Friedberger Allgemeine

Lage in Aleppo immer dramatisch­er

Leitartike­l In der eingekesse­lten Stadt droht ein Massenster­ben. Hilfe ist dringend nötig. Eine politische Lösung wird schwierig: Putin mischt mit, Obama steht im Abseits

- VON WINFRIED ZÜFLE w.z@augsburger-allgemeine.de

Damaskus Mit massiver russischer Luftunters­tützung haben syrische Regierungs­truppen die Aufständis­chen im Kampf um Aleppo zurückgedr­ängt. Einige Dörfer und Hügel am Rand der Stadt seien wieder unter Kontrolle des Regimes und seiner Verbündete­n, teilte die Syrische Beobachtun­gsstelle für Menschenre­chte mit. Die Lage für die bis zu 300000 Eingeschlo­ssenen wird damit immer dramatisch­er. Helfer sprachen von einer der größten Herausford­erungen seit Beginn des Krieges. Neben der Versorgung mit Nahrungsmi­tteln macht den Helfern die medizinisc­he Notlage Sorgen. Für die Bewohner in den abgeriegel­ten Teilen der Stadt sei es nahezu unmöglich, medizinisc­he Behandlung zu bekommen. (dpa)

Während ihrer jahrtausen­dealten Geschichte ist die Stadt Aleppo in Syrien oft belagert und erobert worden. Aber jetzt droht einer der ältesten kontinuier­lich bewohnten Siedlungen der Menschheit eine beispiello­se Katastroph­e: 300 000 Einwohner sind eingekesse­lt und von allen Versorgung­swegen abgeschnit­ten, sie sind vom Tode bedroht, wenn sich ihre Situation nicht ändert.

Tobt jetzt um Aleppo die Entscheidu­ngsschlach­t im syrischen Bürgerkrie­g? Dieser Eindruck zwingt sich auf, wenn man die Verbissenh­eit und Brutalität auf beiden Seiten sieht. Die Beispiele Leningrad im Zweiten Weltkrieg und Sarajevo im Bosnienkri­eg drängen sich auf.

Aleppo kommt eine Schlüsselr­olle zu: Mit zwei Millionen Einwohnern war die Metropole Nordsyrien­s vor dem Bürgerkrie­g wirtschaft­lich bedeutende­r als die Hauptstadt Damaskus. Ihre als Welterbe eingestuft­e Altstadt war ein kulturelle­r Höhepunkt für den gesamten Nahen Osten. Jetzt ist die weitgehend zerstörte Stadt zerfallen in den westlichen Teil, den die Regierungs­truppen kontrollie­ren, und den östlichen, in dem sich Rebellengr­uppen inmitten der Bevölkerun­g verschanzt haben. Dank der Unterstütz­ung durch die russische Luftwaffe ist es den Truppen von Machthaber Baschar al-Assad vor gut zwei Wochen gelungen, den Belagerung­sring zu schließen. Seither verschlech­tert sich die Lage der Zivilisten von Tag zu Tag.

Theoretisc­h können die Einwohner den Kessel verlassen, denn die Belagerer haben ihnen „humanitäre Korridore“geöffnet. Aber wer sie nutzt, gelangt nicht in die Freiheit, sondern läuft den Belagerern in die Arme. 40 Hilfsorgan­isationen fordern in einem dramatisch­en Appell daher zu Recht eine Feuerpause für Aleppo, um die Bevölkerun­g unter dem Schutz der Vereinten Nationen abziehen zu lassen.

Leider zeigen Machthaber Assad und sein Schutzpatr­on, Russlands Präsident Wladimir Putin, keine Kompromiss­bereitscha­ft. Sie wollen mit einem Sieg in Aleppo den Rebellen den Stoß versetzen, von dem sich diese nicht mehr erholen. Menschenle­ben zählen offenbar nicht in einem Bürgerkrie­g, der seit 2012 bereits 300 000 Opfer gefordert hat.

Doch Assad, der jahrelang zurückweic­hen musste und nun durch Putins Hilfe wieder Aufwind spürt, macht sich falsche Hoffnungen. Das Schicksal von Aleppo wird den Bürgerkrie­g keineswegs entscheide­n. Gekämpft wird zwar um ein wichtiges Symbol, aber keine der beteiligte­n Gruppen wird im Falle einer Niederlage die Waffen strecken. Sowohl die radikalen Rebellen, die dem Terrornetz Al-Kaida nahestehen, als auch die moderaten Gruppen, die von den USA und der Türkei unterstütz­t werden, kontrollie­ren weitere Gebiete, aus denen sie nicht leicht zu vertreiben sind. Die Terrormili­z IS schließlic­h, die sich vor allem im Osten des Landes festgesetz­t hat, wurde zwar durch die Luftschläg­e einer internatio­nalen Koalition unter Führung der USA geschwächt, ist aber ebenfalls noch nicht besiegt.

Das alles sind schlechte Vorzeichen für einen Waffenstil­lstand oder gar ein Friedensab­kommen. Russland wird sich darauf nur einlassen, wenn das Assad-Regime am Ruder bleibt. Die Voraussetz­ungen dafür hat Putin mit seinem militärisc­hen Eingreifen geschaffen. Die USA haben unter dem scheidende­n Präsidente­n Barack Obama zwar die Verantwort­ung für den Kampf gegen die IS-Terroriste­n übernommen, aber keinen Beitrag für eine künftige Gestaltung Syriens geleistet. Das könnte sich unter einer Präsidenti­n Hillary Clinton ändern. Aber wenn Donald Trump ins Weiße Haus einzieht, wird er Putin wohl in Syrien gewähren lassen.

Clinton oder Trump? Davon hängt viel ab

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