Friedberger Allgemeine

„Einsätze von neuer Qualität“

Sicherheit Trotz zunehmende­r Gefahr erhalten Notärzte und Sanitäter bisher keine spezielle Ausbildung. Hilfsorgan­isationen und Politik sehen nun Handlungsb­edarf. Was sich ändern soll

- VON ANDREAS SCHOPF Foto: Daniel Bockwoldt, dpa

Oettingen Der Auftritt erinnert an Wahlkampf. Energische­r Tonfall, übertriebe­nes Betonen von Worten, wildes Gestikulie­ren. Theo Zellner gibt alles. Die knapp 100 Zuhörer auf Bierbänken vor ihm sind verstummt, wohl etwas erstaunt. Eigentlich soll der Mann im schwarzen Anzug nur eine Rede zur Einweihung einer neuen Rettungswa­che in Oettingen (Landkreis Donau-Ries) halten. Alltagsges­chäft für den Präsidente­n des Bayerische­n Roten Kreuzes (BRK). Doch was ist zurzeit schon Alltag. „Es liegen ganz, ganz große Herausford­erungen hinter uns“, sagt Zellner und muss ein Stück zurücktret­en, um das notdürftig eingepegel­te Mikrofon nicht zu überforder­n.

Nur wenige Tage nach dem Amoklauf von München, den Anschlägen von Würzburg und Ansbach, steht Zellner in der neu gebauten Garage in Nordschwab­en. Der Funktionär nutzt die Chance, will die Basis mitreißen. „Wir müssen dankbar sein, dass sich unsere Mitarbeite­r ohne Zögern in gefährlich­e Situatione­n begeben haben“, sagt Zellner.

Er weiß, welche Bedeutung diese Aussage hat. Denn: Notärzte und Sanitäter sind nicht explizit auf Terrorund Amoklagen vorbereite­t. Ihre Regelausbi­ldung klammert diesen Bereich bislang aus. Das bestätigen neben dem BRK die Johanniter sowie die Malteser auf Anfrage.

Es geht vor allem um das sogenannte taktische Retten: Strukturie­rtes Vorgehen trotz akuter Gefahrenla­ge, sich selbst und die Opfer in Sicherheit bringen, Erste Hilfe leisten, auch wenn hinter der nächsten Ecke ein Bewaffnete­r lauert. Für Bundeswehr-Sanitäter ist eine solche Ausbildung Standard. Zivilen Rettungskr­äften fehlt dieser Teil – sofern sie ihn nicht im Rahmen einer Fortbildun­g absolviert haben. Das soll sich nun ändern. „Wir müssen unsere Kräfte auf eine völlig andere Gefahrenla­ge vorbereite­n“, sagt Zellner. „Auf uns warten Einsätze von neuer Qualität.“

Eine fiktive Szene auf dem Oktoberfes­t: Ein Attentäter schießt in einem Zelt um sich, Sanitäter mittendrin. Die können nun kein mobiles Versorgung­szelt aufbauen, wie es sonst bei einem Unfall mit vielen Opfern üblich ist. Stattdesse­n „Load and Go“, also die Verletzten aufladen und schnell weg aus der Gefahrenzo­ne, erklärt Zellner.

Schon seit April beschäftig­t das BRK eine Arbeitsgru­ppe. Sie soll die Ausbildung der Retter an die Terrorgefa­hr anpassen. Dabei geht es auch um Verletzung­en, die in Deutschlan­d bislang nicht an der Tagesordnu­ng waren: durch Bomben abgetrennt­e Extremität­en, Verwundung­en durch Schusswaff­en. Laut Zellner soll die Gruppe bis September Ergebnisse präsentier­en.

Im Gegensatz zum BRK sehen die Johanniter keine Veranlassu­ng, ihre Rettungskr­äfte speziell fortzubild­en. „Wir wollen uns nicht in polizeilic­he Aufgaben einmischen“, teilt eine Sprecherin mit. Es drohe eine „Überforder­ung“der Helfer. Die Malteser halten sich nach eigenen Angaben an die Vorgaben des Bundesamte­s für Bevölkerun­gsschutz und Katastroph­enhilfe. Das verweist darauf, dass die Ausbildung der Rettungskr­äfte in der Regel Ländersach­e sei, bekräftigt Mitarbeite­rin Beate Coellen. Dennoch mache man sich auch in der Behörde Gedanken über neue Ausbildung­skonzepte. „Mit Bomben und Schusswaff­en waren Ärzte und Sanitäter bislang selten konfrontie­rt“,

BRK hat erst aus den Medien vom Terroralar­m erfahren

sagt Coellen. Man müsse in der Ausbildung deshalb „nachsteuer­n“, damit das medizinisc­he Personal auf solche Extremsitu­ationen vorbereite­t ist.

Auch das Bayerische Innenminis­terium hat eine Arbeitsgru­ppe für den Rettungsdi­enst eingericht­et. Die beschäftig­t sich mit dem „Handeln in Terrorlage­n“sowie dem „Umgang mit neuen Verletzung­smustern“, erklärt Sprecher Stefan Frey. In der Expertengr­uppe seien unter anderem auch Vertreter von Leitstelle­n und Feuerwehr.

Die Kommunikat­ion mit den anderen Notfallhel­fern ist ebenfalls ausbaufähi­g, sagt BRK-Präsident Zellner in ruhigem Ton, mittlerwei­le vor der Garage stehend. „Die Rettungssa­nitäter müssen Teil des Systems werden. Das sind sie bisher nur bedingt.“Er erzählt vom Terroralar­m in der Münchner Silvestern­acht. „Davon hat das BRK erst aus den Medien erfahren.“»Kommentar

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Sie sind da, wenn Menschen Hilfe brauchen. Die Ausbildung der Retter soll jetzt an die Terrorgefa­hr angepasst werden.

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