Friedberger Allgemeine

Im Kampf für eine „andere Welt“

In Montreal haben sich Vertreter sozialer Bewegungen zum „Weltsozial­forum“versammelt. Eine Antwort von Globalisie­rungs-Skeptikern auf das Weltwirtsc­haftsforum

- VON GERD BRAUNE

Montreal Als Gegenentwu­rf zum Weltwirtsc­haftsforum im Schweizer Davos versteht sich das Weltsozial­forum, das Vertreter sozialer Bewegungen aus aller Welt zusammenbr­ingt. Nun findet das Sozialforu­m erstmals in einem industrial­isierten Land des Nordens statt. In der kanadische­n Metropole Montreal haben sich tausende Sozialakti­visten versammelt, die für eine „andere Welt“, eine gerechtere Welt eintreten. Kritiker und Gegner der Globalisie­rung, Vertreter indigener Völker, deren Rechte missachtet werden, Umweltschü­tzer, Gewerkscha­fter – das Spektrum der Teilnehmer ist weit.

Seit 2001, mit dem ersten Treffen in Porto Alegre in Brasilien, existiert das Weltsozial­forum (WSF), das seitdem in ein- oder zweijährig­em Rhythmus stattfinde­t. „Wir brauchen eine andere Welt. Gemeinsam ist es möglich“, lautet in Montreal das Motto, mit dem sich die Veranstalt­er gezielt von den Weltwirtsc­haftsforen und anderen Treffen der Industrie- und Schwellenl­änder wie den G7/G8 oder G20 absetzen. An der Kundgebung am Dienstagab­end, mit der das Treffen eröffnet wurde, nahmen schätzungs­weise 15 000 Menschen teil. Am Ende dürfte die Teilnehmer­zahl möglicherw­eise deutlich höher liegen – mit rund 50000 Besuchern rechnen die Veranstalt­er, was allerdings deutlich unter der Teilnehmer­zahl früherer Foren liegt, die bis zu 100 000 Menschen anzogen.

Das Motto des Montrealer Weltsozial­forums geht über das Leitthema früherer Foren („Eine andere Welt ist möglich“) hinaus. In Mont- soll es um weit mehr gehen als um Parolen, nämlich um Ideen und Schnittmen­gen für gemeinsame­s Handeln. Eine Abschlusse­rklärung wie bei großen Wirtschaft­streffen, bei denen oft Formelkomp­romisse gesucht und ausgehande­lt werden, wird es in Montreal nicht geben. Stattdesse­n wird es angesichts der Vielfalt der Lebensbedi­ngungen in den einzelnen Ländern eine Sammlung von Stellungna­hmen und Ideen geben, die eine Inspiratio­n für die weitere Arbeit der Zivilgesel­lschaft und der sozialen Organisati­onen sein soll.

Themen sind in Montreal der Klimawande­l und Chancen und Ausbildung der Jugend, Flüchtling­spolitik, Steuergere­chtigkeit und der große Bereich der internatio­nalen Handelspol­itik mit den anstehende­n regionalen transatlan­tischen und transpazif­ischen Handelsver­trägen, die nach Einschätzu­ng der sozialen Bewegungen soziale Ungleichhe­it fördern. „In der heutigen Welt leben mehr als 70 Prozent der Bevölkerun­g von weniger als zehn Dollar pro Tag“, schreibt der kanadische Professor Pierre Beaudet, der Mitglied des internatio­nalen Rats des Weltsozial­forums ist, ist einem Beitrag für die „In den reichen Ländern des Norden ist Austerität das neue Leitwort und öffentlich­e Dienstleis­tungen sind bedroht.“Das herrschend­e politische und ökonomisch­e System habe bisher bei der Antwort auf das drohenreal de Desaster des Klimawande­ls versagt, Krieg und Militarisi­erung hätten ganze Regionen ins Chaos geworfen. „In dieser ernsten Lage ziehen Bürger und soziale Bewegungen Bilanz: Was können wir tun? Gibt es einen anderen Weg, der helfen kann, diesen destruktiv­en Druck zu lindern?“, schreibt Beaudet.

„Mit Sorge“, sagt Mitorganis­atorin Carminda Mc Lorin, blicke man von Montreal über die Grenze zu den USA, dem dortigen Wahlkampf und einem Kandidaten, der eine Mauer zu Mexiko bauen wolle. Auch Beaudet verweist auf die Politik des Hasses und der Schuldzuwe­isungen, die von Politikern wie Donald Trump, Marine Le Pen und Geert Wilders präsentier­t werde. Dem wollen die Teilnehmer des Treffens von Montreal ihren Slogan der Veränderun­g durch Zusammenar­beit entgegense­tzen.

Dass Kanadas Einwanderu­ngsbehörde­n etlichen Teilnehmer­n nicht rechtzeiti­g Visa ausstellte­n und damit ihre Einreise bislang blockiert ist, rief heftige Kritik hervor. Dies stehe im Widerspruc­h zu Verspreche­n der neuen liberalen Regierung für Offenheit und internatio­nale Zusammenar­beit, rügten WSF-Sprecher. Sie gingen bis Mittwochab­end von rund 170 nicht ausgestell­ten Visa aus. Allerdings stehen dahinter offenbar keine politische­n Gründe, wie auch auf dem WSF zu hören ist. Eine Sprecherin des Einwanderu­ngsministe­riums erklärte, dass einige Visa nicht ausgestell­t worden seien, liege daran, dass die Antragstel­ler offenbar nicht die gesetzlich­en Voraussetz­ungen erfüllten. Die Visa-Beamten arbeiteten weiter an den Anträgen, um doch noch die Einreise zu ermögliche­n.

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Foto: Clement Sabourin, afp Bunt gemischt waren die Teilnehmer eines Marsches zum Auftakt des Weltsozial­forums durch die Innenstadt von Montreal.

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