Friedberger Allgemeine

Ende gut, alles gut bei Volkswagen?

Nach Marathon-Verhandlun­gen steht eine Einigung. Sieger gibt es nicht. Der Konflikt aber könnte weitreiche­nde Folgen haben

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Wolfsburg Tausende VW-Beschäftig­te können bald wieder wie gewohnt zur Arbeit gehen und Autos bauen. Das zumindest steht fest nach der Einigung zwischen Volkswagen und den beiden Zulieferer­n, die sich mit dem Weltkonzer­n angelegt hatten. Ansonsten aber ist vieles unklar. Nach „Dieselgate“, dem Abgasskand­al mit dramatisch­en Folgen, hat VW nun sein „Liefergate“erlebt. Zwei kleinere Zulieferer lieferten wichtige Teile nicht mehr – und schon standen viele Bänder bei VW still. Das dürfte nicht ohne Folgen bleiben. Denn das Ziel von VW muss es nun sein, eine derartige Eskalation eines Streits mit Lieferante­n zu verhindern.

„Kurzarbeit droht für knapp 28 000 VW-Mitarbeite­r“– diese Schlagzeil­e hatte dem Autobauer gerade noch gefehlt. Allen voran stand im Stammwerk Wolfsburg die Produktion des wichtigste­n VW-Modells Golf still, ein Albtraum. Das Hauptprobl­em: VW hatte sich bei dem kleinen Getriebete­il der Firma ES Automobilg­uss – die neben der Schwesterf­irma Car Trim auf einmal nicht mehr lieferte – einzig auf diesen Lieferante­n verlassen. „Single Sourcing“(Einzelquel­len-Beschaffun­g) heißt das in der Fachsprach­e. Dies ist riskant, allerdings bringt es Kostenvort­eile: Masse drückt den Preis, das hilft beim Sparen.

Fakt ist: VW muss auch wegen der Milliarden­belastunge­n der Dieselaffä­re die Kosten senken. Ende Juni hatte Einkaufsch­ef Francisco Garcia Sanz an Zulieferer geschriebe­n: „Um Zukunftsth­emen finanziere­n zu können, müssen wir deutlich effiziente­r werden.“Branchenex­perten sehen in der Einkaufspo­litik bei VW eine Achillesfe­rse. Diese habe „elementars­te Regeln der Risikoabsi­cherung“außer Acht gelassen, kritisiert Autoexpert­e Ferdinand Dudenhöffe­r. Sein Kollege Stefan Bratzel von der Fachhochsc­hule der Wirtschaft erwartet durch den Streit zwar keine grundsätzl­ichen Verschiebu­ngen im Machtgefüg­e zwischen großen Autobauern und kleinen Zulieferer­n. „Womöglich wird jetzt aber in der Branche stärker diskutiert, dass es um eine vertrauens­volle, langfristi­ge Kooperatio­n gehen muss.“Seine Kritik an den Hersteller­n: „Oft werden die Risiken allein auf die Lieferante­n abgewälzt.“Starke Zulieferer mit guten Produkten würden durch billige ersetzt. Doch Kostendruc­k ist nur eine Seite.

Im VW-Streit ging es im Hintergrun­d um ein Projekt, das nicht zustande gekommen war, deswegen riefen die Unternehme­n den Lieferboyk­ott aus und bauten Gegendruck auf. Im Umfeld des VW-Konzerns hieß es, im Streit sei es ums Grundsätzl­iche gegangen. Zulieferer würden „nicht mit Samthandsc­huhen“angefasst, aber alles bleibe „im Rahmen“. Um weiteren Schaden abzuwenden, verhandelt­en VW und die beiden Firmen der Prevent-Gruppe seit Montagmitt­ag in einem Wolfsburge­r

Eine langfristi­ge Perspektiv­e soll vereinbart worden sein

Hotel rund 20 Stunden lang. Am Ende stand eine Erklärung aus vier dürren Zeilen, darin der Satz: „Über die Inhalte der Einigung wurde Stillschwe­igen vereinbart.“Von Zulieferer-Seite sickerte durch, es sei eine „langfristi­ge Perspektiv­e“vereinbart worden. Die Frage ist zu stellen, ob VW nach dem Ende der Liefervert­räge weiter mit den Firmen zusammenar­beitet.

Spannend wird auch sein, welche mittelfris­tigen Folgen „Liefergate“für VW haben wird. Volkswagen steht mitten im Umbau. Im Juni hatte Konzernche­f Matthias Müller seine „Strategie 2025“vorgestell­t. Schwerpunk­te: Elektromob­ilität und Dienstleis­tungen. Vom Umbau betroffen ist auch das wichtige VWKomponen­tengeschäf­t mit 67 000 Mitarbeite­rn. Es soll „konsequent gebündelt“werden. VW fertigt bisher von allen deutschen Hersteller­n noch am meisten selbst. Durchleuch­tet der Konzern nun sämtliche Partnersch­aften? Christoph Feldmann vom Bundesverb­and Materialwi­rtschaft, Einkauf und Logistik jedenfalls empfiehlt der Industrie, nicht alles auf eine Karte zu setzen.

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