In der Zulieferer-Krise
Es ist ein Wirtschaftskrimi – mit bisher offenem Ende. Zwei kleine VW-Lieferanten verweigern dem Konzern ihre Bauteile. Die Folgen: Produktionsstopps und Kurzarbeit bei Volkswagen. Jetzt will sich der Autobauer wehren
Wolfsburg Für den VW-Arbeiter in der Wolfsburger Kneipe „Tunnelschänke“ist die Sache schon klar. „Volkswagen wird erpresst, und das darf nicht sein“, sagt der Mann in dem Stammlokal vieler Schichtarbeiter, in das sie nach Feierabend auf dem Heimweg aus der nahen VW-Fabrik oft einkehren. Die Gäste hier identifizieren sich so sehr mit dem Autobauer, dass sie Jacken mit der Aufschrift „Der Golf 7 – Ein Teil von mir“tragen.
Menschen wie sie treffen die neuesten Nachrichten zu Volkswagen hart: Der Lieferstopp zweier Teilehersteller zwingt den Weltkonzern zu Produktionsstopps und Kurzarbeit. VW vermag das bisher nicht abzuwenden, obwohl man sich juristisch zur Wehr setzt.
Für den Autobauer kommt das neue Problem zur Unzeit – denn mit dem Abgas-Skandal steht der Konzern schon mehr als genug unter Druck. Schon von diesem Samstag an ruht die Golf-Produktion für zehn Tage. Die Zulieferer lähmen damit das Herz der weltgrößten Autofabrik, es ist ein Wirtschaftskrimi.
Die VWler wundern sich, dass die zwei externen Partner solche Macht haben. Einer der Arbeiter aus der Kneipe will in dem Konflikt ein Machtwort der Bundesregierung. Sein Kollege sagt, vom Stopp der Golfproduktion sei er direkt betroffen: „Ich bin Golfer – seit 28 Jahren in der Produktion.“Angst habe er aber nicht. Wenn er spricht, merkt man auch jetzt, wie sehr er hinter dem Konzern steht.
Aus Sicht der externen VW-Partner ist die Lage alternativlos. Einer der Chefs der am Lieferstopp beteiligten Firma ES Automobilguss, Alexander Gerstung, sagt: „VW zwingt uns zu diesem Vorgehen, um unsere eigenen Mitarbeiter in Niedersachsen und Sachsen zu schützen und letztlich den Fortbestand des Unternehmens zu sichern.“
Der Konzern quetsche die Zulieferer quasi aus, er missbrauche dabei seine Marktmacht. Die jetzige Situation sei das Ergebnis „einer frist- und grundlosen Kündigung von Aufträgen“, meint das Unternehmen, dessen Schwesterfirma Car Trim ebenfalls beim Lieferstopp mitmischt. „Da VW eine Kompensation in den nachfolgenden Verhandlungen ablehnte, sahen sich Car Trim und ES Automobilguss letztlich zum Lieferstopp gezwungen“, heißt es in einer Mitteilung.
Jedoch: Was die VW-Partner so lapidar als „zum Lieferstopp gezwungen“bezeichnen, hat nach Ansicht des Landgerichts Braunschweig juristisch keine Basis. Dort hat VW für beide Firmen einstweilige Verfügungen erwirkt, mit denen das Liefern der Teile „vollstreckbar“sei. Nur spielt Volkswagen den Trumpf offenbar bisher nicht aus. Priorität habe zunächst eine „gütliche Einigung“, teilt ein VW-Sprecher mit. „Ordnungsgeld, Ordnungshaft, Beschlagnahme“seien aber schon in Vorbereitung. Auch die Gegenseite will wohl noch reden.
Selbstschutz also? Oder Erpressung? Branchenexperte Stefan Bratzel forscht an der Fachhochschule der Wirtschaft Bergisch Gladbach zur Auto-Zuliefererbranche. Er sagt, ein Drittel der Lieferanten habe arge Probleme. Die genaue Lage bei VW kann auch er als Außenstehender nicht bewerten, er halte sie aber in ihrer Dimension für beispiellos. Der Konflikt zeigt noch viel mehr als nur einen eskalierten Streit zwischen David und Goliath, bei dem ein kleiner Zulieferer den Spieß umdreht und den Riesen VW lahmlegt. Der Autobauer hat sich nach Insider-Informationen bei einem Gussteil für Golf-Getriebe einzig auf ES Automobilguss verlassen. „Single Sourcing“(EinzelquellenBeschaffung) heißt das.
„Single Sourcing ist nicht selten in der Branche“, sagt Bratzel. Es sei eben sehr aufwendig, alle Teile mit Alternativen abzusichern. In Autos geht es um tausende Einzelteile von Fäden für die Naht am Lenkrad bis zu Chemiezusätzen im Autolack. Der Großteil kommt von Zulieferern, die ihrerseits wieder Zulieferer haben und so fort. Die Kette ist fragil. Trotz der Nachteile: Einzelquellen-Beschaffung erhöht Größenvorteile, das hilft beim Sparen, denn Masse drückt den Preis. „Und auch das Tempo steigt, mit Single Sourcing geht es wesentlich schneller, und auch der administrative Aufwand sinkt“, sagt Bratzel. Besonders die kleinen Zulieferer könnten sich aber auch schnell verheben, wenn sie sich bei ihrem Angebot in dem harten Preiswettbewerb verkalkulierten.
In der „Tunnelschänke“herrscht derweil eine Mischung aus Trotz, Zuversicht und Kampfgeist. „Wir werden auch das überleben“, sagt einer der Werker. „Es mag angeberisch klingen, doch das Unternehmen hat noch immer alles geschafft, was es sich vorgenommen hat.“