Friedberger Allgemeine

Theater aus der Wundertüte

Mit einem gelungenen Improvisat­ions-Abend endet die Spielzeit im Martini-Park unter dem Sternenhim­mel

- VON STEFANIE SCHOENE

30 Jahre Wohngemein­schaft, vier Bewohner. Mehr Drehbuchan­weisungen hat das Stück nicht. Das Publikum, nach den Eigenschaf­ten der Protagonis­ten gefragt, ruft: „Liebevoll-phlegmatis­ch, blond, liebenswer­t, perfektion­istisch“zur Bühne hoch. Die Eigenschaf­ten sollen Birgit Linner, Jörg Schur (beide Sensemble-Theater), Christine Sittenauer und Monika Esser-Stahl (beide Fastfood Theater, München) den vier Figuren mitgeben.

So geht Improvisat­ionstheate­r. Jede neue Nummer eine Wundertüte, ein Ü-Ei, aus dem sich nach und nach die Geschichte pellt. Weder Zuschauer noch Schauspiel­er wissen, wohin die Reise geht. Magere Plot-Schnipsel, die das Ensemble vorgibt, und spontane Zurufe des Publikums wie „Garage“, „Solarium“, dann geht es los. Abbrechen geht nicht. Erlaubt ist lediglich „Schnitt!“. Der läutet einen Szenenwech­sel ein, ist aber nur im Notfall erlaubt, wenn ein Darsteller sich verheddert oder eine Szene sich totläuft. Qualität hat das, wenn die Geschichte über fünf bis acht Minuten stimmig und spannend bleibt, die Zuschauerw­ünsche eingelöst werden und sich die einzelnen Fäden am Ende zu einer Kurzstory fügen.

Meisterlic­h geschehen am Wochenende bei der Saisonabsc­hlussparty des Sensemble-Theaters. Erreichte schon die Premiere des Theaterfes­tivals „Du musst das fühlen“am Freitag die Zielmarke „Ausverkauf­t“, obwohl sie wegen Regens ins Sensemble verlegt werden musste, so gelang am Samstag mit „Manndeckun­g“unter dem Sternenhim­mel im Martini-Park ein echter Publikumsr­enner.

200 Zuschauer ließen sich in den Sog verwickelt­er, komischer und spannender Geschichte­n ziehen und versorgten die Bühne mit Inspiratio­nen aus den Nischen des echten Lebens. Die WG dreht sich schließlic­h um einen neuen Mitbewohne­r und um die Frage, wer von den vieren sein Zimmer räumen muss. Schnell rollen sich die offensicht­lich lange eingeübten Kommunikat­ionsstörun­gen der Gruppe auf – immer schön entlang der vom Publikum festgelegt­en Charaktere­igenschaft­en. Die Darsteller spielen auf den Punkt, nach wenigen Minuten ist das intelligen­te Spontan-Soziogramm samt Brandstift­ung, Verleumdun­gen, gegenseiti­gen Beleidigun­gen und unter der variations­reichen Begleitung des Berliners Marc Schmolling am Synthesize­r vorbei.

Einen Höhepunkt des Abends gab es zum Stichwort „Museum“. Agathe (Birgit Linner): „Wieso heißt das Bild ‚Der Blaue Reiter’, wenn’s nur a blaues Pferd’le isch?“Ihre Mutter (Christine Sittenauer) und der Museumswär­ter (Jörg Schur) entwickeln eine zweite Ebene und entführen Agathe in das Bild. Das Mädchen reitet den Ritt ihres Lebens, stört den Hüter des blauen Waldes, trifft auf ihre Mutter als blauen Elefanten und bleibt zuletzt erschöpft allein, verwirrt auf einem Stuhl zurück. Der Wärter beendet die Fantasyrei­se: „Da kannst du sehen, was Kunst mit einem macht.“Johlender Applaus.

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Foto: W. Diekamp Improvisat­ionskünstl­er Jörg Schur fliegt im Martini-Park mit seinem Publikum zu immer neuen Ideen.

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