Der Distelfink mag Farbe im Liebesleben
Die Männchen kommen nur gut an, wenn sie das Richtige fressen. Doch damit nicht genug. Der „Vogel des Jahres“hat noch ganz andere Probleme
Je bunter, umso fitter: Diese Regel bestimmt das Liebesleben der Distelfinken. Weibchen suchen sich für die Paarung Männchen aus, die besonders schön rot und gelb leuchten. „Die Farbe hat Signalfunktion für Partner“, erklärt Vogelkundler Hermann Stickroth. Nur wenn ein Distelfink gesund ist, ist er ein richtig bunter Vogel. Kränkelt er, verblassen seine Farben. Doch einen gesunden Lebensraum findet die Art immer seltener. Auch in Augsburg hätten Distelfinken inzwischen ein Problem, gäbe es nicht Überlebensinseln.
Rund 50 Prozent der Distelfinken in der Stadt leben in Kleingärten. Dort kommen sie noch wesentlich öfter vor als in öffentlichen Grünanlagen oder in Auwaldresten an Lech und Wertach. Das haben Zählungen der Augsburger Kreisgruppe des Landesbundes für Vogelschutz (LBV) ergeben. Bei zwei Kartierungen wurden rund 50 Brutpaare ermittelt. Insgesamt könne man damit noch von 200 bis 300 Brutpaaren im Stadtgebiet ausgehen, sagt Stickroth. Deutschlandweit nimmt der Bestand kontinuierlich ab.
Früher waren Distelfinken, die auch Stieglitz genannt werden, Allerweltsvögel. Denn im Grunde sie mit vielen unterschiedlichen Lebensräumen auf dem Land und in der Stadt zurecht. Sie mögen Waldränder genauso wie Feldgehölze und Gärten. Allerdings brauchen sie als Nahrung vor allem weiche Samen, die sie an Wildkräutern, Gräsern und Bäumen finden.
Genau das ist eines ihrer großen Probleme. Landläufig fallen diese Pflanzen unter den Begriff Unkraut. Das will keiner mehr wachsen lassen. Landwirte pflügen ihre Felder bis an die Ränder und lassen keinen „wilden“Streifen mehr stehen. Hauseigentümer dulden meistens kein Unkraut in ihren Gärten.
Biologe Stickroth macht es in seinem Kleingarten an der Hirblinger Straße anders. Dafür wird er mit viel munterem Gezwitscher belohnt. Im Frühling mäht er den Rasen nicht komplett. Wildblumen dürfen stehenbleiben und sogar bis in die Gemüsebeete hineinwachsen. Gartenblumen wie Astern werden vor dem Winter nicht abgeschnitten. Denn in den Blütenresten finden viele Vögel auch in der kalten Jahreszeit noch Nahrung.
Der Distelfink mag – wie der
Tiere in der Stadt
Name schon sagt – ganz besonders Disteln. „Dort findet er einen besonders reich gedeckten Tisch“, erklärt Stickroth. Wie viele andere Wildblumen seien Disteln eine Art Mini-Ökosystem, in dem sehr viele Insekten leben. Deren Larven seien für Distelfinken und andere Vögel wiederum eine willkommne Fleischbeilage.
Wo der bunte Distelfink lebt, ist die Landschaft ebenfalls bunt und abwechslungsreich. Deshalb wurde er vom Landesbund für Vogelschutz zum „Vogel des Jahres 2016“ausgerufen. Stickroth kennt alle Geheimnisse dieser Art. Er hat sich intensiv mit ihr beschäftigt. Der Augsburger schreibt als Fachredakteur für eine deutschsprachige Monatszeitschrift für Vogelkundler. Sie erscheint unter dem Titel „Der Falke“.
Als Journalist hat Stickroth auch weniger bekannte Details aus dem Leben der Distelfinken ausgegraben, die normalerweise nur in der Fachliteratur zu finden sind. Eine Eigenart ist beispielsweise, wie sich diese Vögel in der Brutzeit verhalten. Verschiedene Paare lernen sich im Frühjahr in ihrem Lebensraum kennen und brüten dann in der Gruppe. In dieser Zeit treffen sich die befreundeten Distelfinken täglich. Sie singen zusammen und pflegen ihre Sozialkontakte. Die Grupkommen penbildung geht so weit, dass sie auch gemeinsam ihr Revier gegen fremde Distelfinken verteidigen. Stickroth hofft, dass Distelfinken auch einmal in seinem eigenen Kleingarten brüten. Bislang hört er sie nur regelmäßig singen. Ihr Ruf klingt ähnlich wie „Stiglitt“. Daher hat der Vogel den zweiten Namen Stieglitz.
Stickroth beschäftigt sich auch beruflich viel mit Natur. Der 53-jährige Augsburger ist promovierter Biologe und freiberuflich in den Bereichen Artenschutz und Naturschutz tätig. Seine Leidenschaft für die Ornithologie hat er aber schon als Kind in der Familie mitbekommen. „Als Bub bin ich oft mit meinem Vater am Lech spazieren gegangen, er hat mir viel erklärt“, erinnert sich Stickroth. Als Jugendlicher nahm er dann schon an Exkursionen in die heimische Vogelwelt teil, damals noch mit dem früheren Augsburger Zoodirektor Georg Steinbacher.
Wenn Stickroth seinem Hobby nachgeht, ist er immer mit dem Fernglas unterwegs. Es ist das wichtigste Hilfsmittel, um Vögel zu beobachten. Deshalb erinnert er sich noch genau, wann er sein erstes eigenes Fernglas bekam. Damals war er 15. Es war ein Weihnachtsgeschenk. Der Zufall wollte es, dass ausgerechnet an den Weihnachtsfeiertagen ein Waldkauz im Garten der Familie saß. Stickroth konnte ihn ganz aus der Nähe beobachten. „Da hat mich die Leidenschaft für die Vogelkunde gepackt.“
Führung Eine Exkursion zum Distelfinken bietet der Landesbund für Vogelschutz, Kreisgruppe Augsburg, am Samstag, 6. August, von 10 bis 11.30 Uhr an. Die Führung führt an der Wertach entlang. Treffpunkt ist an der Kulperhütte. Leiter ist Martin Trapp.