Theater aus der Wundertüte
Mit einem gelungenen Improvisations-Abend endet die Spielzeit im Martini-Park unter dem Sternenhimmel
30 Jahre Wohngemeinschaft, vier Bewohner. Mehr Drehbuchanweisungen hat das Stück nicht. Das Publikum, nach den Eigenschaften der Protagonisten gefragt, ruft: „Liebevoll-phlegmatisch, blond, liebenswert, perfektionistisch“zur Bühne hoch. Die Eigenschaften sollen Birgit Linner, Jörg Schur (beide Sensemble-Theater), Christine Sittenauer und Monika Esser-Stahl (beide Fastfood Theater, München) den vier Figuren mitgeben.
So geht Improvisationstheater. Jede neue Nummer eine Wundertüte, ein Ü-Ei, aus dem sich nach und nach die Geschichte pellt. Weder Zuschauer noch Schauspieler wissen, wohin die Reise geht. Magere Plot-Schnipsel, die das Ensemble vorgibt, und spontane Zurufe des Publikums wie „Garage“, „Solarium“, dann geht es los. Abbrechen geht nicht. Erlaubt ist lediglich „Schnitt!“. Der läutet einen Szenenwechsel ein, ist aber nur im Notfall erlaubt, wenn ein Darsteller sich verheddert oder eine Szene sich totläuft. Qualität hat das, wenn die Geschichte über fünf bis acht Minuten stimmig und spannend bleibt, die Zuschauerwünsche eingelöst werden und sich die einzelnen Fäden am Ende zu einer Kurzstory fügen.
Meisterlich geschehen am Wochenende bei der Saisonabschlussparty des Sensemble-Theaters. Erreichte schon die Premiere des Theaterfestivals „Du musst das fühlen“am Freitag die Zielmarke „Ausverkauft“, obwohl sie wegen Regens ins Sensemble verlegt werden musste, so gelang am Samstag mit „Manndeckung“unter dem Sternenhimmel im Martini-Park ein echter Publikumsrenner.
200 Zuschauer ließen sich in den Sog verwickelter, komischer und spannender Geschichten ziehen und versorgten die Bühne mit Inspirationen aus den Nischen des echten Lebens. Die WG dreht sich schließlich um einen neuen Mitbewohner und um die Frage, wer von den vieren sein Zimmer räumen muss. Schnell rollen sich die offensichtlich lange eingeübten Kommunikationsstörungen der Gruppe auf – immer schön entlang der vom Publikum festgelegten Charaktereigenschaften. Die Darsteller spielen auf den Punkt, nach wenigen Minuten ist das intelligente Spontan-Soziogramm samt Brandstiftung, Verleumdungen, gegenseitigen Beleidigungen und unter der variationsreichen Begleitung des Berliners Marc Schmolling am Synthesizer vorbei.
Einen Höhepunkt des Abends gab es zum Stichwort „Museum“. Agathe (Birgit Linner): „Wieso heißt das Bild ‚Der Blaue Reiter’, wenn’s nur a blaues Pferd’le isch?“Ihre Mutter (Christine Sittenauer) und der Museumswärter (Jörg Schur) entwickeln eine zweite Ebene und entführen Agathe in das Bild. Das Mädchen reitet den Ritt ihres Lebens, stört den Hüter des blauen Waldes, trifft auf ihre Mutter als blauen Elefanten und bleibt zuletzt erschöpft allein, verwirrt auf einem Stuhl zurück. Der Wärter beendet die Fantasyreise: „Da kannst du sehen, was Kunst mit einem macht.“Johlender Applaus.