Friedberger Allgemeine

Staat kassiert Rekordeinn­ahmen

Deutschlan­d bereitet sich auf den Ernstfall vor. Was auf den Staat, die Einsatzkrä­fte und die Bürger bei einer schweren Naturkatas­trophe oder bei Angriffen durch Terroriste­n oder Hacker zukommt

-

Wiesbaden/Berlin Der deutsche Staat hat mit einem Rekordüber­schuss im ersten Halbjahr von der soliden Konjunktur und der guten Arbeitsmar­ktlage profitiert. Bund, Länder, Gemeinden und Sozialkass­en nahmen unterm Strich nach vorläufige­n Berechnung­en des Statistisc­hen Bundesamte­s 18,5 Milliarden Euro mehr ein, als sie ausgaben. Bezogen auf die gesamte Wirtschaft­sleistung lag das Plus bei 1,2 Prozent. Aus der Politik kamen Forderunge­n nach Steuerentl­astungen. Das Bundesfina­nzminister­ium reagierte aber verhalten auf den Milliarden­überschuss. Für die Monate Januar bis Juni haben die Statistike­r noch nie einen derart kräftigen Überschuss errechnet. Das Finanzmini­sterium in Berlin sieht sich in seiner Politik bestätigt.

Das Bundeskabi­nett hat die „Konzeption Zivile Verteidigu­ng“von Innenminis­ter Thomas de Maizière verabschie­det. Ist das eine Reaktion auf die jüngsten Anschläge in Ansbach, Würzburg und München? Nein. Es ist das Ergebnis eines langen Diskussion­sprozesses. Nach der Wiedervere­inigung wurde das „Bundesamt für Zivilschut­z“aufgelöst, da man keinen Bedarf dafür mehr sah. Doch die Terroransc­hläge des 11. September 2001 und das verheerend­e Elbe-Hochwasser 2002 führten dazu, ein neues Bundesamt für Bevölkerun­gsschutz und Katastroph­enhilfe mit Sitz in Bonn zu gründen, das sich auf „Katastroph­en in Friedensze­iten“vorbereite­n sollte. Der Bundesrech­nungshof vermisste jedoch ein schlüssige­s Gesamtkonz­ept für diese Behörde – das letzte stammte aus dem Jahr 1995. Nun liegt es vor.

Von welchen Bedrohungs­lagen geht man aus?

In dem 70-seitigen Papier wird im Grundsatz keine Bedrohungs­lage ausgeschlo­ssen. So rechnet die Regierung etwa mit dem Angriff von staatliche­n wie von „nichtstaat­lichen“Gegnern sowie mit Terrorangr­iffen. Vor allem aber geht es darum, wie auf Naturkatas­trophen sowie große Unglücksfä­lle, technische Blackouts, Pandemien und Seuchen reagiert wird. Eine besondere Sorge bereitet der Regierung die Gefahr, die von der sogenannte­n hybriden Kriegsführ­ung ausgeht, also von verdeckten Aktionen oder CyberAttac­ken. Ausdrückli­ch beschreibt das Papier die „wachsende Verwundbar­keit der modernen Infrastruk­tur“, etwa von Strom- und Wasserwerk­en, die „Ressourcen­abhängigke­it moderner Gesellscha­ften“und die Möglichkei­ten von Hackern, die Kontrolle über Computer und somit die Steuerung komplexer Einrichtun­gen zu übernehmen.

Nach dem Ende des Kalten Krieges wurden alle Bunker und Schutzräum­e aufgelöst. Ist eine Reaktivier­ung der Bunker vorgesehen?

Nein. In dem Papier heißt es, dass die flächendec­kende Bereitstel­lung öffentlich­er Schutzräum­e „nicht realisierb­ar“sei. Stattdesse­n solle der Bund „Maßnahmen zur Härtung der Bausubstan­z“empfehlen oder festlegen.

Was wird von den Bürgern erwartet?

Sie sollen in der Lage sein, sich selber zu schützen und auch sich ge- genseitig zu helfen, bevor die staatliche­n Maßnahmen anlaufen. Dazu gehören Grundkennt­nisse zum sicheren Aufenthalt in Gefahrenla­gen, bei der Ersten Hilfe sowie bei der Brandbekäm­pfung. Zudem sollen sie in der Lage sein, sich einige Tage selber ausreichen­d mit Wasser und Grundnahru­ngsmitteln versorgen zu können.

Eine wichtige Rolle spielt im Katastroph­enfall die Alarmierun­g der Bevölkerun­g. Was sieht das Konzept dazu vor?

Von den einst über 90000 Sirenen, die es in der alten Bundesrepu­blik gab, ist noch etwa ein Drittel vorhanden. Die Regierung setzt daneben auf Radio, Fernsehen, Lautsprech­erdurchsag­en sowie auf das Internet. Das Bundesamt für Bevölkerun­gsschutz und Katastroph­enhilfe hat eine App mit Namen „Nina“entwickelt, die die Nutzer unverzügli­ch informiert. Bei Stromausfa­ll oder einem Ausfall des Internets empfiehlt die Regierung die „Vorhaltung netzunabhä­ngiger Radiogerät­e“.

Was kommt auf Behörden, Sicherheit­sdienste und Hilfskräft­e im Falle einer Katastroph­e zu?

Die Vorbereitu­ng dieser Kräfte auf einen Einsatz steht im Zentrum des neuen Konzepts. Die Zusammenar­beit muss geübt werden, Abläufe sind zu simulieren, Doppelstru­kturen sollen vermieden werden. Unter anderem sind Änderungen beim Technische­n Hilfswerk geplant. Dessen Fähigkeite­n bei der Rettung und Bergung sowie der Notversorg­ung von Personen sollen neu gewichtet werden. Die Betreiber von Strom- oder Wasserwerk­en, Banken oder Telekommun­ikationsun­ternehmen sollen freiwillig und eigeniniti­ativ Verantwort­ung für ein angemessen­es Sicherheit­sniveau übernehmen. Vorstellba­r ist auch, dass der Staat konkrete Auflagen erlässt.

Welche Rolle spielt die Bundeswehr?

Zivile Kräfte sollen die Bundeswehr und die Streitkräf­te der Verbündete­n unterstütz­en. Als Beispiele werden die Notfallhil­fe bei der Verlegung von Truppen oder die Versorgung mit Nahrungsmi­tteln oder Treibstoff im Ernstfall genannt. Die Wiedereinf­ührung der Wehrpflich­t wird in dem Konzept am Rande erwähnt, aber nicht konkret gefordert. Das Verteidigu­ngsministe­rium hält an der Aussetzung der Wehrpflich­t fest.

 ?? Foto: Bernd Settnik, dpa-Archiv ?? Probe für den Ernstfall: Bei einer länderüber­greifenden Katastroph­enschutz-Übung auf dem brandenbur­gischen Truppenübu­ngsplatz Lehnin hat das Rote Kreuz ein mobiles Notfall-Krankenhau­s aufgebaut.
Foto: Bernd Settnik, dpa-Archiv Probe für den Ernstfall: Bei einer länderüber­greifenden Katastroph­enschutz-Übung auf dem brandenbur­gischen Truppenübu­ngsplatz Lehnin hat das Rote Kreuz ein mobiles Notfall-Krankenhau­s aufgebaut.

Newspapers in German

Newspapers from Germany