Gasthöfe suchen Nachwuchs unter Flüchtlingen
Die Wirtschaftkammer Schwaben macht junge Menschen aus dem Ausland fit für eine Ausbildung in der Gastronomie und Hotellerie – denn dort sind Arbeitskräfte knapp
Martinszell „Hallo, Grüß Gott“– der 17-jährige Mustafi aus Somalia spricht schon gut Deutsch. So kann er auch seine Geschichte erzählen. Vor zweieinhalb Jahren ist er aus der afrikanischen Heimat geflohen und auf einem wackligen Boot übers Mittelmeer nach Europa gekommen. Zunächst in München gelandet, wurde er bald Immenstadt im Oberallgäu zugewiesen. Dort hat er Deutsch-Kurse besucht und auch die Flüchtlingsklasse in der Berufsschule absolviert. Er fand sogar einen Ausbildungsplatz als Hotelfachmann in einem Oberstaufner Hotel. Jetzt besucht er die „Sommerakademie für junge Flüchtlinge in der Gastronomie – Hoga international“in Martinszell, etwa zehn Kilometer von Immenstadt entfernt. Er ist einer von 25 jungen männlichen Flüchtlingen aus aller Welt und einer jungen Frau, die dieses neue Angebot der Industrie- und Handelskammer Schwaben (IHK) angenommen haben.
Zum ersten Mal veranstaltet die IHK diese spezielle Sommerakademie, die junge Flüchtlinge auf ihre Ausbildung in der Gastronomie vorbereiten soll. Eine Woche lang dauert der Kurs im ehemaligen Gasthof Adler, der seit kurzem als Flüchtlingsunterkunft dient. „Die Voraussetzungen hier sind ideal“, sagt Wolfgang Strahl von der Allgäu Medical GmbH. Die Organisation macht in der Hauptsache Patiententransporte, ist seit einem Jahr aber auch in der Flüchtlingsbetreuung aktiv. Der Gasthof Adler bietet eine große Küche und Gasträume, wo die Akademie-Teilnehmer vom Kochen übers Servieren und Putzen bis hin zu Hygienevorschriften alles üben können.
Wenn junge Flüchtlinge eine Lehrstelle in der Hotellerie oder Gastronomie in Aussicht haben, braucht es dann noch eine Sommerakademie? „Je besser die Jugendlichen präpariert sind, desto besser sind auch ihre Chancen, eine Ausbildung erfolgreich zu bestehen“, sagt Strahl. Das fängt schon bei der Erklärung von Begriffen an, die nicht in den Deutsch-Basiskurzen gelehrt werden. Zum Beispiel die Aufforderung „Du sollst Kartoffeln schälen“. Keiner der Jugendlichen hätte vor dem Kurs etwas mit dem Wort „schälen“anfangen können, erklärt Strahl.
Allgäu Medical stellt für die Sommerakademie vier Mitarbeiter ab. Die Kurs-Kosten in Höhe von einigen tausend Euro übernimmt die IHK. Warum? „Die Integration von Flüchtlingen ist nur über die eigene Arbeit möglich“, sagt IHK-Projektleiterin Josefine Steiger. Die Sommerakademie ist Teil des deutsch- landweit einzigartigen Projekts „Junge Flüchtlinge in Ausbildung“der IHK Schwaben. Seit dem Projektstart im Dezember 2014 konnten so über 150 junge Flüchtlinge in eine Ausbildung vermittelt werden.
Die Wirtschaftskammer engagiert sich auf dem Sektor der Lehre aber nicht nur, um den Flüchtlingen und Asylbewerbern zu helfen, sondern auch im eigenen Interesse. „Eine der wichtigsten Kernaufgaben der IHK ist die Fachkräftesicherung – mit dual ausgebildeten Arbeitskräften für die heimischen Betriebe“, sagt Christoph Kast aus Sonthofen, Vize-Vorsitwieso zender der IHK-Regionalversammlung Kempten/Oberallgäu. Und über einen Mangel an Fachkräften klagen viele Unternehmen.
Wenn der Sommerkurs am kommenden Sonntag mit positiven Erfahrungen zu Ende geht, denkt die IHK daran, ähnliche Kurse folgen zu lassen. Nicht nur für den Bereich der Gastronomie, sondern auch für Branchen, die ebenfalls dringend ausgebildeten Nachwuchs suchen – der Bau zum Beispiel.
Fast bei keinem der Teilnehmer der Sommerakademie in Martinszell ist das Asylverfahren schon abgeschlossen. Auch bei Mustafi nicht. „Ich kenne Flüchtlinge, die sind erst seit einem halben Jahr hier, und die haben schon einen Bescheid. Ich habe noch nicht einmal einen Termin für ein Gespräch“, sagt der 17-Jährige. „Das liegt daran“, antwortet ihm der Oberallgäuer Landrat Toni Klotz, der Schirmherr der Sommerakademie ist, dass auf den Stapel mit Asylanträgen immer neue oben drauf kämen und der Packen dann von oben nach unten bearbeitet werde. Mustafi solle aber Geduld haben, denn „mit deinen Fähigkeiten und deinem guten Deutsch hast du gute Chancen, hier eine Ausbildung zu absolvieren und bei uns was zu werden.“
Um Flüchtlingen mit guten Bleibechancen schon während des Asylverfahrens einen ersten Job zu verschaffen, nimmt Bayern übrigens in diesem Jahr 11,6 Millionen Euro in die Hand. Von 2017 bis 2020 stehen dann pro Jahr 46 Millionen Euro zur Verfügung. Bei dem neuen, bundesweiten Arbeitsmarktprogramm soll es im Freistaat etwa 12 400 Teilnehmerplätze jährlich geben, wie die Regionaldirektion der Bundesarbeitsagentur gestern mitteilte. So sollten Wartezeiten während des Asylverfahrens überbrückt und die Menschen an den Arbeitsmarkt herangeführt werden.