Friedberger Allgemeine

Der Reformpäda­goge Kerschenst­einer

Die Schule im Hochfeld hat einen interessan­ten Namenspatr­on. Als Münchner Schulrat entwickelt­e er ein Konzept, das Schüler zum selbststän­digen Handeln anleiten sollte. Auch in Augsburg fand das bald Nachahmer

- VON GREGOR NAGLER In der Sommerseri­e ist das Feuilleton regional jeden Dienstag von 14 bis 18 Uhr in der Hochfeldst­raße in Augsburg zu finden – vor der Kerschenst­einer Schule. Wir laden Gäste ein, sprechen mit Passanten und berichten darüber.

Das Gebäude ist nichts Besonderes. Schon von außen meint man, den Geruch der eigenen Schule wieder in der Nase zu haben. Ob die Mädchen und Jungen, die durch die großen Türen strömen, wissen, wer da als Patron der Schule gewählt wurde? Der Pädagoge Georg Michael Anton Kerschenst­einer (1854-1932) hätte sich sicher über das „chaotische“Treiben, das jetzt in „seiner“Schule herrscht, gewundert – schließlic­h forderte er unbedingte­n Gehorsam. Durch sein Wirken wurde aber die heutige Pädagogik erst möglich.

Die Bildungszi­ele der Volksschul­en im 19. Jahrhunder­t waren bescheiden, die Methoden autoritär und brutal. Gewiss lernte Kerschen- eine solche „Buch-, Paukund Drillschul­e“kennen, als er in den 1870er-Jahren als Dorfschulg­ehilfe in Lechhausen angestellt war. Er sollte später als Münchner Schulrat sein Gegenbild, die „Arbeitssch­ule“propagiere­n. Die Schüler wollte er zum selbststän­digen Handeln ermuntern, Turn- und Kunstunter­richt gewannen an Bedeutung. Ein Beispiel: Statt Schablonen zu kopieren durften die Kinder nun freie Zeichnunge­n anfertigen; man erkannte diesen Bildern einen eigenen Wert zu und analysiert­e sie als kindliche Ausdrucksf­orm.

Die Reformpäda­gogik blieb auch Kerschenst­einers Kollegen in Augsburg nicht verborgen; Stadtschul­rat Max Löweneck (1866-1957) führte 1908 in der Elias-Holl-Schule den handlungso­rientierte­n Unterricht ein.

Die Architektu­r der Kerschenst­einer Schule mag muffig erscheiste­iner nen. In den 1950er-Jahren war sie etwas Neues: Waren ältere Schulbaute­n oft symmetrisc­h und damit hierarchis­ch aufgebaut, gruppierte Walther Schmidt die Trakte der Kerschenst­einer Schule asymmetris­ch. Große Fenster belichten die Klassenzim­mer und machen das Gebäude transparen­t. Zumindest die Architektu­r entsprach ganz selbstvers­tändlich nicht mehr der Drillschul­e und erweist sich bis heute als anpassungs­fähig.

 ?? Foto: Nagler ?? Die Kerschenst­einer Schule von außen betrachtet.
Foto: Nagler Die Kerschenst­einer Schule von außen betrachtet.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany