Eine Gemeinschaft, die immer am Puls der Zeit ist
St. Ottilien ist heute die größte Mönchsgemeinschaft in Südbayern. Von hier aus breitete sie sich auf fast allen Erdteilen aus
St. Ottilien Pater Theophil Gaus hat es leichter als die Missionsbenediktiner früherer Generationen. Um von der großen weiten Welt, in der die Ottilianer Mönche tätig waren und sind, erzählen zu können, muss er nicht die Gefahren einer langen Reise in unbekannte Weltgegenden auf sich nehmen. Es genügen ein paar Meter in das von ihm geleitete neu gestaltete Missionsmuseum.
Und zu erzählen hat Pater Theophil vieles, denn St. Ottilien (Eresing, Kreis Landsberg) ist in mehrfacher Hinsicht ein besonderes bayerisches Kloster. Während die alten und heute oftmals nicht mehr existierenden Prälatenklöster im südlich des Ammersees gelegenen Pfaffenwinkel eher nur noch Zeugen der Geschichte sind, ist St. Ottilien eine recht lebendige Gemeinschaft am Puls der Zeit. Am Puls der Zeit war auch Andreas Amrhein (18441927). Als das Deutsche Reich in den 1880er-Jahren seine ersten Kolonien in Afrika erwarb, gründete der Beuroner Benediktiner die Missionsbenediktiner. 1886 kaufte die Gemeinschaft das Schloss und fünf Anwesen im Emminger Moos nordwestlich des Ammersees. Schon nach wenigen Jahren war von Schloss und Dorf nichts mehr vorhanden, seit 1899 prägen die neugotische Abteikirche Herz Jesu und die um sie herum gewachsenen Klostergebäude das Emminger Moos.
Ebenso schnell wuchs das weltweite Netz an Niederlassungen. An Missionaren war kein Mangel: Die von Anfang an rege Öffentlichkeits- arbeit der jungen Gemeinschaft fiel in den ländlichen katholischen Regionen Süddeutschlands und der Schweiz unter Landwirts- und Handwerkersöhnen auf fruchtbaren Boden: In St. Ottilien einzutreten, bot die Chance, aus dem Milieu der Dörfer und kleinen Leute hinaus in die Welt zu kommen und im Dienste Gottes und seiner Kirche auch Karriere zu machen, wie jüngst ein Buch der Passauer Historikerin Christine Egger („Transnationale Biographien“) verdeutlichte.
Das Missionsmuseum prägte für Generationen von Kindern und Jugendlichen ihr Bild von Afrika und Asien. Bestückt wurde die völkerund naturkundliche Schau von Missionaren, die Objekte ins Stammhaus schickten: „Mönche sind Sammler“, sagt Pater Theophil verschmitzt und verrät: „Ich sammle Federn.“Ausdruck solcher Sammelleidenschaft ist übrigens ein weiteres Museum in St. Ottilien – dort sind 380 Nähmaschinen ausgestellt.
Nach über 100 Jahren wurde das Museum jetzt grundlegend erneuert. Zum einen in technischer Hinsicht, wie Pater Theophil erklärt, barrierefrei und klimatisiert, zum anderen aber auch unter didaktischen Gesichtspunkten. Ging es einst um Missionierung im Sinn von Bekehrung zum christlichen Glauben, werde jetzt Mission mehr als „ganzheitlicher“Vorgang erachtet, der auch für Bildung, Gesundheitswesen und Emanzipation gesorgt hat, etwa wenn die Missionare junge Ostafrikaner aus der damals noch verbreiteten Sklaverei freikauften. Die Missionsarbeit der Ottilianer trug auch dazu bei, viele Zeugnisse etwa der alten koreanischen Kultur zu erhalten, die im Land selbst infolge japanischer Besetzung und der sozialistischen Umgestaltung im Norden weitgehend verloren ging. Die Korea-Sammlung in St. Ottilien stellt für die Koreaner einen wertvollen Schatz dar, wie im Juni bei einem Koreafestival deutlich wurde.
Mission spielt auch heute noch eine Rolle in St. Ottilien, ist hier doch die Missionsprokura der Kongregation ansässig. Doch die Bindung der Tochterklöster auf den anderen Kontinenten ist lockerer geworden. Wolfgang Öxler ist der erste Erzabt in St. Ottilien, der nicht zugleich Abtpräses der weltweiten Organisation ist. Mission ist auch längst keine Einbahnstraße mehr: „Unsere Abtei in Newton in den Vereinigten Staaten haben praktisch die Koreaner übernommen“, nennt Pater Theophil als Beispiel.
Auch Pater Theophil ist eigentlich kein Missionar, zumindest nicht im klassischen Sinn. Als er 1984 als 20-Jähriger ins Kloster eintrat, sei für ihn neben der religiösen Motivation vor allem sein „Faible für eine Gemeinschaft, in der sich viel rührt“gewesen, was ihn an einem Leben in St. Ottilien reizte. Frei von den Pflichten des bürgerlichen Lebens, wo man sich selbst um die Wäsche, ums Essen und die richtige Geldanlage und die Versicherung kümmern muss, kann er hier zahlreiche Talente ausleben. Was die typische Handbewegung eines Mönchs sei? Pater Theophil hebt den Arm und blickt aufs Handgelenk: dass er immer die Armbanduhr im Blick hat. Der Alltag des Paters ist eng getaktet, nicht nur wegen der fünf Gebetszeiten am Tag, sondern auch, weil er vier Berufe ausübt: Chemie- und Biologielehrer am Rhabanus-Maurus-Gymnasium in St. Ottilien, erster Organist in der Abteikirche, Museumsdirektor und Priester und Seelsorger. Pater Theophils Missionsgebiet liegt denn auch eher im eigenen Land: Als Schulseelsorger etwa, erzählt er, habe er sogar einem heute kaum noch nachgefragten Sakrament der katholischen Kirche zu einer gewissen Renaissance unter den Schülern verholfen: der Beichte.
Die ohnehin weltoffenen Mönche haben in den vergangenen Jahren ihr Kloster noch stärker für Besucher geöffnet. Zwar kann die überwiegend recht zweckmäßig gebaute Anlage nicht mit kunsthistorischen Sehenswürdigkeiten oder einem Bräustüberl aufwarten. Regelmäßige Konzerte in der Abteikirche, Ausstellungen, Veranstaltungen im Exerzitienhaus, das Benediktusfest und die Klostermärkte geben aber immer wieder Anlass, hierherzukommen. Oder einfach so: Ein Spaziergang im Klosterdorf bietet immer wieder neue Eindrücke – vom modernen Milchviehstall neben der futuristisch anmutenden Heizzentrale über zahlreiche Graffiti aus einer Street-Art-Aktion bis hin zum meditativen Friedensweg des früheren Priors Claudius Bals.