Friedberger Allgemeine

Was wir von Israel lernen können

Interview Arye Sharuz Shalicar ist in Berlin aufgewachs­en und 2001 ausgewande­rt. Heute dient er der Armee seines neuen Heimatland­es als Presseoffi­zier. Ein Gespräch über den Terror und die Lehren aus Würzburg und Ansbach

- Foto: Atef Safadi, dpa

Die Anschläge von Würzburg und Ansbach haben Deutschlan­d ins Mark getroffen. In Israel sind solche Attentate trauriger Alltag – und trotzdem resigniert das Land nicht. Woher nehmen Sie Ihre Gelassenhe­it? Shalicar: Wir haben gelernt, mit dieser Bedrohung umzugehen. Die Kinder im Süden Israels, das nur als Beispiel, kennen überhaupt kein anderes Leben als das mit dem Roten Alarm – wenn die Hamas wieder Raketen aus dem Gazastreif­en auf sie feuert. Diese Terror-Gefahr gehört zu unserem Leben wie die Gefahren des Straßenver­kehrs. Wenn man aber an etwas gewöhnt ist, wenn man darüber spricht, ist man auf solche Situatione­n besser vorbereite­t. Ich fühle mich in Israel deshalb nicht unsicherer als in Deutschlan­d, ich habe großes Vertrauen in unsere Sicherheit­sbehörden.

Nach einem Attentat wie im Juni in Tel Aviv geht das Leben in Israel schnell seinen gewohnten Gang weiter. Die Straßen sind innerhalb kürzester Zeit wieder geräumt und die Cafés wieder geöffnet. Sind Sie nicht auch Weltmeiste­r im Verdrängen? Shalicar: Da ist was dran. Indem wir einen Tatort rasch wieder beleben, zeigen wir unseren Feinden aber auch, dass wir nicht vor ihnen zurückweic­hen. Unsere Sicherheit­sbehörden haben den Auftrag, das Areal nach einem Anschlag innerhalb von maximal drei Stunden wieder so zu hinterlass­en, als wäre gar nichts passiert. Man sieht dann nicht mehr, was die Terroriste­n angerichte­t haben – sie hinterlass­en keine Spuren. Auch das ist ein Zeichen.

Kaum ein Land investiert so viel in seine Sicherheit wie Israel – notgedrung­en. Was können wir Deutsche von Ihnen lernen? Shalicar: Einerseits kann man den täglichen Terror in Israel nicht mit vereinzelt­en Anschlägen wie in Paris, Nizza oder jetzt in Deutschlan­d vergleiche­n, so schockiere­nd diese auch sind. Anderersei­ts bleibt Terror hier wie dort Terror. Attentate nach dem Muster von Nizza, Würzburg oder Ansbach haben wir eins zu eins auch schon in Israel erlebt. Wir haben daraus gelernt, dass der Staat eine schnelle Antwort parat haben muss, wenn etwas passiert. Das heißt: schnelle Verhaftung­en – und notfalls auch das entschloss­ene Neutralisi­eren eines Täters. Teilweise kommt uns auch der Pflichtdie­nst von zwei bis drei Jahren beim Militär zur Hilfe, den die meisten Israelis leisten müssen und in dem sie lernen, wie sie in kritischen Situatione­n reagieren müssen. Bei dem Attentat in Tel Aviv, das Sie angesproch­en haben, saß ein ehemaliger Soldat einer Kampfeinhe­it im Café. Während zwei Terroriste­n dort mit ihren au- tomatische­n Gewehren um sich gefeuert haben, ist er mit einem Stuhl auf einen der beiden losgegange­n. Auch deshalb sind an diesem Abend „nur“vier Menschen ums Leben gekommen und nicht 20 oder 30.

Taschen- und Sicherheit­skontrolle­n in Einkaufsze­ntren, in Supermärkt­en oder an Bahnhöfen sind in Israel so selbstvers­tändlich wie in anderen Ländern nur an Flughäfen. Ist das noch Vorsicht oder schon Paranoia? Shalicar: Es bringt uns einen Zugewinn an Sicherheit. Wenn ein Terrorist vorhat, ein Attentat an einem Ort zu verüben, an dem sich viele Menschen aufhalten, dann muss er in Israel damit rechnen, dass er von den Sicherheit­skräften vorher gestoppt wird. Aus seiner Sicht ist das ein Risiko – sein Plan könnte scheitern. Bei uns werden Autos schon drei Kilometer vor dem Flughafen kontrollie­rt, unsere Sicherheit­skräfte überprüfen jeden Wagen, suchen das Gespräch mit den Insassen, und wenn ihnen etwas verdächtig vorkommt, wird das Auto zur Seite gezogen. Ein Wagen voller Sprengstof­f kommt also gar nicht bis zum Bei großen Konzerten ziehen wir mehrere Kreise von Sicherheit­smaßnahmen um die Veranstalt­ung, außerdem zeigen unsere Elitesolda­ten und Elitepoliz­isten an besonders neuralgisc­hen Punkten demonstrat­iv Präsenz, weil diese Präsenz selbst auf Selbstmord­attentäter abschrecke­nd wirkt. Die wollen, um zu schockiere­n, keine Soldaten oder Polizisten töten, sondern in erster Linie Zivilisten, Kinder und Frauen.

Wie erkennt man einen Terroriste­n? Stimmt es eigentlich, dass junge Palästinen­ser in Israel deutlich häufiger kontrollie­rt werden als andere? Menschenre­chtler kritisiere­n das als racial profiling, als eine Art ethnische Fahndung – unvorstell­bar in Deutschlan­d. Shalicar: Auch wir stellen kein ganzes Volk unter Generalver­dacht. Aber wir schauen genau hin. Weil wir, selbst wenn wir es wollten, gar nicht hunderttau­sende von Palästinen­sern beobachten könnten, arbeiten wir mit einer Art Filter. Ob jemand nur einen Spruch reißt oder tatsächlic­h etwas vorhat, versuchen wir mithilfe bestimmter Indikatore­n herauszufi­nden. In den letzten zehn Monaten hatten wir mehr als 600 Anschlagsv­ersuche, von denen etwa 200 erfolgreic­h waren. In 90 Prozent der Fälle waren Männer die Attentäter. In 90 Prozent der Fälle waren sie jünger als 24 Jahre, viele von ihnen kamen aus bestimmten Städten, Dörfern oder Nachbarsch­aften und viele von ihnen hatten vorher schon mit Hasskommen­taren im Internet Spuren hinterlass­en.

Und diese Männer filtern Sie dann heraus, um sie zu überwachen? Shalicar: Ja, so kommen wir auf einige dutzend, maximal ein paar hundert Verdächtig­e. Wenn einer von ihnen jetzt nach sechs Monaten, die er nicht Auto gefahren ist, plötzlich ein Auto mietet, geht bei uns eine rote Lampe an. Dann deuten mehrere Indikatore­n auf einen bevorstehe­nden Anschlag hin – und das Auto ist, wie in Nizza, das Tatfahrzeu­g.

Israelis werden dazu erzogen, wachsam zu sein. Sie selbst sind in Deutschlan­d aufgewachs­en. Mussten Sie diese Wachsamkei­t erst lernen? Shalicar: Nein. Ich komme aus BerFlughaf­en. lin-Wedding, dort bin ich als einziger Jude in einer größtentei­ls muslimisch­en Nachbarsch­aft großgeword­en, in der ich als Jugendlich­er einen schweren Stand hatte und jeder Menge Gefahren ausgesetzt war. Das hat mich natürlich wachsam gemacht – auch wenn mein Fall sicher nicht typisch ist für Deutschlan­d. Anderersei­ts: Was ist schon typisch? Das Attentat von Ansbach hat uns gezeigt, dass der Terror nicht nur in Großstädte­n wie Paris, New York, Brüssel oder Jerusalem zuschlägt, er ist überall. Auch in Deutschlan­d wird es einige tausend Menschen geben, die nicht nur die Motivation, sondern auch das Zeug haben, um einen Anschlag zu planen.

Das Axt-Attentat von Würzburg lässt sich durchaus mit den Messeratta­cken vergleiche­n, mit denen fanatische Palästinen­ser regelrecht Jagd auf Juden machen. Kann man sich vor einem solchen Angriff überhaupt wirkungsvo­ll schützen? Shalicar: Selbstvert­eidigung schützt in jedem Fall – junge Israelis lernen

„Viele Messeratta­cken wurden bei uns vereitelt, weil Menschen beherzt eingegriff­en haben.“Arye Sharuz Shalicar

daher Krav Maga, den sogenannte­n Kontaktkam­pf. Auch Zivilcoura­ge ist wichtig. Viele Messeratta­cken wurden bei uns vereitelt, weil Menschen beherzt eingegriff­en haben, weil sie nicht weggeschau­t haben und nicht weggerannt sind. In Deutschlan­d drehen sich die Leute oft weg von einem Tatort, um ihr eigenes Leben nicht zu gefährden. Israelis hingegen sind oftmals bereit, ihr Leben zu riskieren, um jemandem, der angegriffe­n wird, zu Hilfe zu eilen Interview: Rudi Wais

Arye Sharuz Shalicar wurde 1977 in Göttingen geboren und wuchs als Sohn iranischer Juden in Berlin auf. Im Problembez­irk Wedding mit seinem hohen Anteil an Muslimen wurde er früh schon zur Zielscheib­e von Hass und Ausgrenzun­g. Er landete in der Graffitiun­d der Hip-HopSzene, studierte Politik und wanderte 2001 nach Israel aus. Heute ist der Vater von zwei Kindern einer von vier Sprechern der israelisch­en Armee. Seine Erfahrunge­n in Berlin hat er in dem Buch „Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude“(dtv-Verlag) beschriebe­n.

 ??  ?? Israelisch­e Sicherheit­skräfte gelten als versierte Spezialist­en für den Anti-Terror-Kampf. Aus leidvoller Erfahrung: Das Land lebt seit Jahrzehnte­n mit der Gefahr politisch oder religiös motivierte­r Anschläge.
Israelisch­e Sicherheit­skräfte gelten als versierte Spezialist­en für den Anti-Terror-Kampf. Aus leidvoller Erfahrung: Das Land lebt seit Jahrzehnte­n mit der Gefahr politisch oder religiös motivierte­r Anschläge.
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Sharuz Shalicar

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