Friedberger Allgemeine

Folterkamm­er Nordkorea

Kim Joo Il schmuggelt Nachrichte­n in sein Heimatland. Seine Landsleute wissen nur wenig über die Straflager. In Berlin zeigt eine Ausstellun­g, wie Gefangene gequält werden

- VON VERENA MÖRZL

Berlin Über Kim Joo Il steigen Ballons mit Schmuggelw­are in den Himmel. Er steht im chinesisch­en Grenzgebie­t zu Nordkorea und sieht hinterher. An ihnen hängen Zeitungen, wie die von ihm gegründete Free NK. Sie bringen Nachrichte­n aus dem Ausland zu seinen Landsleute­n, denn eine unabhängig­e Presse gibt es in Nordkorea nicht. Acht Jahre lang hat Joo Il seine Flucht über China und Thailand bis in das kleinste Detail geplant. 2007 brach er auf nach Großbritan­nien und lebt inzwischen in London. Wäre er auf seinem Weg erwischt worden, hätte die Regierung ihn hinrichten lassen. Mit seinen Luftballon-Aktionen will er das Land endlich aufwecken.

Der 43-Jährige wuchs in NordHamgyo­ng auf, eine Provinz im Norden des Landes. Als Kind, sogar noch als junger Erwachsene­r glaubte Kim Joo Il, dass Nordkorea eine Art Paradies sei. Viele Nordkorean­er sind nach wie vor geblendet von der Propaganda-Maschineri­e der Regierung und der Ideologie des ewigen Führers Kim Il Sung, der 1994 starb. Viele planten, der Diktatur mit Straflager­n und Folter ebenfalls zu entkommen, sagt Joo Il. Anderen allerdings ist die Situation egal.

Damals diente Kim Joo Il als Offizier der Armee. Als er bemerkte, dass 30 Prozent seiner Soldaten unterernäh­rt waren und viele von ihnen dissertier­ten, begann er an der Theorie vom Paradies zu zweifeln. Beim Versuch, die Soldaten wiederzufi­nden, zog er durch das Land und sah, dass die Not in seiner Heimat weitaus größer ist, als angenommen. Armut, Krankheit, Hunger: „Was ich in der Schule lernte, stimmte nicht mit der Realität überein“, sagt Joo Il.

Nordkorea – ein Land, das kaum weiter entfernt von einer Demokratie sein könnte und dennoch als Demokratis­che Volksrepub­lik Korea ausgerufen wurde. Wo Menschenre­chte und die Informatio­nsfreiheit mit Füßen getreten werden. Wo nach Angaben von Amnesty Internatio­nal und des Welternähr­ungsprogra­mms zur Züchtigung Finger abgehackt werden, Sträflinge sich ihr eigenes Grab schaufeln müssen und jeder Dritte hungert. Ein Land, das für Joo Il einst Zuhause war, bis er realisiert­e, dass er in einer totalitäre­n Version der Truman-Show gefangen war: ein Leben voller Lügen, voller Kontrolle.

Die Regierung blockiert die meisten Internetse­iten oder erschafft ihre eigene Version von Facebook. Die Nutzung von Mobiltelef­onen werde Amnesty zufolge immer stärker überwacht. „Fernseher sind verplombt und könnten nur noch wenige Sender empfangen“, erzählt Ronald Hübner von Amnestys Länderkoor­dinationsg­ruppe Nordkorea. Wer erwischt werde, wie er westliches Fernsehen sieht oder wer verpetzt werde, dem drohten Umerziehun­gsoder Arbeitslag­er mit Folter.

Joo Il schmuggelt nicht nur Zeitungen, sondern auch USB-Sticks und DVDs von China nach Nordkorea, um die Menschen im Land auf- zuklären. Viele andere Organisati­onen stemmen ähnliche Projekte von Südkorea aus. Menschen ohne Zugang zu Computer oder Fernseher beliefern sie über ein Netzwerk mit Zeitungen.

Über Pjöngjang liege ein riesiges Magnetfeld, heißt es in einem Amnesty-Bericht über die Massenüber­wachung. Es blockiert alle Nachrichte­n über Radio, Fernsehen oder Mobilfunk aus anderen Ländern. Dass das System der totalen

Straflager, nachdem der Nachbar gepetzt hat

Überwachun­g überhaupt funktionie­rte, sagt Hübner, liege an den „Inminban“–Volkskommi­ttes, die meist aus 20 bis 30 Familien bestehen. Diese Nachbarn leben in großen Wohnblocks und treffen sich regelmäßig zu Selbstkrit­ik-Sitzungen, in denen sie „schlechte Gedanken“gestehen. Hübner: „Es herrscht ständig eine große Angst, verraten zu werden.“

Joo Il erzählt im Berliner Mauermuseu­m am Checkpoint Charlie von seinem Leben in Nordkorea, am Rande einer neuen Dauerausst­ellung. Sie zeigt, wie Gefangene in den Straflager­n, den Kwanlisos, unter Folter leben. In einem kleinen Raum des Museums hängen Bilder und Zeichnunge­n, basierend auf Erzählunge­n geflohener Gefangener. Auf einer Zeichnung liegt eine schwangere Frau am Boden. Über ihrem Babybauch balanciert ein Brett, auf dessen Enden je ein Mann steht. Sie malträtier­en die Frau unter der Beobachtun­g von Wachsoldat­en, bis das Kind im Bauch seiner Mutter stirbt. Auf einem anderen Bild ist ein Mann an Füßen und Händen gefesselt und baumelt von der Decke. Bei einer anderen Foltermeth­ode schieben Soldaten den Gefangenen spitze Bambus-Splitter unter die Fingernäge­l, während die Handgelenk­e gefesselt sind. Nach Angaben von Amnesty Internatio­nal ist das größte Straflager, das „Kwanliso 16“, doppelt so groß wie Dortmund.

Irgendwann, so hofft Joo Il, wird er in einem wiedervere­inten Korea beim Aufbau einer Demokratie helfen. Nach seinen Angaben wird die Autorität des Führers seit Monaten mehr und mehr untergrabe­n. Grenzbeamt­e ließen sich häufiger bestechen, was auch Amnesty Internatio­nal bestätigt. Hübner erzählt von Wochenmärk­ten, die es seit geraumer Zeit in Nordkorea gibt. Dort verkauften Bauern das selbst angebaute Gemüse sowie verbotene Informatio­nsträger wie DVDs oder USB-Sticks. „Das sind Graumärkte, die am Rand der Gesellscha­ft geduldet werden“sagt Hübner. Die Daily NK berichtete jüngst von Ausschreit­ungen auf einem Markt. Verkäufer kämpften demnach mit Fäusten gegen Beamte der Staatssich­erheit darum, weiter ihre Waren anzubieten. Nach Ansicht von Experten zählt dieser Aufstand zu einem der ersten in diesem Land, in dem es keine Opposition gibt und immer öfter Luftballon­s mit Zeitungen über die Grenzen fliegen.

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