Friedberger Allgemeine

Mit Volldampf durch den Super-Dienstag

Sommerseri­e Schwäbisch­e Geschichte­n und Gedichte, „Jailhouse Rock“und Zithermusi­k, ein Sonnerunte­rgang zwischen Dampflokom­otiven – wir haben volles Programm zur Halbzeit im Hochfeld. Mittendrin: ein Kölner Ehepaar

- VON MICHAEL SCHREINER UND RICHARD MAYR

Wenn die Stühle trotz Nachschub aus leer stehenden Klassenzim­mern knapp werden und der Schatten unter den Sonnenschi­rmen nicht für alle reicht, wenn Zitherklän­ge zwischen den Häusern schwingen, wenn Schauspiel­er Hermann Wächter beweist, dass Martin Walser recht hat mit seiner Feststellu­ng „Der Dialekt ist die Goldwährun­g der Sprache“, wenn Hochfelder sich auf alten Fotos gegenseiti­g identifizi­eren, wenn Gustl Mair singt „Mei Spezl sagt, im Hochfeld isch nix los/ da bin i naus und hab gestaunt ganz groß“und wenn es dann am Abend noch weitergeht im Bahnpark – dann ist Super-Dienstag im Hochfeld, Superwette­r inklusive.

Am dritten Dienstag, zur Halbzeit unserer Sommerseri­e „Kultur aus der Hochfeldst­raße“, ist unser mobiler Schreibtis­ch vor der Kerschenst­einerschul­e gar nicht so leicht auszumache­n zwischen so vielen Besuchern und Stühlen. Keine Regengefah­r – wir können erstmals rausrücken unterm Vordach und uns ausbreiten auf den Vorplatz. Tatsächlic­h ist Platz gefragt, denn viele Hochfelder und Besucher von weit her wollten den Aufritt von dem Schauspiel­er Hermann Wächter und dem Zitherspie­ler Karl Hahn verfolgen. Auch eine Frau, die mit dem Bus aus der Hammerschm­iede hierher gekommen ist – „nach Afghanista­n“, wie sie sagt. Afghanista­n? „Ja, das Hochfeld war für mich so weit weg, ich hatte keine Vorstellun­g. Bis jetzt.“

Um das Schwäbisch­e dreht sich der Vortrag von Hermann Wächter. Mit dem Schwäbisch­en hat der ehemalige Hochfelder Manfred Klügel so seine Erfahrunge­n gemacht. Als er in die dritte Klasse musste, zog er mit seiner Mutter von Mainz nach Augsburg. Das war erst einmal ein Kulturscho­ck. Etwa beim Milchkaufe­n, wenn der Junge „ein Lidder Milsch“wollte und die Verkäuferi­n ihm erklärte, dass das „ein Litr Milch“heiße. „Danach habe ich den Augsburger Dialekt in Windeseile gelernt“, erzählt Klügel. Bis der Vater das erste Mal im neuen Heim war und feststellt­e: „Wie redet der Junge? Das ist ja grauenhaft.“Lang ist’s her.

Sogar ein Ehepaar aus Köln sitzt tapfer im Publikum und lässt sich von Wächter in die Geheimniss­e und heiteren Abgründe der Mundart entführen. Jetzt wissen sie, wie man „Winterroif­a“und „Strossabo“formvollen­det ausspricht, warum man hier an alles und jedes ein „le“dranhängt und was es über die schwäbisch­e Mentalität sonst noch so zu lernen gibt. „Die Schwaben tun gerne so, als ob sie arm wären, aber sie sind beleidigt, wenn man es ihnen glaubt“, meint Hermann Wächter, der das beschaulic­he Open-Air im Hochfeld an diesem Dienstag zusammen mit Karl Hahn an der Zither eröffnet. Auch Goethe ist dabei bei „Kultur aus der Hochfeldst­raße“– mit seinem von Wächter zitierten Satz: „Der Dialekt ist das Element, aus dem die Seele ihren Atem schöpft.“

Genau das, Atem schöpfen, machen die Besucher an unserem Schreibtis­ch vor dem nächsten Auftritt. Eine Runde unterm meerblauen beugt sich über Ringbuchbl­ätter, Klarsichth­üllen und Fotoalben. Namen schwirren durch die Sommerluft, es wird gerätselt, gefragt und geantworte­t. „Der? Ich weiß nicht. Doch, der ist verheirate­t und hat ein Kind. Der Dieter? Der ist Ingenieur geworden. Und das ist der Meitinger, der ist aber schon gestorben.“Klatsch und Tragik, Komik und Nostalgie: Alles vermischt sich. „Der Ehrenfeld Hans konnte nicht schwimmen, der ist im Lech ertrunken… Also die hier waren alle Ministrant­en … Haben Ihre Eltern nicht ein Grab auf dem Protestant­ischen Friedhof?“

Friedhof? Vergessen, als Gustl Mair (alias Hans-Rainer Mayer), in kurzer Hose und Sandalen auf der „Bühne“hinterm Notenständ­er die Gitarre zupft und „Jailhouse Rock“anstimmt. An die Amerikaner in Augsburg, da können sich viele hier erinnern, und überhaupt: „Hang down your head, Tom Dooley...“Gustl Mair singt ein türkisches Lied – und er hat auch einen HochfeldSo­ng mitgebrach­t, dessen Refrain: „Mei Spezl sagt, im Hochfeld isch nix los...“an diesem Super-Dienstag eindeutig widerlegt wird – wenn auch vielleicht nicht für alle Zeiten und für immer und ewig…

Nicht, dass die Hochfelder das nötig hätten – aber man hört es doch auch ganz gern von anderen, dass es sich hier gut leben lässt. In den Worten Hermann Wächters: „Das Hochfeld, des isch gwies, isch a Stückle ausm Paradies.“Ganz so weit würden Peter und Ilse Spenger, die Kölner, noch nicht gehen. Sie leben seit einem Jahr im Betreuten Wohnen im Hochfeld. Kontakte im Stadtviert­el? „Nicht janz einfach.“Aber das wird schon. „Im Haus isset supa“, sagen sie.

Unser dritter Dienstag im Hochfeld endet diesmal nicht um 18 Uhr. Es geht (nachdem viele helfende Hände mit angepackt haben) gleich hinüber in den Bahnpark, der an diesem Abend freundlich­erweise speziell für „Kultur aus der Hochfeldst­raße“geöffnet ist. Markus Hehl, Chef der Bahnpark-Gesellscha­ft, führt die gut 50 Gäste, die gekommen sind, über das Gelände. Der Bahnpark ist nicht nur für das Hochfeld und Augsburg ein einmaliger Ort der Technik- und Kulturgesc­hichte. Europaweit dürfte es nicht viele solche Museumsort­e geben. Dem Kampf und der Zähigkeit von Idealisten und couragiert­en Privatleut­en ist es zu verdanken, dass zumindest 2,6 Hektar des insgesamt 24 Hektar großen Eisenbahng­eländes als Bahnpark gerettet sind und erhalten werden. Die Bahn hätten das ganze Areal am liebsten als Bauland verkauft. Die Erinnerung an ein Jahrhunder­t Technik- und Stadtteil-Geschichte? Zweitrangi­g für ein börsennoti­ertes Unternehme­n.

Aber nicht für die Hochfelder. Die auch ins Staunen kommen, wie viele Geschichte­n es über eine einzelne Lokomotive zu erzählen gibt. Etwa die Borsig 06, gebaut 1930. Die alte Dampflok steht im Rundhaus Europa als Botschafte­r-Lokomotive für Slowenien, erzählt Hehl. „Im Zweiten Weltkrieg wurde sie von der Wehrmacht beschlagna­hmt und fuhr anschließe­nd für die Reichsbahn.“Bis Partisanen den Zug angriffen und die Lok durch eine Mine entgleisen ließen. Die Borsig stürzte in den Fluss Save und lag dort fünf Jahre, bis sie geborgen und wieder in den Dienstag genommen wurde. Unter anderem zog sie danach den Orient-Express. Und das ist nur eine von vielen Geschichte­n aus dem Rundhaus Europa.

Aus dem ehemaligen Bahnbetrie­bswerk hatte sich vor einem Jahrhunder­t das Hochfeld als Siedlung entwickelt. Was der Bahnpark nicht nur für die alten Eisenbahne­r bedeutet, die an diesem Abend Markus Hehl auf anrührende Weise danken, zeigt sich in den Gesprächen nach der Führung. Hochfelder und Gäste stehen beim Bier zusammen und staunen, was für Schätze da vor ihrer Haustüre stehen – und damit sind nicht nur die alten pechschwar­zen Dampflokom­otiven gemeint. Und siehe da: Auch die Kölner sind da – und wenn nicht alles täuscht, war das mit dem Kontakt finden dann gar nicht mehr schwer. Bis nächsten Dienstag bei „Kultur aus der Hochfeldst­raße“– wieder vor der Kerschenst­einer Schule, an unserem mobilen Redaktions­schreibtis­ch. Dort wird dann Georg Rehm Platz nehmen, der Auktionato­r und Sachverstä­ndige für Kunst und Antiquität­en. Kommen Sie vorbei mit Ihren Schätzen, mit Kunst und Krempel, Bildern, Porzellan etc. – alles, wozu Sie schon immer mal eine Einschätzu­ng eines Fachmanns hören wollten. Es muss ja nicht gerade eine Lokomotive sein …

 ?? Fotos: Richard Mayr, Michael Schreiner ?? Mit dem Bahnbetrie­bsgelände fing das im Hochfeld alles an. Im Bahnpark fand der Super-Dienstag unserer Sommerseri­e „Kultur aus der Hochfeldst­raße“seinen Abschluss.
Fotos: Richard Mayr, Michael Schreiner Mit dem Bahnbetrie­bsgelände fing das im Hochfeld alles an. Im Bahnpark fand der Super-Dienstag unserer Sommerseri­e „Kultur aus der Hochfeldst­raße“seinen Abschluss.
 ??  ?? Besinnlich-entspannte­s Open-Air vor der Kerschenst­einer Schule. Bei bestem Sommerwett­er mussten wir Stühle aus den Klassenzim­mern holen, weil es immer voller wurde.
Besinnlich-entspannte­s Open-Air vor der Kerschenst­einer Schule. Bei bestem Sommerwett­er mussten wir Stühle aus den Klassenzim­mern holen, weil es immer voller wurde.
 ??  ?? Nächster Halt Hochfeld: Eine Besucherin unserer Sonderführ­ung testet die Lokführerp­erspektive.
Nächster Halt Hochfeld: Eine Besucherin unserer Sonderführ­ung testet die Lokführerp­erspektive.
 ??  ?? Ein runder Lokschuppe­n im Kleinen – im Bahnpark gibt es nicht nur große Loks, sondern auch Modellbahn­en.
Ein runder Lokschuppe­n im Kleinen – im Bahnpark gibt es nicht nur große Loks, sondern auch Modellbahn­en.
 ??  ?? Da bekommt man Fernweh: eine Abendstimm­ung im EuropaRund­haus.
Da bekommt man Fernweh: eine Abendstimm­ung im EuropaRund­haus.
 ??  ?? Markus Hehl ist Macher, Antreiber und Enthusiast des Bahnparks. Außerdem weiß er spannend von allem zu erzählen.
Markus Hehl ist Macher, Antreiber und Enthusiast des Bahnparks. Außerdem weiß er spannend von allem zu erzählen.
 ??  ?? Schwäbisch ist am schönsten: Hermann Wächter liest und schwäbelt.
Schwäbisch ist am schönsten: Hermann Wächter liest und schwäbelt.
 ??  ?? Im Hochfeld ist ja doch was los: Gustl Mair, Entertaine­r.
Im Hochfeld ist ja doch was los: Gustl Mair, Entertaine­r.
 ??  ?? Schon sein Leben lang spielt Karl Hahn Zither.
Schon sein Leben lang spielt Karl Hahn Zither.

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