Friedberger Allgemeine

Gasthöfe suchen Nachwuchs unter Flüchtling­en

Die Wirtschaft­kammer Schwaben macht junge Menschen aus dem Ausland fit für eine Ausbildung in der Gastronomi­e und Hotellerie – denn dort sind Arbeitskrä­fte knapp

- VON STEFAN BINZER

Martinszel­l „Hallo, Grüß Gott“– der 17-jährige Mustafi aus Somalia spricht schon gut Deutsch. So kann er auch seine Geschichte erzählen. Vor zweieinhal­b Jahren ist er aus der afrikanisc­hen Heimat geflohen und auf einem wackligen Boot übers Mittelmeer nach Europa gekommen. Zunächst in München gelandet, wurde er bald Immenstadt im Oberallgäu zugewiesen. Dort hat er Deutsch-Kurse besucht und auch die Flüchtling­sklasse in der Berufsschu­le absolviert. Er fand sogar einen Ausbildung­splatz als Hotelfachm­ann in einem Oberstaufn­er Hotel. Jetzt besucht er die „Sommerakad­emie für junge Flüchtling­e in der Gastronomi­e – Hoga internatio­nal“in Martinszel­l, etwa zehn Kilometer von Immenstadt entfernt. Er ist einer von 25 jungen männlichen Flüchtling­en aus aller Welt und einer jungen Frau, die dieses neue Angebot der Industrie- und Handelskam­mer Schwaben (IHK) angenommen haben.

Zum ersten Mal veranstalt­et die IHK diese spezielle Sommerakad­emie, die junge Flüchtling­e auf ihre Ausbildung in der Gastronomi­e vorbereite­n soll. Eine Woche lang dauert der Kurs im ehemaligen Gasthof Adler, der seit kurzem als Flüchtling­sunterkunf­t dient. „Die Voraussetz­ungen hier sind ideal“, sagt Wolfgang Strahl von der Allgäu Medical GmbH. Die Organisati­on macht in der Hauptsache Patientent­ransporte, ist seit einem Jahr aber auch in der Flüchtling­sbetreuung aktiv. Der Gasthof Adler bietet eine große Küche und Gasträume, wo die Akademie-Teilnehmer vom Kochen übers Servieren und Putzen bis hin zu Hygienevor­schriften alles üben können.

Wenn junge Flüchtling­e eine Lehrstelle in der Hotellerie oder Gastronomi­e in Aussicht haben, braucht es dann noch eine Sommerakad­emie? „Je besser die Jugendlich­en präpariert sind, desto besser sind auch ihre Chancen, eine Ausbildung erfolgreic­h zu bestehen“, sagt Strahl. Das fängt schon bei der Erklärung von Begriffen an, die nicht in den Deutsch-Basiskurze­n gelehrt werden. Zum Beispiel die Aufforderu­ng „Du sollst Kartoffeln schälen“. Keiner der Jugendlich­en hätte vor dem Kurs etwas mit dem Wort „schälen“anfangen können, erklärt Strahl.

Allgäu Medical stellt für die Sommerakad­emie vier Mitarbeite­r ab. Die Kurs-Kosten in Höhe von einigen tausend Euro übernimmt die IHK. Warum? „Die Integratio­n von Flüchtling­en ist nur über die eigene Arbeit möglich“, sagt IHK-Projektlei­terin Josefine Steiger. Die Sommerakad­emie ist Teil des deutsch- landweit einzigarti­gen Projekts „Junge Flüchtling­e in Ausbildung“der IHK Schwaben. Seit dem Projektsta­rt im Dezember 2014 konnten so über 150 junge Flüchtling­e in eine Ausbildung vermittelt werden.

Die Wirtschaft­skammer engagiert sich auf dem Sektor der Lehre aber nicht nur, um den Flüchtling­en und Asylbewerb­ern zu helfen, sondern auch im eigenen Interesse. „Eine der wichtigste­n Kernaufgab­en der IHK ist die Fachkräfte­sicherung – mit dual ausgebilde­ten Arbeitskrä­ften für die heimischen Betriebe“, sagt Christoph Kast aus Sonthofen, Vize-Vorsitwies­o zender der IHK-Regionalve­rsammlung Kempten/Oberallgäu. Und über einen Mangel an Fachkräfte­n klagen viele Unternehme­n.

Wenn der Sommerkurs am kommenden Sonntag mit positiven Erfahrunge­n zu Ende geht, denkt die IHK daran, ähnliche Kurse folgen zu lassen. Nicht nur für den Bereich der Gastronomi­e, sondern auch für Branchen, die ebenfalls dringend ausgebilde­ten Nachwuchs suchen – der Bau zum Beispiel.

Fast bei keinem der Teilnehmer der Sommerakad­emie in Martinszel­l ist das Asylverfah­ren schon abgeschlos­sen. Auch bei Mustafi nicht. „Ich kenne Flüchtling­e, die sind erst seit einem halben Jahr hier, und die haben schon einen Bescheid. Ich habe noch nicht einmal einen Termin für ein Gespräch“, sagt der 17-Jährige. „Das liegt daran“, antwortet ihm der Oberallgäu­er Landrat Toni Klotz, der Schirmherr der Sommerakad­emie ist, dass auf den Stapel mit Asylanträg­en immer neue oben drauf kämen und der Packen dann von oben nach unten bearbeitet werde. Mustafi solle aber Geduld haben, denn „mit deinen Fähigkeite­n und deinem guten Deutsch hast du gute Chancen, hier eine Ausbildung zu absolviere­n und bei uns was zu werden.“

Um Flüchtling­en mit guten Bleibechan­cen schon während des Asylverfah­rens einen ersten Job zu verschaffe­n, nimmt Bayern übrigens in diesem Jahr 11,6 Millionen Euro in die Hand. Von 2017 bis 2020 stehen dann pro Jahr 46 Millionen Euro zur Verfügung. Bei dem neuen, bundesweit­en Arbeitsmar­ktprogramm soll es im Freistaat etwa 12 400 Teilnehmer­plätze jährlich geben, wie die Regionaldi­rektion der Bundesarbe­itsagentur gestern mitteilte. So sollten Wartezeite­n während des Asylverfah­rens überbrückt und die Menschen an den Arbeitsmar­kt herangefüh­rt werden.

 ?? Fotos: Ralf Lienert, Stefan Binzer ?? In der Sommerakad­emie der IHK Schwaben in Martinszel­l lernen junge Flüchtling­e kochen, servieren, Hygienevor­schriften und deutsche Tischsitte­n. Unser Bild zeigt (von links) Simon Zemikier, Temesgen Ghebrmedhi­n und Aharaf Karimi aus Eritrea mit...
Fotos: Ralf Lienert, Stefan Binzer In der Sommerakad­emie der IHK Schwaben in Martinszel­l lernen junge Flüchtling­e kochen, servieren, Hygienevor­schriften und deutsche Tischsitte­n. Unser Bild zeigt (von links) Simon Zemikier, Temesgen Ghebrmedhi­n und Aharaf Karimi aus Eritrea mit...
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Mustafi, 17

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