Friedberger Allgemeine

Schnell schwimmen: damals und jetzt

Mark Spitz war der Star der 70er. Seitdem hat sich der Sport extrem entwickelt. Mit der Zeit seines Olympiasie­gs von München würde er heute nur noch bayerische­r Vizemeiste­r

- VON ANDREAS KORNES Fotos: Imago

Augsburg Mark Spitz war der überragend­e Athlet der Olympische­n Sommerspie­le von München. Der US-Schwimmer mit dem Schnauzbar­t gewann 1972 sieben Goldmedail­len. Eine davon über 100 Meter Freistil, der traditions­reichsten olympische­n Strecke. 51,22 Sekunden war er damals unterwegs – Weltrekord. Der Ungar Zoltán von Halmay hatte 1905 den ersten offizielle­n Weltrekord aufgestell­t. 1:05,8 Minuten lautete seine Bestmarke. Sie dient uns als Ausgangswe­rt für die Entwicklun­g des Schwimmspo­rts.

46 Mal wurde der Rekord seitdem verbessert. Der schnellste Mann aller Zeiten heißt momentan César Cielo Filho. Der Brasiliane­r hatte im Jahr 2009 die 100 Meter Freistil in 46,91 Sekunden zurückgele­gt und war damit Weltmeiste­r geworden.

Die WM 2009 in Rom bildete den fulminante­n Höhepunkt der „Plastik-Ära“. Supermoder­ne Anzüge aus Kunststoff hatten für eine Weltrekord­flut gesorgt. Während Mark Spitz 1972 noch im knappen Badehösche­n ins Wasser gehechtet war, quetschten sich seine Nachfolger 37 Jahre später in extrem enge Ganzkörper­anzüge.

2010 wurden diese verboten. Es dauerte knapp zwei Jahre, ehe der erste Weltrekord der neuen Ära geschwomme­n wurde.

Für die Schwimmwet­tbewerbe der Spiele in Rio haben Wissenscha­ftler neun neue Weltrekord­e vorhergesa­gt. Sie stützen sich bei ihrer Prognose auf einen mathemati- Algorithmu­s, der aus abertausen­den Einzelerge­bnissen Wahrschein­lichkeiten berechnet. Eine Erklärung für den ungebroche­nen Trend zu immer neuen Bestleistu­ngen liefern sie nicht.

Das macht stattdesse­n Olaf Bünde, Stützpunkt­trainer in München. Drei seiner Schwimmer haben sich für Rio qualifizie­rt, er selbst gehört zum deutschen Trainersta­b. Am wichtigste­n sei, dass der gesamte Schwimmspo­rt extrem profession­ell geworden ist. „Es wird sehr viel mehr und sehr härter als noch in den 70er und 80ern trainiert. Die gesamte Trainingsw­issenschaf­t hat sich weiter entwickelt.“Es werde viel mehr im Kraftraum gearbeitet. Schwimmer sind deutlich muskulöser geworden.

Einfluss nimmt aber auch das Interesse des Weltverban­des an neuen Weltrekord­en. Immer wieder wurden Regeln geändert, um schnellere Zeiten zu ermögliche­n. Neue Startblöck­e wurden eingeführt, die einen besseren Absprung garantiere­n. Die Delfinbewe­gung unter Wasser wurde erlaubt und von den Athleten perfektion­iert.

Michael Groß beispielsw­eise hatte sich bei seinem Olympiasie­g 1984 noch nicht mit einer Tauchphase beschäftig­t, sondern war gleich nach dem Startsprun­g wieder aufgetauch­t und los geschwomme­n.

Heute nutzen Weltklasse­schwimmer wie Michael Phelps die erlaubten 15 Meter bis zum letzten Zentimeter aus. Denn unter Wasser kommt der Mensch deutlich schnelsche­n ler voran, als an der Wasserober­fläche. Das alles hat zur Folge, dass die Zeiten, die bei den Sommerspie­len 1972 noch Gold bedeuteten, heute schon von Exoten in den Vorläufen geschwomme­n werden. Spitz hätte das Halbfinale der Sommerspie­le in London um mehr als zwei Sekunden verpasst.

Selbst die Vermutung, dass heute „besser“gedopt werde, als vor 20 Jahren, kann nicht als alleinige Erklärung für diese Entwicklun­g herhalten. Denn auch schon im Amateurber­eich, in dem es beim Schwimmen keinen Euro zu verdienen gibt, haben sich die Zeiten extrem verbessert. Die Erkenntnis­se aus dem Profiberei­ch werden nach unten durchgerei­cht. Ein Beispiel: Mark Spitz wäre mit seiner Weltrekord­zeit von 1972 bei den bayerische­n Meistersch­aften 2016 gerade mal Zweiter geworden.

Wann endet diese Entwicklun­g? „Wenn ich mir die letzten 20, 30 Jahre anschaue, muss ich davon ausgehen, dass sich die Spirale weiter dreht“, sagt der Olympia-Trainer Bünde. Über 1500 Meter Freistil zum Beispiel habe der alte Weltrekord über Jahre gehalten, um dann plötzlich verbessert zu werden. „Irgendwann kommt immer ein Sportler, der diese besondere Veranlagun­g, dieses Talent hat und schneller schwimmt als alle anderen. Ich kann mir momentan nicht vorstellen, dass wir stagnieren.“

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Foto: dpa Die Schwimmer von heute haben nicht mehr allzu viel gemeinsam, mit ihren Kollegen in den 70ern. Vor allem sind sie deutlich schneller unterwegs.
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Top-Schwimmer damals und heute: Schon der unterschie­dliche Körperbau von Michael Phelps (links) und Mark Spitz zeigt die Entwicklun­g der Sportart.
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Olaf Bünde

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