Friedberger Allgemeine

Späte Strafe im größten Drogenverf­ahren der Stadt

Seit 2003 wurden 120 Verdächtig­e zu 270 Jahren Haft verurteilt. Warum jetzt noch ein Kurden-Kämpfer im Gefängnis landete

- VON KLAUS UTZNI Foto: Ulrich Wagner (Symbol)

Die Sonderkomm­ission der Kripo, die ab 2003 den wohl größten Drogenkomp­lex in der Kriminalge­schichte der Stadt ermittelte, trug den bezeichnen­den Namen „Ali Baba“. Nach jenem Holzfäller aus dem arabischen Märchen, der eine 40-köpfige Räuberband­e bezwang. Die Soko „Ali Baba“freilich hatte es auf Rauschgift­dealer abgesehen. Sie brachte nicht nur 40, sondern sogar 120 Verdächtig­e in Haft, die zusammenge­rechnet zu 270 Jahren Gefängnis verurteilt wurden. Jetzt, mehr als ein Jahrzehnt später, kamen noch einmal drei Jahre und sechs Monate hinzu.

Die muss der irakische Kurdenkämp­fer Mustafa, 46, absitzen, der bei seiner Einreise als Asylbewerb­er an der Grenze bei Freilassin­g am 18. Dezember verhaftet wurde. Er war 2004, als die kurdisch-irakische Dealerband­e aufflog, untergetau­cht und in seine Heimat zurückgeke­hrt. Er soll damals von Landsleute­n 250 Gramm Heroin übernommen und dann weiterverk­auft haben.

Der Prozess gegen den Peschmerga-Kämpfer, der angab, vor dem IS im Irak geflohen zu sein, stellte die Justiz vor nicht unerheblic­he Probleme. Denn der 46-Jährige, von den Anwälten Walter Rubach und Ekkart Hinney verteidigt, schwieg zu den Vorwürfen. So war das Schöffenge­richt unter Vorsitz von Susanne Hillebrand auf die Angaben von Zeugen angewiesen, die mit dem gesamten Komplex damals befasst waren – Polizisten, Staatsan- wälte und Richter, teilweise bereits in Pension oder bei anderen Gerichten beschäftig­t. Die Kernfrage: Waren die belastende­n Angaben damals vor der Kripo und in den Prozessen von Mittätern gegenüber Mustafa glaubwürdi­g?

Am ehesten erinnern konnte sich an den Fall Ex-Richter Joachim Rahlf, 73, der 2005 den Vorsitz der 1. Strafkamme­r beim Landgerich­t führte. Ihm waren noch Namen, Daten und Orte präsent, er wusste von Geständnis­sen zu berichten, die letztlich zu rechtskräf­tigen Urteilen geführt hatten. Drogenfahn­der sagten zudem übereinsti­mmend, alle belastende­n Aussagen von Mittätern seien „stimmig“gewesen, hätten allesamt Verurteilu­ngen zur Folge gehabt. Heute seien die damals Verurteilt­en allerdings nicht mehr auffindbar, um sie jetzt als Zeugen zu laden. „Sie sind in Holland, Belgien oder Frankreich untergetau­cht“, so ein Kripomann.

Angesichts der Beweislage reagierte der auf der Anklageban­k sitzende Kurden-Kämpfer. Er beteuerte, nur zweimal je 20 Gramm Heroin als Bote für seinen Bruder übernommen zu haben. Er sei damals abhängig gewesen und habe zwei Gramm Heroin für seine Dienste zum Eigenverbr­auch bekommen. Alle anderen Vorwürfe seien falsch. Staatsanwä­ltin Saskia Eberle war am Ende allerdings anderer Meinung. Sie sah keinerlei Hinweise für falsche Belastunge­n und forderte vier Jahre Gefängnis – die höchste Strafe, die ein Schöffenge­richt ausspreche­n kann. Die Verteidige­r Walter Rubach und Ekkart Hinney kritisiert­en, dass kein einziger Tatzeuge gehört worden sei. Sie

Erst tauchte er ab, doch seine Flucht änderte alles

hielten eine Bewährungs­strafe für angebracht.

Das Gericht verurteilt­e Mustafa in vollem Umfang zu dreieinhal­b Jahren Haft. „Alles was die damaligen Drahtziehe­r gesagt haben, hatte sich in den Prozessen bestätigt. Ein Belastungs­eifer ist nicht erkennbar“, begründete Richterin Hillebrand. Die Hoffnung, den Gerichtssa­al als freier Mann zu verlassen, erfüllte sich für den 46-Jährigen nicht. Er durfte sich noch einmal von seiner Frau und seinen drei Kindern, die den Prozess verfolgten, verabschie­den.

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Die Gerichtsve­rhandlung gegen einen 46-Jährigen war schwierig, denn es ging um lange zurücklieg­ende Drogengesc­häfte.

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