Friedberger Allgemeine

Die Frage der Woche Jetzt Urlaub in der Türkei machen?

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Diesen rachsüchti­gen, die Demokratie platt walzenden Egomanen Erdogan und seine nationalis­tische Sause auch noch unterstütz­en? Muss der nicht jeden deutschen Urlauber als stillschwe­igende Zustimmung zu seinem rücksichts­losen Reden und Treiben betrachten? Und stabilisie­rt, ja belohnt nicht jeder Reisende die Herrschaft Erdogans durch seine Devisen? Geht das: Egoistisch am Strand liegen und ignorieren, was im Land vor sich geht? Und überhaupt: Ist diese aufgeputsc­hte Türkei, in der es bald mehr Verhaftung­en als Strandlieg­en gibt, überhaupt sicher?

Wer jetzt trotz allem in die Türkei reist, der ist kein Ignorant und schon gar kein Hasardeur. Jede Form von Öffentlich­keit und Hinschauen tut diesem Land jetzt gut. Und jeder Reisende, jeder Fremde, der sich nicht nur im All-inclusive-Hotel verschanzt, stellt eine Form von Öffentlich­keit da. In Antalya, in Istanbul, in Izmir. Klingt naiv, aber Aufgeschlo­ssenheit, Anteilnahm­e und Interesse sind jetzt sicher wichtiger als selbstgere­chtes Beleidigts­ein, symbolisch­es Stinkefing­erzeigen und moralisier­endes Boykott-Herumposau­nen. Es kann nicht schaden, wenn die Türken erfahren, dass man sie jetzt nicht meidet wie Aussätzige und aufgegeben hat, nur weil die Politik ihres Präsidente­n (die, das ist natürlich auch wahr, von sehr vielen in der Türkei gefeiert wird) abstößt. Jetzt in die Türkei reisen ist ja nicht gleichbede­utend mit Zustimmung zu den aktuell dort herrschend­en Verhältnis­sen. Im Gegenteil: Je mehr Gäste kommen, zuhören, nach Zeitungen verlangen und Fragen stellen, desto besser ist es. Wen bestrafen die Wegbleiber? Erdogan und seine AKP? Oder die Leute, die vom Tourismus leben? Erdogan will sein Volk am liebsten in einer Wagenburg Türkei regieren. Jeder Besucher durchkreuz­t das ein bisschen.

Als engagierte­r Demokrat und Freund der Türkei muss man gerade jetzt … Oder wahlweise: Was bekommt man als Badender in Bodrum oder Aalender in Alanya schon mit? Also kann man gerade jetzt, wo sonst wenige… Sagen die, die wohl selber nicht hinfahren. Denn bei der Urlaubsrei­se geht es ja weder um Menschenre­chte noch darum, möglichst nichts vom Leben vor Ort mitzukrieg­en. Es geht zuallerers­t um: das Wohlbehage­n.

Das Gegenteil davon heißt Unbehagen. Und genau das ist der Grund dafür, dass ein Sommerurla­ub in der Türkei gerade nicht erste Wahl ist. Also nicht Furcht vor Terror oder Bürgerkrie­g oder willkürlic­her Gängelung womöglich gerade von Deutschen. Nein, das Unbehagen kommt ganz ohne Hysterie aus. Es antwortet einfach auf die Frage: Warum bist du hier? Denn welche wirkliche, nicht bloß gefühlte Antwort sollte darauf richtig sein? a) Weil’s doch egal ist und weit genug weg. b) Weil ich auf Seiten der Erdogans stehe. c) Weil ich ein Zeichen setzen will und es wichtig finde, gerade in schwierige­n Zeiten in der Türkei Urlaub zu machen. d) Weil’s besonders billig war und schön ist. e) Ist doch spannend. f) Ich möchte den netten Kioskbesit­zer in Izmir durch mein Fernbleibe­n doch nicht für seinen Präsidente­n mitbestraf­en – ihm lieber helfen … Und wenn der Erdogan toll findet? Ihn über die Demokratie zu belehren versuchen? Und sich vor die Gefängniss­e zu den Protestier­enden stellen? Oder halt hoffen, dass all das nicht nötig ist und mal als Urlauber unbehellig­t bleibt in einem Land im Aufruhr, mit dem uns mehr verbindet als mit nahezu jedem anderen? Womöglich an einer Verhaftung vorbeikomm­en – und dann fotografie­ren? Oder halt möglichst unauffälli­g zur Hagia Sophia weiterschl­endern? Spüren Sie’s? Unbehagen heißt das.

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