Tempel des Konsums
Einkaufszentren sind beliebt in aller Welt – obwohl die überwiegende Mehrheit Allerweltsarchitektur ohne Anspruch zeigt. Eine Münchner Ausstellung
München Eigentlich braucht der Mensch gar nicht viel: etwas zu Essen und zu Trinken, dazu noch ein paar andere Dinge, und außerdem ein Dach überm Kopf. Zum Einkaufen der Nahrungs- und Gebrauchsgüter sind schon seit Siedlungsbeginn Märkte entstanden, im Zentrum der Stadt, da wo sich alle trafen. Zum Schutz vor Sonne, Wind und Regen bekamen sie nicht selten ein Dach – die römische Basilika, der orientalische Basar, die Ladenpassage und das Kaufhaus des 19. und 20. Jahrhunderts sind überdachte Bauwerke. Und weil der Mensch nicht nur kaufen und verkaufen, sondern dabei auch verhandeln und plaudern will, hatten diese Märkte stets Aufenthaltsqualität, waren Orte des Austausches und der Kommunikation.
Im Grunde ist das auch heute nicht anders. Gravierend geändert haben sich seit Beginn der Massengesellschaft und ihrer Motorisierung allerdings Lage und Größe der Konsumeinrichtungen: Sie sind aus den Innenstädten verschwunden, zumindest an deren Rand gerückt, weil sie mit dem Auto erreichbar sein sollen. Sie verfügen über große Parkhäuser, über Höfe, Atrien und Restaurants, sind also zu einem Zentrum außerhalb des Stadtzentrums geworden. Und sie heißen nicht Basar, Markthalle oder Kaufhaus, sondern Shopping Mall.
Mit dem architektonischen Typus dieses in Amerika entstandenen und deswegen amerikanisch titulierten Einkaufszentrums und seiner Geschichte befasst sich derzeit eine Ausstellung im Münchner Architekturmuseum: „Word of Malls. Architekturen des Konsums“.
Ein lohnendes Thema, denn die Shopping Malls bestimmen nicht nur seit Jahrzehnten Städtebau und Entwicklung der Städte in der ganzen Welt, sondern sie polarisieren auch zutiefst, wie Museumsdirektor Andres Lepik und Kuratorin Vera Simone Bader zu Recht konstatieren. Während Stadtplaner und Soziologen die Malls verteufeln, weil sie zur Verödung der Innenstädte beitragen, scheint ein großer Teil der Kunden – zumindest jene aus kulturfernen und konsumorientierten Schichten – sie zu lieben. In so einer Mall nämlich kann man gut seinen Tag verbringen: Schaufenster gucken, vielleicht was kaufen, vielleicht auch nicht, Döner essen, unter Menschen sein. Und es ist auch noch trocken und warm.
Das lässt sich in der Augsburger City-Galerie ebenso beobachten wie im Kemptener Allgäu Forum. Beide Baukomplexe sind keine architektonischen Schmuckstücke, und genau dies trifft auch auf die allermeisten der weltweit verbreiteten Shopping Malls zu.
Während Fußballstadien vielerorts zum architektonischen Renommee einer Stadt beitragen (siehe Münchens Allianz Arena), bleibt die Shopping-Mall-Architektur eine Architektur von der Stange. Hauptsache groß, hell und einladend für Menschen, denen es nicht um Ästhetik, sondern um Konsum und Freizeit-Event geht. Eine Ausnahme ist vielleicht das City-PointCenter in Kassel, dem Jochem Jourdan eine gläserne Hülle mit Siebdru- cken von documenta-Kunstwerken verpasst hat.
Aber zumeist bleiben die Malls anonyme Architektur, weil die von den Investoren beauftragten Architekten im Planungsprozess ihre Ideen so sehr abspecken müssen, dass sie anschließend am liebsten nicht mehr mit dem zwar gut honorierten, aber der Profilierung wenig dienlichen Werk in Verbindung gebracht werden wollen. Das völlige Fehlen architektonischer Gestaltung kann sogar als Charakteristikum der Malls gelten, seit Victor Gruen 1956 in Minnesota (USA) das erste überdachte Einkaufszentrum als schlichten Konsum-Bunker errichtete.
Ganz anders wirkte das 1973 vom Augsburger Investor Otto Schnitzenbauer an der Münchner Leopoldstraße errichtete „Schwabylon“, ein „urban entertainment center“, dem der Architekt Justus A. Dahinden mit Glas, Beton und farbig emaillierten Metall ein richtige Hippie-Fassade gab. Das architektonische Bekenntnis setzte sich jedoch nicht durch; schon 1979 wurde das Schwabylon wieder abgerissen.
Geblieben ist Allerwelts-Architektur wie beim CentrO in Oberhausen (1996), Europas größtem Einkaufs- und Freizeitpark. Die Besucherzahlen sind ein Riesenerfolg – mit katastrophalen Folgen für Einzelhandel und Arbeitsplätze der Stadt. Geblieben sind auch die Schloss-Arkaden von Braunschweig, die sich hinter der rekonstruierten Fassade des 1960 abgerissenen Residenzschlosses verstecken. Die ganze Republik spöttelte bei der Eröffnung 2007 über die „Disneylandisierung“des Schlosses, aber die Besucher mögen es. Beim Milaneo in Stuttgart, das erst im Herbst 2014 eröffnet wurde, versuchten die Planer, etwas anspruchsvoller zu arbeiten und durch nachhaltige Baustandards sowie Verzahnung mit dem öffentlichen Raum urbane Qualität zu schaffen.
Auch im Libanon, in Dubai und in China werden, wie die Ausstellung zeigt, Malls mit Anspruch geplant, aber allzu oft machen sich Gigantismus und Kitsch breit. Und dann gibt es noch die leer stehenden, aufgegebenen und verfallenden Malls, von denen triste Bilder zu sehen sind. Wenn sich die Mall nicht rechnet, erweist sie sich schnell als das, was sie ohnehin schon war, ein falsches Paradies des Konsums. Sie wird zur Bauruine, die die Stadt, die sie ehedem veröden ließ, nun auch noch verschandelt.
So ist die Bilanz dieser kritischen Münchner Ausstellung einigermaßen ernüchternd. Durch Fotografien, Pläne und Statements von Stadtplanern und Architekten entsteht der Eindruck, dass die Shopping Mall eigentlich schon Schnee von gestern ist, auch aufgrund des wachsenden Online-Handels. Um die Stadt für Konsum und Begegnung in Zukunft lebensfähig zu halten, braucht es gewiss mehr als nur gebaute Größe und Effektivität. Es braucht Vielfalt und Kleinteiligkeit, Atmosphäre und Zentralität.
Ausstellungsdauer bis 16. Oktober in der Münchner Pinakothek der Moderne, täglich außer Mo. von 10 bis 18 Uhr, Do. bis 20 Uhr. Der Katalog (Hatje Cantz, 49,80 Euro) enthält zahlreiche Beispiele, Abbildungen und Essays.