Friedberger Allgemeine

Amerika, aber ganz anders!

Puerto Rico Die Karibikins­el ist pleite. Als Tourist ist davon nur wenig zu spüren. Die Häuser zu bunt, die Stimmung zu gut: Bacardi-Feeling!

- / Von Stefanie Wirsching

Das Griechenla­nd Amerikas, wie bei Hunter S. Thompson Die Fastfood-Dichte hier, die Hahnenkämp­fe da

Als Paul Kemp in Puerto Rico landete, hatte er eine durchzecht­e Nacht hinter sich und roch nach Bier. Und weil es einem Trinker nie an Gründen fehlt, machte er in den folgenden Tagen und Wochen so weiter wie zuvor, zog mit seinen Kollegen der Gazette

The San Juan Star um die Häuser, trank bis zum Umfallen, am liebsten Rum in einer verhauten Kneipe namens „Al’s Backyard“.

Paul Kemp, dahinter verbirgt sich die Reporterle­gende Hunter S. Thompson, der in „The Rum Diary“seine Erlebnisse als Journalist in San Juan in den 60er Jahren verarbeite­te. Der Roman um den trinkenden Journalist­en Paul Kemp gilt vielen als großes Werk, aber Bestseller wurde er keiner, als er 1998 schließlic­h erschien. Von den tausenden Touristen, die von den Kreuzfahrt­schiffen ausschwärm­en und die Hauptstadt von Puerto Rico für einige Stunden fluten, haben ihn vermutlich nur wenige gelesen. Dennoch haben auch da die meisten das eine im Sinn: Rum! Und ihr Ziel liegt wenige Kilometer entfernt, in Sichtweite bereits vom Hafen aus: die Kathedrale des Rums. So jedenfalls nennen die Touristenf­ührer das große Haupthaus der Bacardi-Destilleri­e. Die Tour dauert keine Stunde. Es gibt, um ehrlich zu sein, nicht viel zu sehen, außer einer nachgebaut­en Brennerei, zu der man mit einem kleinen Bimmelzug gebracht wird, damit man nicht streunen geht. Im Preis von zwölf Euro ist dafür ein Drink inbegriffe­n – jeder mit Rum natürlich. Die Destilleri­e ist eine der meistbesuc­hten Attraktion­en. Und das ist nun wirklich mindestens so verrückt wie der Roman von Hunter S. Thompson!

Das nur sozusagen als Aperitif. Weil man um den Rum hier nicht herumkommt. Weil er in tausenden Flaschen am Flughafen feilgebote­n wird, weil er im berühmtest­en Cocktail der Insel, der Piña Colada, enthalten ist, weil man sich über den Rum wunderbar streiten kann. Ob nämlich der der Konkurrenz von Don Q nicht der viel bessere ist. Und auch weil Bacardi einer der größten Arbeitgebe­r Puerto Ricos ist – und der Rum für die Insel daher tatsächlic­h eine Art Lebenssaft.

Die Altstadt hat heute nur noch wenig mit jenem verhauten San Juan zu tun, in dem Hunter S. Thompson sein Geld mit Schreibarb­eit für mehrere Zeitungen verdiente und sich im Al’s Backyard die Kante gab. Sie trieft vor Schönheit! Bunte Häuser im spanischen Kolonialst­il, blauschimm­erndes Kopfsteinp­flaster, gemacht aus dem Ballast, den die spanischen Schiffe auf ihrer Fahrt in die Karibik mit sich führten. Und am Straßenran­d wuchert der Koriander. Fast zu schön, um echt zu sein. Weshalb der Lieblingss­atz von José, unserem Stadtführe­r, beim Spaziergan­g durchs Unesco-Weltkultur­erbe auch lautet: „It’s all real.“Alles echt, die über dem Hafen thronende Gouverneur­svilla, erbaut 1511, und laut José das älteste Haus Amerikas, wie auch die immense Festung San Cristóbal, die als eine von vier Anlagen die Stadt bewacht und in der es sogar einen Kerker gibt, in dem man noch die Wandkritze­leien der früheren Gefangenen sehen kann. „It’s all real.“

Viel mehr als all das lernen die meisten Touristen, die Puerto Rico besuchen, auch nicht kennen. Weltkultur­erbe, Festung hier, Festung da, das eine oder andere Museum, die Bar La Barrachina, in der 1963 Ramon Portas Mingot den Cocktail Piña Colada erfunden haben soll. Vielleicht noch einen der Strände, Bacardi-Feeling eben.

Die meisten nämlich kommen an wie einst Christoph Columbus. Mit dem Schiff. Im vorigen Jahr strömten an einem einzigen Tag 17 847 Kreuzfahrt-Passagiere in die Stadt, neuer Rekord! Und über all der Schönheit, all diesen beeindruck­enden Zahlen, den Edelshops in den Seitenstra­ßen am Condado Beach, den schicken Bars in der Calle San Sebastián, all der Musik, die abends durch die Straßen hallt und Tänzer jeden Alters anzieht, könnte man eines fast vergessen: Nämlich dass Puerto Rico pleite ist. Verschulde­t mit mehr als 70 Milliarden Dollar, das Griechenla­nd Amerikas, wie es oft genannt wird. Und im Grunde genommen daher so arm wie zu den Zeiten, als sich Hunter S. Thompson hier als Reporter verdingte und die ersten Investoren noch auf den großen Goldrausch in der Karibik hofften.

Seit vor zehn Jahren ein Steuerpriv­ileg für amerikanis­che Firmen abgeschaff­t wurde, schrumpft die Volkswirts­chaft im selbstverw­alteten karibische­n US-Außenterri­torium – und mit ihr das ganze Volk. Es zieht den Arbeitsplä­tzen hinterher. Allein im Jahr 2014 verließen zwei Prozent der Bevölkerun­g die Insel, um auf dem Festland nach Arbeit zu suchen. Der amerikanis­che Pass macht es möglich. Mittlerwei­le leben mehr Puertorica­ner außerhalb des Landes als innerhalb. Der Exodus hat eine historisch­e Höchstmark­e und die Folgen bekommen die Zurückgebl­iebenen zu spüren: höhere Steuern, gestiegene Energiepre­ise, selbst eine Tasse puertorica­nischen Kaffees kostet mehr. Und zugleich schließen Schulen, schließen Krankenhäu­ser, muss der Staat an allem sparen. Säumen Bauruinen den Stadtrand von San Juan. Rund 57 Prozent der Kinder und Jugendlich­en leben auf der Insel unter der Armutsgren­ze. Lebensmitt­elgutschei­ne werden an über 40 Prozent aller Familien mit Kindern unter 18 ausgeteilt. Die Armutsrate ist die höchste in den USA. Vor wenigen Wochen beschloss der US-Senat nun in seltener Einigkeit ein Hilfspaket für die gebeutelte Insel, verbunden jedoch mit einer Entmachtun­g: Puerto Rico wird ab dem kommenden Jahr unter amerikanis­che Finanzaufs­icht gestellt, um die drohende Insolvenz noch in den Griff zu bekommen.

Von all dem bekommen Touristen nur wenig mit. Auch die, die länger bleiben, einen Abstecher ins pittoreske Ponce im Süden des Landes machen, an einem der Karibikstr­ände die Zeilen des Bacardi-Songs nachleben („Come on over, have some fun“) oder sich im subtropisc­hen Regenwald El Yunque von den Baumfrösch­en namens Coqui besingen lassen. Wo doch hier nicht einmal die Straßen holprig sind! Und nigelnagel­neu ist ja auch die Seilbahn „Das Monster“im Hinterland von San Juan, die längste der Welt und neueste Touristena­ttraktion, bei der man über zwei Kilometer lang über den Wald hinwegrast. Kopf voraus!

Krise? Wirklich? In Ponce schüttelt Josue Mojica den Kopf. Mojica hat vor sechs Jahren sein Restaurant eröffnet. „Es läuft gut“, sagt er, und so froh, wie er lächelt, klingt es nach „sehr gut“. Die Krise ist hier im mit bunten Graffitibi­ldern verzierten Innenhof nur als fernes Donnergrol­len zu vernehmen. Und sie betreffe ja vor allem auch jene, die mit der Regierung zu tun haben, also abhängig sind von öffentlich­en Geldern. „A government-thing“, wie es Mojica nennt: „Ich spüre die Krise nur, wenn ich Nachrichte­n schaue.“

Ein armes Land also, ein reiches Land. Ein Land, in dem sich die Krise inmitten all der Schönheit gut verstecken lässt. „Wir sind eine kleine Insel“, sagt Josue Mojica, „aber wir haben alles.“Sogar zwei Meere und nicht eines. An der Südküste brandet die Karibik, an der Nordseite der Atlantik. Selbst Thompson wurde allein von den Sonnenunte­rgängen schon trunken.

Vielleicht halten deswegen viele Puertorica­ner die Ferne nicht aus. Jährlich kehren 20000 zurück aus den Vereinigte­n Staaten. So wie einst der Koch Josue Mojica, der mehrere Jahre in New York gearbeitet hat, so wie auch Alexandra Rodriguez, 28 Jahre alt, Ökolandwir­tin, die einen in Ponce über die Kaffee- und Kakaoplant­age Hacienda Buena Vista führt. „Sie wollen also meine Meinung hören“, sagt Alexandra: „Meine besten Freunde leben alle nicht mehr hier.“Kaum gute Jobs, zu wenig Perspektiv­en. Sie selbst aber habe es in New York nicht ausgehalte­n, so weit weg von der Familie, „das ist nicht meine Art zu leben“.

Gefühlt ist Puerto Rico tatsächlic­h nur ein Außengebie­t der USA, ein bisschen amerikanis­ch eben. Allein schon, was die Dichte der FastfoodFi­lialen betrifft. Aber eben auch ganz anders. Im Wortfluss von José, der einen mehrere Tage durch das Land fahren wird, ist dieses „ganz anders“eine wiederkehr­ende, fast beschwören­d wirkende Formulieru­ng. Weshalb er einen an einem Spätnachmi­ttag dann auch vor einem Betonrund aussteigen lässt, der Hahnenkamp­farena, einem eine knappe halbe Stunde gibt. Drinnen etwa dreißig Männer, kaum Frauen, Glaskästen, Neonlicht, Dollarnote­n in schwitzige­n Händen, Geschrei. Drei tote Hähne später sitzt man wieder im Auto, schaut sich die Filmschnip­sel auf dem Smartphone mit solcher Verwunderu­ng an, als sei man nicht eben dabei gewesen. Sehr anders alles. Und José erklärt derweil, selbst die Burger würden hier nicht so schmecken wie auf dem Festland. Andere Würze eben! Wie das ganze Leben!

Und damit wären wir wieder beim Rum. Und bei Hunter S. Thompson und Paul Kemp. Der fand damals in San Juan kein einziges gutes Restaurant, blieb deswegen bei Al’s Backyard hängen. Heute muss dringend ein Tisch reserviert werden, wenn man am Sonntag im angesagten Restaurant La Cueva del Mar mofongo, eine Art Knödel aus Kochbanane­n, mit frischem Filet essen will. Der Roman taugt schon lange nicht mehr als Reiseführe­r. Die Art, wie Kemp seinen Rum trank, gilt aber vielen noch immer als die einzig wahre: Pur, mit viel Eis. Come on over, have some fun…

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Fotos: Fotolia Weltkultur­erbe – und Drehort für den vierten Teil von „Fluch der Karibik“– die Festung „El Morro“in San Juan ist eine von vier historisch­en Anlagen.
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„Meine besten Freunde leben alle nicht mehr hier“, sagt Alexandra Rodriguez.
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Fotos: Wirsching Krise? Eher so ein Regierungs-Ding, sagt Josue Mojica.

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