, Kopie oder Utopie etc. Lesend ist es ähnlich: Zwangsheirat steht da, aber Zwangsbeitrag steigt in den Kopf. Zum Glück gibt es Wörter, die wir nicht mutmaßen, weil das gar zu absurd und abwegig wäre. Ein Stressfest? Kann gar nicht sein, trotz Weihnachten… Stress ist als Übel und Plage des modernen Lebens akzeptiert, von allen beklagt, von niemandem gefeiert, von jedermann wie ein Tapferkeitsorden vor sich hergetragen. Helden der Arbeit haben im Stress zu sein.
Das ganze Dasein in unserer schnelllebigen Zeit ist ein einziger Stress, könnte man sagen. Vieles hört irgendwann auf – die Atomkraft beispielsweise, das Schreiben mit der Hand, Zinsen fürs Sparguthaben, die Sommerferien oder Schweini. Doch der Stress kennt nur eine Richtung, die entgegengesetzte: Er geht immer nur weiter und weiter, er nimmt immer nur zu.
In dieser Hinsicht ähnelt der Stress dem Vergehen der Zeit. Fünf Jahre sind ins Land geeilt, seit die Gesellschaft für deutsche Sprache den Stresstest zum Wort des Jahres gekürt hat. Doch der Stresstest bleibt aktuell. Gestern gab’s Zeugnisse. Und gerade erfahren wir, wie und ob Europas höchst beanspruchte Banken einen neuerlichen Stresstest bestanden haben.
Dass Banken Stress machen, ist inzwischen ja an der Tagesordnung. Beim Stresstest hingegen wird der Stress nur simuliert – man rechnet also mögliche Krisenszenarien und Risikoverdichtungen hoch und durch. Was wäre, wenn? Ein Stressplanspiel. Verliert die Bank, fällt sie durch, verlieren wir alle. Gewinnt sie, besteht sie, gewinnen nicht alle. Stress jedenfalls bleibt systemrelevant.