Aussage gegen Aussage
Stadt und Sanierungskritiker streiten um die vorzeitige Schließung des Großen Hauses. Es geht um die Frage, ob der Zuschauerraum im Fall eines Feuers rechtzeitig hätte geräumt werden können. Was steckt dahinter?
Die Diskussion um die Theatersanierung hat an Fahrt gewonnen. Es geht um die Frage, ob die Schließung des Großen Hauses zum 20. Juni nötig war. Die Stadt sagt, dass sie keine andere Wahl gehabt hätte. Die Sanierungskritiker, die ein Bürgerbegehren betreiben, stellen das infrage. Sie hatten deshalb den Bausachverständigen Wolfgang Rösener mit einem Gutachten betraut.
Worum geht es? Die Stadt ließ das Theater zum Ende der Spielzeit schließen – ein Jahr früher als geplant. Hintergrund: Bei Untersuchungen, die im Rahmen der Generalsanierung nötig sind, war bekannt geworden, dass Garderobe und Zuschauerraum aus Sicht des Brandschutzes nicht voneinander getrennt sind. Bräche im Erdgeschoss ein Feuer aus, würde der Rauch laut Feuerwehrchef Frank Habermaier direkt in den Zuschauerraum gelangen. Dies habe ein Versuch am 18. Mai bewiesen, als künstlicher Rauch von der Garderobe in die Decke darüber geblasen wurde. Der Rauch sei sofort im Zuschauerraum ausgetreten; auch an Stellen, mit denen man nicht gerechnet habe. „Bis heute wissen wir nicht, woher er kam.“
Was kritisiert Wolfgang Rösener? Da die Decke zwischen Garderobe und Zuschauerraum Lüftungslöcher aufweist, sei es kein Wunder, dass Rauch nach oben gelangt. Die Stadt hätte dies seit einem Brandschutzgutachten 2010 wissen müssen. Norbert Reinfuss, städtischer Projektleiter der Sanierung, widerspricht: Man sei davon ausgegangen, dass beide Bereiche durch drei Decken getrennt seien. Bei den Untersuchungen habe sich dann herausgestellt, dass es nur die Betondecke unter dem Zuschauerraum und eine Draht-Gips-Decke über der Garderobe gebe. Wie lange beide im Fall eines Feuers standhalten würden, könne niemand sagen.
Wer ist Wolfgang Rösener? Röseners Fachbereich ist der Beton- und Stahlbetonbau. Sein Büro sei aber auch mit Brandschutz befasst; zu seinen Kunden zählten auch Discounterketten. Für sein TheaterGutachten bekommt der 65-Jährige nach eigenen Angaben kein Geld. Es ärgere ihn aber, wenn Steuergelder verschwendet werden. Dies sei durch die vorzeitige Schließung der Fall, da einerseits Ausweichspielstätten gemietet werden müssen und weil dem Theater andererseits Einnahmen verloren gehen.
Bauingenieur Rudolf Reisch, einer der Initiatoren des Bürgerbegehrens, kennt Rösener seit längerem. Er hat ihn aktuell beauftragt. Man habe sonst aber weder beruflich miteinander zu tun, noch sei man befreundet, so Rösener. Er wolle im Streit zwischen Sanierungskritikern und Stadt auch keine Position beziehen: „Doch wenn man Geld sparen kann, dient das allen.“Rösener war für seine Untersuchung nicht im Theater, er hat Unterlagen ausgewertet. Sein Gutachten habe dennoch Hand und Fuß: „Wenn ein Patient zum Arzt geht und sich Blut abnehmen lässt, kann die Laborwerte später auch ein Mediziner bewerten, der den Patienten nie gesehen hat.“Im Übrigen ergäben sich aus den städtischen Unterlagen Widersprüche.
Welche etwaigen Widersprüche sind das? In einer Aktennotiz des Amtes für Brand- und Katastrophenschutz vom 19. Mai steht, dass der Zuschauerraum auch bei einem Brand in der Garderobe „ohne Rauchbelästigung“evakuiert werden könne. Diese Aussage diente dem Bauordnungsamt als Grundlage für die Schließung. Der Bescheid des Bauordnungsamtes liest sich allerdings anders als die Einschätzung der Feuerwehr: „Durch ein Brandereignis im Eingangs- bzw. Garderobenbereich kann innerhalb kurzer Zeit Brandrauch und Feuer unmittelbar in den Zuschauerraum bzw. in das Foyer eindringen, eine geordnete Entfluchtung der Räumlichkeiten wäre nicht mehr möglich.“Es bestehe Gefahr für Leib und Leben.
Die städtischen Behörden erklärten diese Diskrepanz gestern damit, dass der Aktenvermerk der Feuerwehr lediglich auf den kurzen Weiterbetrieb des Theaters von Mitte Mai bis Spielzeitende am 20. Juni gemünzt gewesen seien. Ganz eindeutig geht das aus dem Schreiben nicht hervor, allerdings wird in der Zusammenfassung klar auf diese Übergangszeit verwiesen. Damals wurden unter anderem die Feuerwachen verstärkt. „Kollegen standen im Foyer und hätten bei der kleinsten Kleinigkeit über Funk die Räumung angeordnet“, sagt Feuerwehrchef Habermaier. Dies hätte einige Minuten Zeit gebracht, die für eine geordnete Räumung wichtig seien. Für eine weitere Spielzeit, wie Rösener sie in den Raum stellt, sei dieses Vorgehen aber nicht verantwortbar gewesen.
Ein weiterer Widerspruch sind die Fluchtwege, die im Gutachten von 2010 mit 73 Metern angegeben werden, in einem Gesprächsprotokoll aus dem Baureferat vom 11. Mai mit über 100 Metern. Die Stadt begründet den Unterschied so: Dem Brandschutzkonzept von 2010 standen „nur sehr fragmentarische Planunterlagen zur Verfügung“. Inzwischen seien die Distanzen digital und damit genau erfasst worden. Die maximal zulässige Fluchtweglänge werde aber ohnehin überschritten: Sie liegt bei 30 Metern.
Warum wurde geschlossen? Der Bescheid des Bauordnungsamtes bezieht sich laut Reinfuss nicht nur auf die aktuellen Untersuchungen, sondern auf den Gesamtzustand des Großen Hauses. Der Brandschutz weise viele Mängel auf, „die Decke hat das Fass nur zum Überlaufen gebracht“. Dennoch nimmt das Bauordnungsamt in seinem Bescheid ausschließlich Bezug darauf. In einer kurzfristigen Verfügung, die eine Schließung mit Gefahr für Leib und Leben begründet, müsse aber nicht alles aufgelistet werden, sagt Reinfuss. Rösener sieht das anders: „Man muss überlegen, was wäre, wenn das Theater nicht in städtischer Hand wäre, sondern ein Dritter so eine Schließungsverfügung bekommt: Der hätte Anspruch darauf, alle Gründe zu erfahren.“
Wie ist das politisch zu werten? Rösener fragt sich, „ob da schlampig gearbeitet“wurde oder ob politische Interessen dahinterstecken könnten. Kurt Idrizovic von den Initiatoren des Bürgerbegehrens spricht „zumindest von einem Geschmäckle“. Oberbürgermeister Kurt Gribl widerspricht vehement: Es sei bei den Untersuchungen nicht darum gegangen, den Weiterbetrieb für ein Jahr zu verhindern, sondern ihn zu ermöglichen. „Alles andere sind nicht sachgerechte Spekulationen.“Maßgeblich seien Sicherheit für Besucher und Mitarbeiter und Planungssicherheit für den Spielbetrieb.
„Wenn man Geld sparen kann, dient das allen“