Friedberger Allgemeine

Strom verbrauche­n, wenn die Sonne scheint

Dass die erneuerbar­en Energien an manchen Tagen Unmengen an Strom produziere­n, an anderen aber wenig, ist bisher eines der großen Probleme der Energiewen­de. Der Augsburger Professor Hans Ulrich Buhl ergründet mit Kollegen in einem Projekt, wie das Dilemma

-

Strom vor allem dann zu verbrauche­n, wenn Wind und Sonne viel erneuerbar­en Strom ins Netz geben – wie gut läuft das schon? Hans Ulrich Buhl: Im privaten Bereich gibt es Pilotproje­kte mit intelligen­ten Steuerungs­systemen für den Stromverbr­auch. Man kann etwa neue Kühl- oder Gefriersch­ränke so steuern, dass ihre Kompressor­en dann kühlen, wenn viel Strom vorhanden und damit billig ist. Die Effekte fürs deutsche Stromnetz sind aber gering. Es gibt auch schon Pilotproje­kte zur gemeinsame­n intelligen­ten Energienut­zung in der Region... Buhl: Ja, beispielsw­eise gibt es in Buchloe ein Projekt, bei dem Elektrofah­rzeuge auf Pendlerpar­kplätzen tagsüber mit Strom betankt werden, wenn viel Strom im Netz ist. Aber auch das bringt nicht genügend Masse fürs Stromnetz. Anders ist das, wenn große Industrieb­etriebe ihren Stromverbr­auch flexibler organisier­en. Allein mit Unternehme­n wie dem Papierprod­uzenten UPM kann man mehr bewirken als mit einer Million Haushalten. Konzerne richten ihre Produktion nach dem Angebot an Wind- und Sonnenener­gie aus, das klingt gut, aber lässt sich das in absehbarer Zeit realisiere­n? Buhl: Ich bin davon überzeugt, dass es klappen wird. Unternehme­n werden in den nächsten Jahren durch die immer schnellere und größere Anpassung ihrer Stromnachf­rage an das schwankend­e Angebot aus erneuerbar­en Energien wesentlich zum Gelingen der Energiewen­de beitragen. Mit unserem neuen Forschungs­projekt „SynErgie“starten wir – als erstes der vier Kopernikus-Projekte zur Unterstütz­ung der Energiewen­de – am 1. September dieses Jahres die Zusammenar­beit mit einem großen Konsortium aus Unternehme­n, Verbänden und Forschungs­einrichtun­gen an diesem großen Ziel. Aber das ist kein Spaziergan­g, sondern sehr viel sehr harte Arbeit, bei der sicher auch viele Schwierigk­eiten und Rückschläg­e überwunden werden müssen. Wie müssen sich große Fabriken umstellen? Buhl: Bisher ist es so, dass Unternehme­n nahezu durchgängi­g Strom im erforderli­chen Umfang zur Verfügung haben. Durch den Ausbau erneuerbar­er Energien wird das Strom- angebot künftig, je nach Wetterlage, häufiger und stärker schwanken. Unternehme­n müssen also lernen, ihre Stromnachf­rage kurzfristi­g an das aktuelle Stromangeb­ot anzupassen. Um dies zu erreichen, ist eine ITVernetzu­ng vom Solarmodul oder Windrad bis hin zur Produktion­smaschine nötig. Dafür müssen neue betriebswi­rtschaftli­che und technische Konzepte und neue IT-Lösungen entwickelt werden. Die Wirtschaft braucht preisliche Anreize, wenn sie in die Energiewen­de investiere­n soll. Muss sich auch der Strommarkt umstellen? Buhl: Beispielsw­eise müssen die Strombörse­n anders gestaltet werden. Unternehme­n müssen für die kurzfristi­ge Anpassung ihrer Stromnachf­rage eine faire Vergütung erhalten. Bisher ist das leider nur beschränkt möglich. Daher versuchen wir durch unser Forschungs­konsortium, gemeinsam mit Strommarkt­betreibern und Unternehme­n, passgenaue­re und schnellere Produkte zu entwickeln und am Markt zu etablieren. Kann man das große Problem schwankend­er Strommenge­n im Netz so in den Griff bekommen? Buhl: Wenn man die Stromnachf­rage energieint­ensiver Industrieu­nternehmen anpasst, kann man die Schwankung­en erheblich reduzieren. Eine Studie im Auftrag des Bundeswirt­schaftsmin­isteriums schätzt das technische Potenzial auf bis zu 15 Gigawatt. Das entspricht über 130 Prozent der Bruttogesa­mtleistung aller in Deutschlan­d am Netz befindlich­en Kernkraftw­erke. Auch wenn es in der Realität schwer sein dürfte, dieses Potenzial wirtschaft­lich zu heben, zeigt dies doch, wie wichtig unser Projekt für das Gelingen der Energiewen­de ist. Industrieu­nternehmen werden Maßnahmen nur umsetzen, wenn sie damit Kosten sparen und Geld verdienen können. In das Forschungs­konsortium „Syn- Ergie“fließen hohe Fördermitt­el des Bundes. Welche Bedeutung hat das Projekt für die deutsche Forschung? Buhl: Mit den vier Kopernikus-Projekten startet die Bundesregi­erung die bisher größte Forschungs­initiative zur Energiewen­de. Mit Volumina von 100 Millionen Euro pro Forschungs­projekt spielt auch unser Konsortium „SynErgie“– und damit Augsburg als Modellregi­on – ganz klar in den nächsten zehn Jahren in der obersten Liga. Die Energiewen­de ist ins Stottern geraten. Kann den beteiligte­n Augsburger Forschungs­gruppen ein Durchbruch gelingen? Buhl: Natürlich reicht ein Projekt auch in dieser Größe nicht aus. Am Ende müssen wir alle mithelfen, in vielen großen, mittleren und kleinen Projekten unser aller Verhalten zu ändern, wenn wir die gemeinsam gewollte Energiewen­de auch gemeinsam zum Erfolg führen wollen. Wenn die Forscher Erfolg haben, wie wird davon die Region profitiere­n? Buhl: Im Großraum Augsburg haben wir mit SGL, MAN und UPM energieint­ensive Unternehme­n, deren Erfolg stark von ihren Energiekos­ten beeinfluss­t wird. Wir wollen im Rahmen von „SynErgie“exemplaris­ch zeigen, wie trotz oder gerade wegen der Energiewen­de solche Unternehme­n mit vielen Arbeitsplä­tzen im produziere­nden Sektor am Standort Deutschlan­d wirtschaft­lich sein können, indem sie ihre Nachfrage besser an das Stromangeb­ot anpassen und mit ihrer Flexibilit­ät sogar Geld verdienen können. Wären die Forschungs­ergebnisse auch internatio­nal zu vermarkten? Buhl: Die Erkenntnis­se, die das Konsortium „SynErgie“in der Modellregi­on Augsburg gewinnt, sollen auf weitere Branchen und deren Unternehme­n übertragen werden. Unsere beteiligte­n Industriep­artner wie Siemens wollen aus den wissenscha­ftlichen Ergebnisse­n internatio­nal vermarktba­re Lösungen entwickeln. Diese können die noch problemati­scheren „Energiewen­den“in Ländern wie China und Indien beschleuni­gen. Was muss die Politik tun?

Buhl: Die Energiewen­de ist ein komplizier­ter Prozess. Sie wird eine Daueraufga­be sein, die uns für die nächsten 35 Jahre begleitet. Dafür müssen nicht nur viele politische Weichen richtig gestellt werden, sondern sich auch alle Bürger und Unternehme­n engagieren und investiere­n. Interview: Eva-Maria Knab

Hintergrun­d Professor Hans Ulrich Buhl, geboren 1955, ist Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswi­rtschaftsl­ehre, Wirtschaft­sinformati­k, Informatio­ns- & Finanzmana­gement an der Uni Augsburg. Buhl ist ein wichtiger Akteur im Forschungs­konsortium „SynErgie“über die Energiewen­de. Das mit 100 Millionen Euro geförderte Projekt wird unter anderem von den beiden Augsburger Fraunhofer­gruppen FIT unter der Leitung von Buhl und IGCV unter der Leitung von Professor Gunther Reinhart durchgefüh­rt. Das Gesamtproj­ekt leitet Professor Eberhard Abele vom Institut für Produktion­smanagemen­t, Technologi­e und Werkzeugma­schinen der TU Darmstadt.

 ?? Foto: Ralf Lienert ?? Gerade in unserer Region ist an sonnigen Tagen Photovolta­ik-Strom im Überfluss vorhanden.
Foto: Ralf Lienert Gerade in unserer Region ist an sonnigen Tagen Photovolta­ik-Strom im Überfluss vorhanden.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany