Gribl zeigt Türken Grenzen auf
Der Oberbürgermeister hat kein Verständnis für Kundgebungen wie vor Kurzem auf dem Rathausplatz. Was er über die Integration und die Spannungen in der türkischen Bevölkerungsgruppe sagt
Der harte Kurs von Präsident Erdogan und seiner regierenden AKP gegen Minderheiten und Andersdenkende in der Türkei ist auch in Augsburg zu spüren. Die Konflikte verschärfen Spannungen unter den hier lebenden Deutschtürken. Eine nationalistisch-türkische Kundgebung vor Kurzem auf dem Rathausplatz löste heftige Kritik aus, auch im Stadtrat. Oberbürgermeister Kurt Gribl suchte das Gespräch mit Zafer Keles, dem Vorsitzenden des Dachverbandes türkischer Vereine in Augsburg, der Veranstalter der Demo war. Wir sprachen mit Gribl über seine Einschätzung der Lage:
Nach dem irritierenden Auftreten nationalistischer Türken auf dem Rathausplatz hat Referent Reiner Erben mit Vertretern türkischer Organisationen über die kritischen Aspekte gesprochen. Nach seinen Worten ist er aber auf wenig Einsicht gestoßen. Haben Sie in Ihrem Gespräch mehr Verständnis für Ihr Anliegen vorgefunden? Werden türkische Auftritte künftig in Deutsch übersetzt? Kurt Gribl: Ich habe in dem Gespräch keinesfalls um Verständnis geworben, sondern unzweideutig klar gemacht, dass es für Vorkommnisse und Verhaltensweisen wie sie bei der Demonstration vorgefallen sind, kein Verständnis gibt. Die Tonalität war befremdlich, das Verhalten übergriffig. Das hat viele irritiert. Es geht um den sozialen Frieden in der Stadt und um ein Miteinander der vielfältigen Stadtgesellschaft. Imame, die auf Türkisch auf dem Rathausplatz predigen, und eine türkische Nationalflagge auf dem Perlachturm akzeptiere ich nicht. Das macht den Menschen Angst und sorgt für Unfrieden. Ich habe Herrn Keles sehr klar deutlich gemacht, dass ich erwarte, dass es dazu nicht mehr kommt. Es wurde mir zugesagt, dass künftig die Reden auf Deutsch gehalten oder übersetzt werden. Diese Zusage nehme ich ernst. Die Anbringung einer türkischen Nationalflagge am Perlachturm hat er bedauert.
Wie bewerten Sie den Umstand, dass auch Türken in der dritten Generation sich offenbar mehr für die Politik in der Türkei interessieren als für die Integration in Augsburg? Ist hier etwas schief gelaufen? Gribl: Die gemeinschaftlichen Integrationsbemühungen der deutschen Aufnahmegesellschaft und der hier lebenden und arbeitenden Türken sind im zeitlichen Kontext der Gastarbeiterzuwanderung eine Erfolgsgeschichte. Wir bemühen uns in den Kommunen im Alltag um eine bestmögliche Integration der Integrationswilligen, auch bei den Nachfolgegenerationen. Wir wollen aber nicht, dass die bisher aufgeschlossene Grundhaltung unserer Bürger durch Entgleisungen, wie wir sie bei dieser Demonstration erlebt haben, kaputtgemacht wird. Und ja, für die dritte und vierte Generation müssen wir aufgrund veränderter politischer Umstände womöglich sowohl unsere Integrationsbemühungen wie auch unsere Integrationserwartungen neu justieren. Dazu gehört die Unverbrüchlichkeit demokratischer Freiheitsrechte.
Wird die viel beschworene bisherige Integrationsleistung womöglich überschätzt und zu blauäugig beurteilt? Gribl: Wir sind über Jahrzehnte gut zurechtgekommen, der soziale Friede war beständig. Also kann die Integrationsarbeit nicht schlecht gewesen sein. Blauäugig wäre es allerdings, davon auszugehen, dass dies selbstverständlich ist und bleibt.
Fast 60 Prozent der in Deutschland lebenden wahlberechtigten Türken haben Erdogan ihre Stimme gegeben, der für eine nationalistisch-islamische Türkei steht. Muss uns das, übertragen auf Augsburg, Sorge machen? Wie hoch ist in Augsburg der Anteil nationalistisch gesinnter Türken? Gribl: Ich beobachte den Umgang mit demokratischen Grundrechten in der Türkei mit großer Sorge. Egal, wer diesen politisch zu vertreten hat: Demokratische Grundrechte dürfen bei uns keinesfalls auf diese Art und Weise eingeschränkt werden, von niemandem!
Türkische Minderheiten haben es in der türkischen Gruppe auch in Deutschland schwer. Auch in Augsburg wurden Fensterscheiben eingeworfen. Hier leben jedoch viele Angehörige türkischstämmiger Minderheiten wie Aleviten, Kurden, Aramäer. Müssen wir davon ausgehen, dass diese Augsburger von Erdogan- und AKP- Leuten, die wohl den Ton angeben, bedroht werden? Gribl: Dies hat Herr Keles vom Dachverband Türkischer Vereine klar von sich gewiesen. Wir sollten ihn hier beim Wort nehmen. Es steht aber außer Frage, dass das deutsche Grundgesetz über das Grundrecht der Religionsfreiheit allen Minderheiten Schutz gewährt. Sollte sich eine Gefährdung solcher Gruppen auch nur andeuten, werden wir dafür eintreten, dass sie geschützt werden. Wir wollen keine Übertragung der gespaltenen Verhältnisse in der Türkei auf unsere Stadtgesellschaft.
Wenn die innertürkischen Konflikte in unserer Stadt sich aber weiter verschärfen sollten: Ist der soziale Friede, für den die Stadt seit Jahrzehnten steht, dann nicht in Gefahr? Was muss unternommen werden? Gribl: Als Oberbürgermeister ist mir der soziale Frieden in der Stadt ein oberstes Anliegen. Deswegen bin ich wachsam, auch auf erste Anzeichen hin. So ist auch meine sofortige und klare Positionierung in Bezug auf die Vorkommnisse am 17. Juli auf dem Rathausplatz zu verstehen.
Auf Facebook werden Sie als Oberbürgermeister offen angefeindet. Sie hätten die Türken in der Stadt schon immer abgelehnt, schreibt ein Organisator früherer nationalistischer türkischer Kundgebungen. Wie gehen Sie mit der Kritik um? Gribl: Facebook ist kein Kompass für den richtigen Weg. Ich stehe für ein gutes Miteinander aller Gruppen in dieser Stadt. Mein Verhältnis zur türkischen Community war und ist von gutem Willen geprägt, aber auch von klaren Erwartungen.
Wie ist Ihr Verhältnis zu den DitibMoscheevereinen? Es heißt, der Moschee-Dachverband sei der verlängerte Arm der AKP. Ist zu befürchten, dass Ditib sich dem Dialog in der Stadt entzieht? Und was würde dies bedeuten? Gribl: Die Hand ist und bleibt zum Dialog ausgestreckt. Dieser ist auch nicht abgebrochen und ich gehe davon aus, dass er auch weiter stattfindet.
Wie bewerten Sie grundsätzlich das Zusammenleben von Türken und Deutschen in Augsburg? Gribl: Wir haben in Augsburg ein über Jahrzehnte organisch gewachsenes, gutes und vor allem friedliches Zusammenleben von Türken und Deutschen. Dies zu bewahren und zu verbessern, ist unsere gemeinsame Aufgabe.
Interview: Alfred Schmidt