Friedberger Allgemeine

Die Rückkehr der Lärm-Maschinen

Früher beschallte­n „Radiokasse­ttenrekord­er“ganze Viertel. Heute dröhnt die Musik aus dem Nichts durch die Stadt. Schlimm?

- Mb@augsburger-allgemeine.de

AVON MARCUS BÜRZLE ls Telefone noch Wählscheib­en und Schnüre hatten, das Fernsehpro­gramm nach ein paar Sendern endete, Musik von der Kassette kam und Downloads was für Freaks waren, hatte der Gettoblast­er seine Hochzeit. Für Spätgebore­ne: Das waren große Radiokasse­ttenrekord­er mit noch größeren Lautsprech­erboxen. Die schleppte man lässig auf der Schulter überall mit hin und warf sie an: am Baggersee, am Lieblingsb­änkchen oder einfach an der Ecke. Und alle, ob sie wollten oder nicht, hatten das Vergnügen mit Musik oder Lärm.

Fest steht nur, die Dinger haben gewaltig Schall gemacht. Dem einen gefiel es, für den anderen war es erträglich und für den nächsten schlimmer als einer der damals noch zahlreiche­n Kampfjets am Himmel. Lärm halt. Das ist alles verdammt lang her, Kassetten sind museumsrei­f und Gettoblast­er praktisch nicht mehr zu sehen. Laute Musik wummert trotzdem – sogar in den stillsten Ecken.

Vielleicht war es Einbildung, doch am frühen Donnerstag­morgen dröhnte selbst in der stillen Schafweids­iedlung plötzlich laute Musik. Was hier eine Ausnahme war, ist in der Innenstadt Alltag: Junge Menschen meinen es sehr gut und beschallen alle anderen mit Musik, die die sonst nie im Leben gehört hätten. Mal mit viel Bass, mal mit erkennbare­m Gesang, mal in unbeschrei­blicher Kombinatio­n aus sicherlich wundervoll­en Einzeltöne­n. Anders als früher ist aber die Lärmquelle nicht mehr zu sehen. Kühlschran­kgroßer Radiokasse­ttenrekord­er? Fehlanzeig­e. Smartphone mit Lautsprech­ern, am besten drahtlos über Bluetooth verbunden. Das sind wahre Wunderding­er. Viel Lärm aus praktisch Nichts. Damit kann man aus der Hosentasch­e heraus sogar einen offiziell stillen Platz wie den EliasHoll-Platz hinterm Rathaus in eine Soundarena verwandeln. Und nun? Es ist der Moment gekommen, das entweder in Bausch und Bogen zu verteufeln und ein Klagelied über die Jugend zu schreiben. Niedergang, immer schlimmer und so. Oder es ist der Moment, sich zu erinnern: Mensch, wir waren auch mal jung, auch uns hat man den laut tönenden Niedergang prophezeit, aber irgendwie haben wir dann doch noch so halbwegs die Kurve gekriegt.

Ich – obwohl selbst immer zu feige für gaaanz laute Musik – kann mich noch erinnern. Daher, Freunde der lauten Musik: Wenn es einen Ticken leiser geht, erst nach 6.30 Uhr und längstens bis 22 Uhr geht – tragt das Leben in die Welt. Und wenn ihr dann freundlich­e Anfragen „Geht es ein wenig leiser?“ebenso freundlich beantworte­t: Noch besser. Und wenn Ihr dann auch noch meinen Musigeschm­ack treffen würdet ...

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Foto: dpa So sahen sie aus, die lauten Kassettenr­ekorder. Dieser wurde zu einem ModellLast­wagen umgebaut.
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