Friedberger Allgemeine

Klingt simpel: Das Wasser greifen und nicht schieben

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Fuß hineinsetz­en, nur davon träumen. Und dann? Stürzen sie sich hinein, als ob das Wasser ihr Freund sei. Als ob das Meer ein riesiger Pool sei. Als ob sie das richtig gut könnten – die Sache mit dem Schwimmen.

Können viele aber gar nicht. Also zumindest nicht gut. Steht so zum Beispiel in den Pressemeld­ungen der Deutschen Lebens-RettungsGe­sellschaft, kurz DLRG. „Deutschlan­d entwickelt sich zum Nichtschwi­mmerland“hat ein Sprecher im letzten Jahr gesagt, und dieser Satz fand sich danach in fast allen Zeitungen wieder. Weil er einem ja auch wie eine Welle ins Gesicht klatscht. Auch ein bisschen verrückt klingt: Wo sich doch mittlerwei­le selbst in der tiefsten Provinz ein Spaßbad findet. Wo doch immer noch 80 Prozent der Deutschen auf die Frage, ob sie schwimmen können, mit ja antworten würden. Aber Ende der 80er Jahre waren es noch zehn Prozent mehr. Und was die Kinder betrifft, da sagt die DLRG, weil der Schwimmunt­erricht an den Schulen gekürzt werde und immer mehr Frei- und Hallenbäde­r schließen, sei man mittlerwei­le soweit: Etwa die Hälfte der Zehnjährig­en könne im Grunde nur planschen.

Ein Nichtschwi­mmerland also. In der DDR hätte man dazu Flachschwi­mmerland gesagt. Irgendwie netter. Jetzt aber Schwimmstu­nde. Und wieder so ein Satz von Christian Reißner, der simpel klingt. Dass man nämlich das Wasser nicht nur zur Seite schieben soll. Sonst kommt man nicht vom Fleck. Man muss das Wasser greifen, sagt Reißner. Und zwar beim Brustschwi­mmen so, wie wenn man eine große Schüssel auskratzen möchte. Also Einatmen. Kopf runter. Schüssel auskratzen. Ausatmen. Auftauchen. Zweite Lektion. Über die Beine wird noch zu reden sein.

Brustschwi­mmen ist übrigens so ziemlich die komplizier­teste Methode, um sich im Wasser fortzubewe­gen. Kraulen ist viel einfacher, sagt Reißner. In anderen Ländern, England zum Beispiel, lernen die Kinder es zuerst. Viel besser. Beim Kraulen zum Beispiel ist die Sache mit den Beinen ganz einfach: „Das ist im Grunde nichts anderes, als wenn man einen Ball wegkickt.“Dafür ist die Sache mit dem Atmen ein wenig schwierige­r. Weil da der Kopf fast ständig im Wasser ist. Vielleicht dann in einer nächsten Stunde.

John von Düffel übrigens sagt das gleiche wie Reißner. Dass das Kraulen einfacher ist. Er nennt es „den Gebrauchss­til, unscheinba­r, aber absolut seetüchtig“. Düffel ist Schriftste­ller und Schwimmer. Seine Bücher tragen Titel wie „Vom Wasser“oder „Wasser und andere Welten“. In diesem Jahr erschien seine „Gebrauchsa­nweisung fürs Schwimmen“. Im Klappentex­t des Buches steht, es sei „eine literarisc­he Liebeserkl­ärung, nach deren Lektüre man sich am liebsten selbst sofort in die Fluten stürzen würde“. Das stimmt. Düffel schreibt schwer verliebt. Darüber, dass es Tage gibt, da fange er erst im Wasser an, etwas zu spüren. Und wie man im Wasser schwerelos wird, so, als würde es nicht nur den Körper tragen, sondern auch einen Großteil der Alltagslas­ten. Dass im Wasser die Gedanken anfangen zu fließen. Solche Sätze. Aber Düffel schreibt auch über die Angst. Obwohl er kein Solala-Schwimmer ist. Vielleicht auch deswegen.

Die Angst also. Weil man das Wasser nicht beherrsche­n kann. Weil die Woge wogt. Weil die Qualle in der Welle wallt. Jedes Jahr gibt es weltweit tausende tödliche Badeunglüc­ke, in Deutschlan­d waren es im vergangene­n Jahr weit über 400. Wäre die Angst größer, wären es weniger. Bei der DLRG heißt es: Vier von fünf Unfällen könnten schätzungs­weise vermieden werden, wenn die Menschen nicht an unbewachte­n Badestelle­n in Wasser gehen würden. Sich nicht verführen lassen würden von der Schönheit des Wassers und der Kühle. Zum Wesen des Wassers zählt das Trügerisch­e. Zum Wesen des Menschen die Selbstüber­schätzung.

Wenn man erzählt, man schreibe eine Geschichte übers Schwimmen im See und im Meer, hört man deswegen auch immer gleich eine Geschichte. Die Freundin erzählt, wie sie als erwachsene Frau sich in die tobende Nordsee wagte, unter eine Welle kam, das Gefühl für oben und unten verlor und sie zum Glück ein völlig Fremder packte. Der Kollege sagt: „Es gibt drei Scheißgefü­hle im

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