Sie weiß, was Augsburgerinnen drunter tragen
Irene Baur arbeitete 40 Jahre lang im Korsetthaus Anita. Nun geht sie in Ruhestand. Das heißt aber nicht, dass ihre Stammkundinnen ganz auf sie verzichten müssen
macht Baur sich bereits Gedanken, wie diese erfüllt werden könnten. Das gesamte Sortiment inklusive aller Farben, Schnitte, Größen, Muster – es ist in ihrem Kopf gespeichert. „Wem geben Sie dieses Wissen bloß weiter?“, fragte kürzlich eine Kundin.
Dass sie einmal Dessous verkaufen würde, hätte Irene Baur nicht gedacht. Sie ist gelernte Damenschneiderin – offensichtlich ein vielseitiger Beruf, denn ihre erste Anstellung fand bei einem Herrenschneider. Als sie vor 40 Jahren ins Korsetthaus Anita wechselte, lernte die heute 63-Jährige zusätzlich die Feinheiten, die ein Korsettschneider beherrschen muss. „Das ist ein Beruf, der heute gar nicht mehr gelehrt wird, weil sich kaum noch jemand ein Mieder anfertigen lässt. Junge Leute tragen das nicht mehr.“
Das Angebot an Dessous ist dafür größer geworden, und zwar im wahrsten Wortsinn. „Früher gingen die Körbchengrößen bis Doppel-D.“Wurden größere Größen benötigt, setzten sich die Damen im Korsetthaus an die Nähmaschine und änderten die Modelle. Heute endet die Skala erst beim J. Die Menschen sind fülliger geworden in vier Jahrzehnten.
Wer Unterwäsche verkauft, muss ein besonderes Gespür für seine Kunden entwickeln. Man kann nicht einfach hineinplatzen in die Umkleidekabine – „vor allem bei jungen Frauen sollte man behutsam sein“. Man muss vorsichtig sein mit Ratschlägen – „ich will niemandem etwas aufschwatzen“. Doch in ihrer zurückhaltenden Art gelingt es Baur, Kundinnen auch von neuen Dingen zu überzeugen: „Da geht eine Frau, die einen schwarzen BH wollte, schon mal glücklich mit einem roten raus, den ich unauffällig mit in die Umkleide gebracht habe.“ Die Umstellung aufs Rentnerdasein wird Irene Baur, das gibt sie zu, schwerfallen. Ihre Kolleginnen in der Bäckergasse sind ihr zur Familie geworden. Gerda Schwegler zum Beispiel fing nur wenige Wochen nach Irene Baur im Korsetthaus an. 40 Jahre lang sahen sie sich fast jeden Tag, haben Berufliches und Privates besprochen, manchmal an freien Tagen telefoniert. „Wir sind Freundinnen geworden“, betonen sie – auch wenn man sich nie privat traf, da man viel zu weit auseinander wohne... Und ja, sagen beide, sicher, da habe es auch Meinungsverschiedenheiten gegeben – vor allem beim Einkauf, „weil wir halt doch einen unterschiedlichen Geschmack haben“. Aber „bös’“, sagt Irene Baur, „bös’“habe man die Dinge nie diskutiert.
In den nächsten Wochen wird die „Neu-Rentnerin“erst mal viel zu tun haben: In ihrem Garten im Weldener Ortsteil Reutern ist das Obst reif. „Dann genehmige ich mir mittags jetzt manchmal eine Stunde Ruhe“, sagt Irene Baur. Das sei undenkbar gewesen in den letzten vier Jahrzehnten. „Ich bin morgens hier rein, abends wieder raus.“Nicht einmal in der Innenstadt war sie häufig – „nur, wenn ich unbedingt etwas gebraucht hab’“. Winfried Krenleitner, der Seniorchef im Korsetthaus Anita, wird „seine Irene“vermissen. Aber er freut sich, dass sie trotz des Ruhestands an einer Idee festhält: Gemeinsam mit Gerda Schwegler soll sie das Dessous-Geschäft in der Bäckergasse einmal übernehmen und damit das Geschäft weiterführen, das Krenleitners Mutter Anfang der 50er Jahre eröffnete. Tradition, ist sich das AnitaTeam einig, verpflichte eben auch ...