150 Kilo Kraft
Almir Velagic tritt heute im Kampf der Kolosse an. Gold und Silber scheinen schon vergeben – Bronze nicht
Rio de Janeiro Almir Velagic wird am Montag 35. „Ich kann auf dem Heimflug von Rio nach Frankfurt Geburtstag feiern“, erzählt der Gewichtheber. Zuvor hat der Heidelberger mit Kaufbeurer Vergangenheit aber noch seinen Olympia-Auftritt. Am heutigen Dienstag (0 Uhr MESZ) tritt er an zum Kampf der Kolosse über 105 Kilogramm.
Über das Dopingproblem „Das ist nichts Neues für uns Gewichtheber. Nur sind jetzt endlich Fakten auf dem Tisch, in welchen Ländern gedopt wurde, und deshalb hört man uns jetzt endlich einmal zu. Wir als Gewichtheber wissen, welche Steigerungen auf diesem Weltklasseniveau möglich sind und welche nicht. Ein Laie kann nicht einschätzen, ob ein 19-Jähriger Weltrekord im Superschwergewicht heben kann oder nicht. Ich weiß, dass es nicht möglich ist.“
Über die verrufenen Nationen „Man bekommt so das Gefühl, alle haben sich auf Russland konzentriert, und drum herum alles vergessen. Ein Kasache, der 2013 schon mal gesperrt war, macht hier in Rio 40 Kilogramm mehr im Zweikampf als bei dem Wettkampf, bei dem er positiv getestet worden war. Er hat die zwei Jahre also sehr gut genutzt. Oder es kommen irgendwelche 19-jährige Rotzlöffel und steigen mit einen Fast-Weltrekord schon in den Wettkampf ein. Das nervt.“
Über die allgemeine Situation „Es ist traurig zu sehen wie unsere Sportart untergeht und wahrscheinlich die nächsten Olympischen Spiele nicht erleben wird, weil wir uns selbst lächerlich machen. Früher, als wir ein, zwei Dopingfälle hatten, wurde Olympia schnell infrage gestellt. Jetzt haben wir viele Fälle und es wird nicht darüber geredet. Das halte ich für gefährlich.“
Über das eigene Befinden Es geht aufwärts, seit Velagic ohne Beschwerden trainieren kann. „Ich kämpfe gerne mit Gewichten, aber es ist nicht schön, gegen den eigenen Körper anzukämpfen.“Die Zeit der Sehnenrisse und Muskelverletzungen ist vorbei, das Training macht wieder Spaß. „Gerade in den höheren Gewichtsklassen dauert es seine Zeit, bis man die nötige Muskelmasse aufgebaut hat – wenn man sauber ist. In meiner Klasse ist ein Russe gesperrt, dafür haben andere sehr hohe Leistungen angemeldet. Entweder sie heben zum Einstieg überhaupt nichts oder sie haben eine merkwürdige Entwicklung hinter sich.“Über seine Chancen in Rio „Der Georgier Lasha Talakhadze und der Iraner Behdad Salimikordasiabi werden den Sieg unter sich ausmachen, um Bronze kämpfen sechs, sieben Athleten, die auf ähnlichem Niveau heben.“Die Tagesform wird entscheiden. „Es kann Rang zehn werden, wenn es gut läuft, kann ich vielleicht in den Kampf um Bronze eingreifen.“Bei den Olympischen Spielen in Peking (2008) und London (2012) belegte Velagic jeweils Rang acht. Über seine Entwicklung „Ich habe eine Zweikampfbestleistung von 433 Kilogramm, die ich bei meinem sechsten Platz bei der WM 2015 aufgestellt haben. Damals haben mir nur fünf Kilo zur Silbermedaille gefehlt.“Im Reißen steht sein Rekord bei 195, im Stoßen bei 241 Kilo. In Rio hat Velagic eine Leistung von 437 Kilo angemeldet. Das bedeutet, er muss am Anfang mindestens 417 Kilo auflegen lassen.
Über seinen Körper Velagic hat zugelegt – fast zehn Kilo gegenüber den Spielen von London. Er wiegt jetzt 150 Kilo bei einer Größe von 1,83 m. „Mehr Muskelmasse bedeutet mehr Kraft. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass ich mehr hebe. Nur wenn ich mit mehr Gewicht nicht viel langsamer und beweglicher werde, kann ich es zu einer neuen Bestleistung bringen.“Velagic nimmt pro Tag bis 10000 Kalorien zu sich. Der Eiweißshake steht nachts sogar neben seinem Bett.
Über sein Umfeld „Ich kam 1992 mit meiner Familie aus BosnienHerzegowina nach Kaufbeuren. Meine Eltern und meine drei Brüder leben noch im Allgäu. Einer ist in Rio als Zuschauer dabei. Ich lebe mit meiner Frau und meinen Zwillingen Alan und Emma (zwei Jahre alt) in Heidelberg und trainiere am Bundesleistungszentrum in Leimen.“
Über seine Zukunft Der Sportsoldat (Dienstgrad Hauptfeldwebel) hatte die Hoffnung, dass der Weltverband und das IOC das Dopingproblem irgendwann in den Griff bekommen. Darauf wartet er immer noch …