Lage in Aleppo immer dramatischer
Leitartikel In der eingekesselten Stadt droht ein Massensterben. Hilfe ist dringend nötig. Eine politische Lösung wird schwierig: Putin mischt mit, Obama steht im Abseits
Damaskus Mit massiver russischer Luftunterstützung haben syrische Regierungstruppen die Aufständischen im Kampf um Aleppo zurückgedrängt. Einige Dörfer und Hügel am Rand der Stadt seien wieder unter Kontrolle des Regimes und seiner Verbündeten, teilte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit. Die Lage für die bis zu 300000 Eingeschlossenen wird damit immer dramatischer. Helfer sprachen von einer der größten Herausforderungen seit Beginn des Krieges. Neben der Versorgung mit Nahrungsmitteln macht den Helfern die medizinische Notlage Sorgen. Für die Bewohner in den abgeriegelten Teilen der Stadt sei es nahezu unmöglich, medizinische Behandlung zu bekommen. (dpa)
Während ihrer jahrtausendealten Geschichte ist die Stadt Aleppo in Syrien oft belagert und erobert worden. Aber jetzt droht einer der ältesten kontinuierlich bewohnten Siedlungen der Menschheit eine beispiellose Katastrophe: 300 000 Einwohner sind eingekesselt und von allen Versorgungswegen abgeschnitten, sie sind vom Tode bedroht, wenn sich ihre Situation nicht ändert.
Tobt jetzt um Aleppo die Entscheidungsschlacht im syrischen Bürgerkrieg? Dieser Eindruck zwingt sich auf, wenn man die Verbissenheit und Brutalität auf beiden Seiten sieht. Die Beispiele Leningrad im Zweiten Weltkrieg und Sarajevo im Bosnienkrieg drängen sich auf.
Aleppo kommt eine Schlüsselrolle zu: Mit zwei Millionen Einwohnern war die Metropole Nordsyriens vor dem Bürgerkrieg wirtschaftlich bedeutender als die Hauptstadt Damaskus. Ihre als Welterbe eingestufte Altstadt war ein kultureller Höhepunkt für den gesamten Nahen Osten. Jetzt ist die weitgehend zerstörte Stadt zerfallen in den westlichen Teil, den die Regierungstruppen kontrollieren, und den östlichen, in dem sich Rebellengruppen inmitten der Bevölkerung verschanzt haben. Dank der Unterstützung durch die russische Luftwaffe ist es den Truppen von Machthaber Baschar al-Assad vor gut zwei Wochen gelungen, den Belagerungsring zu schließen. Seither verschlechtert sich die Lage der Zivilisten von Tag zu Tag.
Theoretisch können die Einwohner den Kessel verlassen, denn die Belagerer haben ihnen „humanitäre Korridore“geöffnet. Aber wer sie nutzt, gelangt nicht in die Freiheit, sondern läuft den Belagerern in die Arme. 40 Hilfsorganisationen fordern in einem dramatischen Appell daher zu Recht eine Feuerpause für Aleppo, um die Bevölkerung unter dem Schutz der Vereinten Nationen abziehen zu lassen.
Leider zeigen Machthaber Assad und sein Schutzpatron, Russlands Präsident Wladimir Putin, keine Kompromissbereitschaft. Sie wollen mit einem Sieg in Aleppo den Rebellen den Stoß versetzen, von dem sich diese nicht mehr erholen. Menschenleben zählen offenbar nicht in einem Bürgerkrieg, der seit 2012 bereits 300 000 Opfer gefordert hat.
Doch Assad, der jahrelang zurückweichen musste und nun durch Putins Hilfe wieder Aufwind spürt, macht sich falsche Hoffnungen. Das Schicksal von Aleppo wird den Bürgerkrieg keineswegs entscheiden. Gekämpft wird zwar um ein wichtiges Symbol, aber keine der beteiligten Gruppen wird im Falle einer Niederlage die Waffen strecken. Sowohl die radikalen Rebellen, die dem Terrornetz Al-Kaida nahestehen, als auch die moderaten Gruppen, die von den USA und der Türkei unterstützt werden, kontrollieren weitere Gebiete, aus denen sie nicht leicht zu vertreiben sind. Die Terrormiliz IS schließlich, die sich vor allem im Osten des Landes festgesetzt hat, wurde zwar durch die Luftschläge einer internationalen Koalition unter Führung der USA geschwächt, ist aber ebenfalls noch nicht besiegt.
Das alles sind schlechte Vorzeichen für einen Waffenstillstand oder gar ein Friedensabkommen. Russland wird sich darauf nur einlassen, wenn das Assad-Regime am Ruder bleibt. Die Voraussetzungen dafür hat Putin mit seinem militärischen Eingreifen geschaffen. Die USA haben unter dem scheidenden Präsidenten Barack Obama zwar die Verantwortung für den Kampf gegen die IS-Terroristen übernommen, aber keinen Beitrag für eine künftige Gestaltung Syriens geleistet. Das könnte sich unter einer Präsidentin Hillary Clinton ändern. Aber wenn Donald Trump ins Weiße Haus einzieht, wird er Putin wohl in Syrien gewähren lassen.
Clinton oder Trump? Davon hängt viel ab