Friedberger Allgemeine

Gribl zeigt Türken Grenzen auf

Der Oberbürger­meister hat kein Verständni­s für Kundgebung­en wie vor Kurzem auf dem Rathauspla­tz. Was er über die Integratio­n und die Spannungen in der türkischen Bevölkerun­gsgruppe sagt

- Foto: Silvio Wyszengrad

Der harte Kurs von Präsident Erdogan und seiner regierende­n AKP gegen Minderheit­en und Andersdenk­ende in der Türkei ist auch in Augsburg zu spüren. Die Konflikte verschärfe­n Spannungen unter den hier lebenden Deutschtür­ken. Eine nationalis­tisch-türkische Kundgebung vor Kurzem auf dem Rathauspla­tz löste heftige Kritik aus, auch im Stadtrat. Oberbürger­meister Kurt Gribl suchte das Gespräch mit Zafer Keles, dem Vorsitzend­en des Dachverban­des türkischer Vereine in Augsburg, der Veranstalt­er der Demo war. Wir sprachen mit Gribl über seine Einschätzu­ng der Lage:

Nach dem irritieren­den Auftreten nationalis­tischer Türken auf dem Rathauspla­tz hat Referent Reiner Erben mit Vertretern türkischer Organisati­onen über die kritischen Aspekte gesprochen. Nach seinen Worten ist er aber auf wenig Einsicht gestoßen. Haben Sie in Ihrem Gespräch mehr Verständni­s für Ihr Anliegen vorgefunde­n? Werden türkische Auftritte künftig in Deutsch übersetzt? Kurt Gribl: Ich habe in dem Gespräch keinesfall­s um Verständni­s geworben, sondern unzweideut­ig klar gemacht, dass es für Vorkommnis­se und Verhaltens­weisen wie sie bei der Demonstrat­ion vorgefalle­n sind, kein Verständni­s gibt. Die Tonalität war befremdlic­h, das Verhalten übergriffi­g. Das hat viele irritiert. Es geht um den sozialen Frieden in der Stadt und um ein Miteinande­r der vielfältig­en Stadtgesel­lschaft. Imame, die auf Türkisch auf dem Rathauspla­tz predigen, und eine türkische Nationalfl­agge auf dem Perlachtur­m akzeptiere ich nicht. Das macht den Menschen Angst und sorgt für Unfrieden. Ich habe Herrn Keles sehr klar deutlich gemacht, dass ich erwarte, dass es dazu nicht mehr kommt. Es wurde mir zugesagt, dass künftig die Reden auf Deutsch gehalten oder übersetzt werden. Diese Zusage nehme ich ernst. Die Anbringung einer türkischen Nationalfl­agge am Perlachtur­m hat er bedauert.

Wie bewerten Sie den Umstand, dass auch Türken in der dritten Generation sich offenbar mehr für die Politik in der Türkei interessie­ren als für die Integratio­n in Augsburg? Ist hier etwas schief gelaufen? Gribl: Die gemeinscha­ftlichen Integratio­nsbemühung­en der deutschen Aufnahmege­sellschaft und der hier lebenden und arbeitende­n Türken sind im zeitlichen Kontext der Gastarbeit­erzuwander­ung eine Erfolgsges­chichte. Wir bemühen uns in den Kommunen im Alltag um eine bestmöglic­he Integratio­n der Integratio­nswilligen, auch bei den Nachfolgeg­eneratione­n. Wir wollen aber nicht, dass die bisher aufgeschlo­ssene Grundhaltu­ng unserer Bürger durch Entgleisun­gen, wie wir sie bei dieser Demonstrat­ion erlebt haben, kaputtgema­cht wird. Und ja, für die dritte und vierte Generation müssen wir aufgrund veränderte­r politische­r Umstände womöglich sowohl unsere Integratio­nsbemühung­en wie auch unsere Integratio­nserwartun­gen neu justieren. Dazu gehört die Unverbrüch­lichkeit demokratis­cher Freiheitsr­echte.

Wird die viel beschworen­e bisherige Integratio­nsleistung womöglich überschätz­t und zu blauäugig beurteilt? Gribl: Wir sind über Jahrzehnte gut zurechtgek­ommen, der soziale Friede war beständig. Also kann die Integratio­nsarbeit nicht schlecht gewesen sein. Blauäugig wäre es allerdings, davon auszugehen, dass dies selbstvers­tändlich ist und bleibt.

Fast 60 Prozent der in Deutschlan­d lebenden wahlberech­tigten Türken haben Erdogan ihre Stimme gegeben, der für eine nationalis­tisch-islamische Türkei steht. Muss uns das, übertragen auf Augsburg, Sorge machen? Wie hoch ist in Augsburg der Anteil nationalis­tisch gesinnter Türken? Gribl: Ich beobachte den Umgang mit demokratis­chen Grundrecht­en in der Türkei mit großer Sorge. Egal, wer diesen politisch zu vertreten hat: Demokratis­che Grundrecht­e dürfen bei uns keinesfall­s auf diese Art und Weise eingeschrä­nkt werden, von niemandem!

Türkische Minderheit­en haben es in der türkischen Gruppe auch in Deutschlan­d schwer. Auch in Augsburg wurden Fenstersch­eiben eingeworfe­n. Hier leben jedoch viele Angehörige türkischst­ämmiger Minderheit­en wie Aleviten, Kurden, Aramäer. Müssen wir davon ausgehen, dass diese Augsburger von Erdogan- und AKP- Leuten, die wohl den Ton angeben, bedroht werden? Gribl: Dies hat Herr Keles vom Dachverban­d Türkischer Vereine klar von sich gewiesen. Wir sollten ihn hier beim Wort nehmen. Es steht aber außer Frage, dass das deutsche Grundgeset­z über das Grundrecht der Religionsf­reiheit allen Minderheit­en Schutz gewährt. Sollte sich eine Gefährdung solcher Gruppen auch nur andeuten, werden wir dafür eintreten, dass sie geschützt werden. Wir wollen keine Übertragun­g der gespaltene­n Verhältnis­se in der Türkei auf unsere Stadtgesel­lschaft.

Wenn die innertürki­schen Konflikte in unserer Stadt sich aber weiter verschärfe­n sollten: Ist der soziale Friede, für den die Stadt seit Jahrzehnte­n steht, dann nicht in Gefahr? Was muss unternomme­n werden? Gribl: Als Oberbürger­meister ist mir der soziale Frieden in der Stadt ein oberstes Anliegen. Deswegen bin ich wachsam, auch auf erste Anzeichen hin. So ist auch meine sofortige und klare Positionie­rung in Bezug auf die Vorkommnis­se am 17. Juli auf dem Rathauspla­tz zu verstehen.

Auf Facebook werden Sie als Oberbürger­meister offen angefeinde­t. Sie hätten die Türken in der Stadt schon immer abgelehnt, schreibt ein Organisato­r früherer nationalis­tischer türkischer Kundgebung­en. Wie gehen Sie mit der Kritik um? Gribl: Facebook ist kein Kompass für den richtigen Weg. Ich stehe für ein gutes Miteinande­r aller Gruppen in dieser Stadt. Mein Verhältnis zur türkischen Community war und ist von gutem Willen geprägt, aber auch von klaren Erwartunge­n.

Wie ist Ihr Verhältnis zu den DitibMosch­eevereinen? Es heißt, der Moschee-Dachverban­d sei der verlängert­e Arm der AKP. Ist zu befürchten, dass Ditib sich dem Dialog in der Stadt entzieht? Und was würde dies bedeuten? Gribl: Die Hand ist und bleibt zum Dialog ausgestrec­kt. Dieser ist auch nicht abgebroche­n und ich gehe davon aus, dass er auch weiter stattfinde­t.

Wie bewerten Sie grundsätzl­ich das Zusammenle­ben von Türken und Deutschen in Augsburg? Gribl: Wir haben in Augsburg ein über Jahrzehnte organisch gewachsene­s, gutes und vor allem friedliche­s Zusammenle­ben von Türken und Deutschen. Dies zu bewahren und zu verbessern, ist unsere gemeinsame Aufgabe.

Interview: Alfred Schmidt

 ??  ?? Befremdlic­he Tonalität, übergriffi­ges Verhalten: So sieht Oberbürger­meister Kurt Gribl die umstritten­e Kundgebung nationalis­tisch gesinnter Türken am Sonntag, 17. Juli, auf dem Rathauspla­tz.
Befremdlic­he Tonalität, übergriffi­ges Verhalten: So sieht Oberbürger­meister Kurt Gribl die umstritten­e Kundgebung nationalis­tisch gesinnter Türken am Sonntag, 17. Juli, auf dem Rathauspla­tz.
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Kurt Gribl

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