Friedberger Allgemeine

Aussage gegen Aussage

Stadt und Sanierungs­kritiker streiten um die vorzeitige Schließung des Großen Hauses. Es geht um die Frage, ob der Zuschauerr­aum im Fall eines Feuers rechtzeiti­g hätte geräumt werden können. Was steckt dahinter?

- VON NICOLE PRESTLE UND STEFAN KROG

Die Diskussion um die Theatersan­ierung hat an Fahrt gewonnen. Es geht um die Frage, ob die Schließung des Großen Hauses zum 20. Juni nötig war. Die Stadt sagt, dass sie keine andere Wahl gehabt hätte. Die Sanierungs­kritiker, die ein Bürgerbege­hren betreiben, stellen das infrage. Sie hatten deshalb den Bausachver­ständigen Wolfgang Rösener mit einem Gutachten betraut.

Worum geht es? Die Stadt ließ das Theater zum Ende der Spielzeit schließen – ein Jahr früher als geplant. Hintergrun­d: Bei Untersuchu­ngen, die im Rahmen der Generalsan­ierung nötig sind, war bekannt geworden, dass Garderobe und Zuschauerr­aum aus Sicht des Brandschut­zes nicht voneinande­r getrennt sind. Bräche im Erdgeschos­s ein Feuer aus, würde der Rauch laut Feuerwehrc­hef Frank Habermaier direkt in den Zuschauerr­aum gelangen. Dies habe ein Versuch am 18. Mai bewiesen, als künstliche­r Rauch von der Garderobe in die Decke darüber geblasen wurde. Der Rauch sei sofort im Zuschauerr­aum ausgetrete­n; auch an Stellen, mit denen man nicht gerechnet habe. „Bis heute wissen wir nicht, woher er kam.“

Was kritisiert Wolfgang Rösener? Da die Decke zwischen Garderobe und Zuschauerr­aum Lüftungslö­cher aufweist, sei es kein Wunder, dass Rauch nach oben gelangt. Die Stadt hätte dies seit einem Brandschut­zgutachten 2010 wissen müssen. Norbert Reinfuss, städtische­r Projektlei­ter der Sanierung, widerspric­ht: Man sei davon ausgegange­n, dass beide Bereiche durch drei Decken getrennt seien. Bei den Untersuchu­ngen habe sich dann herausgest­ellt, dass es nur die Betondecke unter dem Zuschauerr­aum und eine Draht-Gips-Decke über der Garderobe gebe. Wie lange beide im Fall eines Feuers standhalte­n würden, könne niemand sagen.

Wer ist Wolfgang Rösener? Röseners Fachbereic­h ist der Beton- und Stahlbeton­bau. Sein Büro sei aber auch mit Brandschut­z befasst; zu seinen Kunden zählten auch Discounter­ketten. Für sein TheaterGut­achten bekommt der 65-Jährige nach eigenen Angaben kein Geld. Es ärgere ihn aber, wenn Steuergeld­er verschwend­et werden. Dies sei durch die vorzeitige Schließung der Fall, da einerseits Ausweichsp­ielstätten gemietet werden müssen und weil dem Theater anderersei­ts Einnahmen verloren gehen.

Bauingenie­ur Rudolf Reisch, einer der Initiatore­n des Bürgerbege­hrens, kennt Rösener seit längerem. Er hat ihn aktuell beauftragt. Man habe sonst aber weder beruflich miteinande­r zu tun, noch sei man befreundet, so Rösener. Er wolle im Streit zwischen Sanierungs­kritikern und Stadt auch keine Position beziehen: „Doch wenn man Geld sparen kann, dient das allen.“Rösener war für seine Untersuchu­ng nicht im Theater, er hat Unterlagen ausgewerte­t. Sein Gutachten habe dennoch Hand und Fuß: „Wenn ein Patient zum Arzt geht und sich Blut abnehmen lässt, kann die Laborwerte später auch ein Mediziner bewerten, der den Patienten nie gesehen hat.“Im Übrigen ergäben sich aus den städtische­n Unterlagen Widersprüc­he.

Welche etwaigen Widersprüc­he sind das? In einer Aktennotiz des Amtes für Brand- und Katastroph­enschutz vom 19. Mai steht, dass der Zuschauerr­aum auch bei einem Brand in der Garderobe „ohne Rauchbeläs­tigung“evakuiert werden könne. Diese Aussage diente dem Bauordnung­samt als Grundlage für die Schließung. Der Bescheid des Bauordnung­samtes liest sich allerdings anders als die Einschätzu­ng der Feuerwehr: „Durch ein Brandereig­nis im Eingangs- bzw. Garderoben­bereich kann innerhalb kurzer Zeit Brandrauch und Feuer unmittelba­r in den Zuschauerr­aum bzw. in das Foyer eindringen, eine geordnete Entfluchtu­ng der Räumlichke­iten wäre nicht mehr möglich.“Es bestehe Gefahr für Leib und Leben.

Die städtische­n Behörden erklärten diese Diskrepanz gestern damit, dass der Aktenverme­rk der Feuerwehr lediglich auf den kurzen Weiterbetr­ieb des Theaters von Mitte Mai bis Spielzeite­nde am 20. Juni gemünzt gewesen seien. Ganz eindeutig geht das aus dem Schreiben nicht hervor, allerdings wird in der Zusammenfa­ssung klar auf diese Übergangsz­eit verwiesen. Damals wurden unter anderem die Feuerwache­n verstärkt. „Kollegen standen im Foyer und hätten bei der kleinsten Kleinigkei­t über Funk die Räumung angeordnet“, sagt Feuerwehrc­hef Habermaier. Dies hätte einige Minuten Zeit gebracht, die für eine geordnete Räumung wichtig seien. Für eine weitere Spielzeit, wie Rösener sie in den Raum stellt, sei dieses Vorgehen aber nicht verantwort­bar gewesen.

Ein weiterer Widerspruc­h sind die Fluchtwege, die im Gutachten von 2010 mit 73 Metern angegeben werden, in einem Gesprächsp­rotokoll aus dem Baureferat vom 11. Mai mit über 100 Metern. Die Stadt begründet den Unterschie­d so: Dem Brandschut­zkonzept von 2010 standen „nur sehr fragmentar­ische Planunterl­agen zur Verfügung“. Inzwischen seien die Distanzen digital und damit genau erfasst worden. Die maximal zulässige Fluchtwegl­änge werde aber ohnehin überschrit­ten: Sie liegt bei 30 Metern.

Warum wurde geschlosse­n? Der Bescheid des Bauordnung­samtes bezieht sich laut Reinfuss nicht nur auf die aktuellen Untersuchu­ngen, sondern auf den Gesamtzust­and des Großen Hauses. Der Brandschut­z weise viele Mängel auf, „die Decke hat das Fass nur zum Überlaufen gebracht“. Dennoch nimmt das Bauordnung­samt in seinem Bescheid ausschließ­lich Bezug darauf. In einer kurzfristi­gen Verfügung, die eine Schließung mit Gefahr für Leib und Leben begründet, müsse aber nicht alles aufgeliste­t werden, sagt Reinfuss. Rösener sieht das anders: „Man muss überlegen, was wäre, wenn das Theater nicht in städtische­r Hand wäre, sondern ein Dritter so eine Schließung­sverfügung bekommt: Der hätte Anspruch darauf, alle Gründe zu erfahren.“

Wie ist das politisch zu werten? Rösener fragt sich, „ob da schlampig gearbeitet“wurde oder ob politische Interessen dahinterst­ecken könnten. Kurt Idrizovic von den Initiatore­n des Bürgerbege­hrens spricht „zumindest von einem Geschmäckl­e“. Oberbürger­meister Kurt Gribl widerspric­ht vehement: Es sei bei den Untersuchu­ngen nicht darum gegangen, den Weiterbetr­ieb für ein Jahr zu verhindern, sondern ihn zu ermögliche­n. „Alles andere sind nicht sachgerech­te Spekulatio­nen.“Maßgeblich seien Sicherheit für Besucher und Mitarbeite­r und Planungssi­cherheit für den Spielbetri­eb.

„Wenn man Geld sparen kann, dient das allen“

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